Der Euro-Rettungsbluff vor Gericht
Karlsruher Entscheidung zu ESM und Fiskalpakt löst in der EU kein Bibbern mehr aus
In der EU rechnet man beim für heute angekündigten Urteil des deutschen Verfassungsgerichts offenbar nicht mit Überraschungen. Beim informellen Treffen der Euro-Finanzminister Ende dieser Woche im zyprischen Nikosia steht das Thema ESM nicht auf der Tagesordnung. Nach Angaben eines von dpa zitierten EU-Diplomaten geht man in Brüssel davon aus, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus wie geplant beim nächsten regulären Treffen der Finanzminister am 8. Oktober offiziell aus der Taufe gehoben wird.
Zeitpläne wurden aber schon mehrmals über den Haufen geworfen: Ursprünglich sollte die ständige Rettungseinrichtung Anfang 2013 den befristeten EFSF ablösen, dann wurde die Einführung wegen der sich verschärfenden Krise auf Juli dieses Jahres vorgezogen. Da es in einigen Eurostaaten zu Verzögerungen bei der Ratifizierung kam, soll es nun im Oktober so weit sein. Für den ESM, der Staaten mit akuten Kreditbeschaffungsnöten unter die Arme greifen kann, ist ein Stammkapital von 700 Milliarden Euro vorgesehen. Davon werden aber nur 80 Milliarden von den Euroländern tatsächlich eingezahlt, verteilt auf mehrere Raten. Der allergrößte Teil besteht aus Garantien, die nur dann haushaltsrelevant würden, wenn vergebene Kredite nicht mehr bedient werden. Die Bundesrepublik trägt gemäß ihrer wirtschaftlichen Potenz einen Anteil von 27 Prozent.
Wie beim EFSF müssen sich Länder, die einen Hilfsantrag stellen, einem Anpassungsprogramm mit strengen Vorgaben für den Abbau der öffentlichen Defizite unterwerfen. Darüber hinaus ist der ESM, den bislang 16 EU-Staaten ratifiziert haben, mit dem neuen Fiskalpakt verknüpft, einem Lieblingsprojekt von Kanzlerin Angela Merkel. Die Unterzeichner verpflichten sich, eine nationale Schuldenbremse nach deutschem Vorbild einzuführen - demnach darf das konjunkturunabhängige strukturelle Defizit nicht mehr als 0,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes betragen -, und müssen bei Nichteinhaltung hohe Strafen in Kauf nehmen. Er ist bislang von 13 EU-Staaten ratifiziert.
Während der Fiskalpakt Sparpakete erzwingen würde, soll der ESM wie eine Brandschutzmauer gegen Finanzmarkt-Spekulationen gegen einzelne Euro-Mitglieder funktionieren. Wenn große Staaten wie Italien und Spanien einen Hilfsantrag stellen, könnte sich die Mauer freilich als zu niedrig entpuppen. Nur die Europäische Zentralbank (EZB) ist theoretisch in der Lage, unbegrenzt Geld bereitzustellen. Nach ihrem jüngsten Beschluss über den Aufkauf von Staatsanleihen scheint sie dazu nun auch bereit zu sein.
Der eigentliche Zweck solcher Brandschutzmauern ist zu verhindern, dass diese Gelder überhaupt fällig werden. Sie funktionieren wie ein gigantischer Bluff: Je größer die Haftungsrisiken der Euroländer sind, desto unwahrscheinlicher wird es, dass selbst kleinere Summen tatsächlich haushaltswirksam werden. Dies freilich macht es für das Bundesverfassungsgericht praktisch unmöglich, den ESM juristisch zu bewerten. Auch deshalb rechnen Beobachter damit, dass Karlsruhe seiner Linie treu bleiben und lediglich Vorgaben machen wird, wie das deutsche Parlament an den Entscheidungen beteiligt sein muss. Dies könnte Nachbesserungen im Gesetz erforderlich machen. Die Regierung müsste dann einen neuen Entwurf einbringen, dem dann wieder Bundestag und Bundesrat zustimmen müssen, bevor der Bundespräsident mit seiner Unterschrift die Ratifizierung besiegelt.
Als unwahrscheinlich gelten dagegen die beiden anderen Optionen: dass Karlsruhe ESM und Fiskalpakt ohne Wenn und Aber durchwinkt oder aber die Vertragstexte für verfassungswidrig erklärt. Ohne eine Teilnahme des Euro-Schwergewichts Deutschland wären aber wohl beide Projekte politisch tot. Ein Aus des ESM würde natürlich zu neuer Unruhe an den Finanzmärkten führen, was wieder Spekulanten auf den Plan riefe. Allerdings stünde Europa nicht ohne Brandschutzmauer da - vor allem wegen der EZB-Entscheidung zum Staatsanleihenkauf. Insofern wird man im Rest Europas zwar nicht bibbernd, aber doch mit gewisser Spannung der Entscheidung entgegenblicken.
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