Deutschland abgekoppelt
In Ottobrunn treffen sich die Befürworter eines Bedingungslosen Grundeinkommens
Als Susanne Wiest vor einigen Jahren im Bundestag eine Petition für ein Bedingungsloses Grundeinkommen BGE einreichte, war nicht abzusehen, dass die Wahl-Greifswalderin damit zur Symbolfigur eines politischen Frühlings wird. Zehntausende schlossen sich im Internet ihrer Initiative an, Wiests Petition öffnete dem BGE den Weg aus Fachkreisen und kleineren Zirkeln hinaus in die Mitte der Gesellschaft.
Plötzlich diskutierten verstärkt Künstler und Intellektuelle über das Thema, das Grundeinkommen tauchte in Talkshows auf, Bücher erschienen. Diskussionen, die bis dato zwar mit großer Hingabe, aber eher unterhalb des medialen Radars geführt worden waren, erhielten plötzlich ein größeres Gewicht. Das Grundeinkommen war zu einer Marke in der ersten politischen Reihe geworden. Eine Studie, die Anfang 2009 erschien, zeigte auch, wie erstaunlich breit bekannt und positiv bewertet die Idee war.
Davon ist derzeit nicht mehr viel zu spüren. Ein geplanter Feldversuch der Breuninger-Stiftung, die 200 Bürgern für zwei Jahre ein monatliches Grundeinkommen von 800 Euro zahlen wollte, scheiterte 2010 mangels Geldgeber. Und als vor ein paar Wochen Anhänger des BGE mit einer Technoparade durch Berlin auf die Idee aufmerksam machen wollten, hielt sich die Zahl der Teilnehmer in sehr überschaubaren Grenzen. Daran konnten weder die Piraten etwas ändern, die eine Weile mit der Forderung nach einem Grundeinkommen Schlagzeilen machten; noch die LINKE, die als erste im Bundestag vertretene Partei eine BGE-Verfechterin als Vorsitzende hat. Katja Kippings Wahl spiegelte allerdings nicht etwa die große Resonanz für die Idee innerhalb der Partei wider.
Das Thema Grundeinkommen sei wieder an den Rand gedrängt worden, meint auch Olaf Michael Ostertag von der Linkspartei-Strömung »Emanzipatorische Linke«, aber das sei ein bundesdeutsches Phänomen. »Deutschland wird von der weltweiten BGE-Entwicklung abgekoppelt«, sagt Ostertag - und verweist nach Ottobrunn. Dort findet am Wochenende eine Konferenz des internationalen Basic Income Earth Network BIEN statt. Grundeinkommens-Anhänger aus aller Welt werden dann über Fortschritte in ihren Ländern berichten. Einerseits als wissenschaftliche Veranstaltung konzipiert, präsentieren die rund 400 Teilnehmer Beispiele, wo ein Grundeinkommen bereits Realität ist - oder dies bald bevorsteht. In Brasilien etwa, Namibia oder der Mongolei. Am Rande des BIEN-Kongresses wollen sich linke Befürworter der Idee zusammensetzen - um sich besser zu vernetzen und die Diskussion auch hierzulande wieder etwas voranzubringen.
Susanne Wiest hat erlebt, was es heißt, wenn eine Idee, die erst großen öffentlichen Wirbel verursacht, plötzlich auf viel weniger Interesse stößt. Ihre Petition hängt immer noch im Bundestagsbetrieb fest, wann die abschließende Behandlung durch das Parlament erfolgt, ist offen. Im Sommer war sie immerhin bei der Kanzlerin eingeladen - im Rahmen des »Bürgerdialogs«. Angela Merkel bekundete in kleiner Kaffeerunde ihre Skepsis gegenüber dem Grundeinkommen. Susanne Wiest bekam trotzdem Beifall.
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