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Schach gegen Krieg & Not?
Anatoli J. Karpow, Jg. 1951, ist Schirmherr des legendären Kinderheims in Iwanowo
nd: 2013 wird das Interdom in Iwanowo 80. Geburtstag feiern. Dieser Tage trafen sich in Berlin ehemalige Zöglinge aus aller Welt. Was bewog Sie, sich für dieses 1933 von der Internationalen Roten Hilfe gegründete und nach Jelena Stassowa benannte Heim einzusetzen, wo einst Kinder verfolgter, inhaftierter, ermordeter Menschen aus dem Ausland Refugium fanden?
Karpow: Mitgefühl und Verantwortung. Heute leben im Interdom vor allem russische Waisenkinder. Aber auch tadschikische. Keiner weiß mehr, dass es in den 90er Jahren in Tadshikistan einen furchtbaren Krieg gab, mit 200 000 Toten. Im Interdom leben und lernen Kinder aus der Ukraine oder Belarus, aus von Naturkatastrophen heimgesuchten oder von Bürgerkriegen erschütterten Regionen.
Nach dem Zerfall der UdSSR wollte man das Heim schließen?
Ja. Es gab Anfang der 90er auch den Vorschlag, es in eine Kadettenschule umzuwandeln. Als Vorsitzender des russischen Friedenskomitees musste ich intervenieren. Ich schrieb an Jelzin und wies auf die dramatischen Veränderungen in ehemaligen Sowjetrepubliken und unschuldig in Not geratene Kinder hin. Jelzin stimmte zu. Damit war der Kampf noch nicht beendet. Man wollte die staatliche Subventionierung streichen. Auch das haben wir abwenden können. Wir erhalten Zuschüsse vom Bildungsministerium.
Auch das IRH-Heim in Iwanowo war während des »Großen Terrors« in den 30er Jahren von Repressalien betroffen; Lehrer, Erzieher und sogar einige Schüler verschwanden im Gulag.
Das höre ich zum ersten Mal, obwohl ich mich schon lange für Interdom engagiere. In der Tat ist es kaum vorstellbar, dass die Schule in Iwanow unter Stalin von Verfolgung ausgenommen worden wäre.
Ist es ein Naturgesetz, dass russische Schachweltmeister in die Politik gehen? Sie sitzen für Putins Partei Einiges Russland in der Duma, Garri Kasparow ist eine Ikone der Opposition. Können ehemalige Schachgegner Freunde sein?
Warum nicht? Als ich 2010 für das Amt des Präsidenten des Weltschachbundes FIDE kandidierte, erklärte Kasparow, mich zu unterstützen. Wir haben vereinbart, dass Politik unser Verhältnis nicht berühren soll.
Wie kommt es, dass so viele Schachweltmeister aus Russland kommen? Und wie kam das Spiel überhaupt nach Russland?
Früher glaubte man, dass es aus Arabien über Spanien, Italien und Zentraleuropa nach Russland gelangte. Archäologische Ausgrabungen in den 90ern belegen jedoch, dass es auf direktem Wege zu uns kam. Es gab im Mittelalter rege geschäftliche und kulturelle Beziehungen zwischen Russland und Arabien. Bei uns wurde das Spiel systematisiert und staatlich gefördert. Das erste Wettschachturnier hatte als Schirmherrn ein Mitglied der Zarenfamilie. Schach ist in Russland sehr populär. Es ist eine Art Religion oder Lebensphilosophie. Berühmte Schriftsteller, Künstler, Wissenschaftler spielten leidenschaftlich Schach: Puschkin, Lermontow, Tolstoi, Turgenjew ...
Auch Lenin?
Auch Lenin. Plechanow war aber der bessere Schachspieler.
Spielt man im Interdom Schach?
Aber natürlich. Es stärkt Geist und Lebensfreude und verbindet Menschen.
Fragen: Karlen Vesper
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