Turteln auf Probe
Der Bundesrat bietet Platz für einen Test: den schwarz-roten Mindestlohnkompromiss
Wenn es nach dem Willen der Großen Koalition in Thüringen geht, soll eine von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden besetzte »unabhängige Kommission« beim Bundesministerium für Arbeit jedes Jahr einen Mindestlohn festsetzen, der dann bundesweit und für alle Branchen per Gesetz in Kraft gesetzt würde. Die SPD verzichtete darauf, eine konkrete Lohnhöhe in dem Entwurf zu fixieren. Der innere Thüringer Kompromiss hierbei: Die CDU nahm davon Abstand, in dem Entwurf die Lohnuntergrenze regional und branchenspezifisch zu differenzieren. Die aktuellen Kräfteverhältnisse im Bundesrat ermöglichen, dass der Thüringer Mindestlohnantrag eine Mehrheit bekommen könnte, nachdem in den letzten Jahren etliche Anläufe gescheitert waren. Die Länder, in denen SPD, LINKE und Grüne jeweils die Regierungsmehrheit stellen, haben zusammen über 30 der 69 Bundesratsmandate. Thüringen bringt vier Stimmen ein. Das von einer großen Koalition regierte Saarland verfügt über drei Stimmen und hat bereits seine Unterstützung signalisiert. Allerdings gibt es auch in Union Politiker, die nicht mitziehen wollen, wie etwa Reiner Haseloff, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Die Bundes-CDU beeilte sich hingegen, der thüringischen Initiative ein gewisses Wohlwollen zu signalisieren.
CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe erklärte, dass die Forderung nach einer Lohnuntergrenze ja der Position seiner Partei entspreche. Allerdings rechne er nicht damit, »dass wir auf der Grundlage dieser Bundesratsinitiative zu einer gesetzgeberischen Veränderung kommen werden«, da die FDP das nicht mitmachen werde. Unterdessen kritisierte Schleswig-Holsteins FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki die Blockadehaltung seiner Parteiführung. Es mache keinen Sinn, branchenspezifische Lohnuntergrenzen oder die Zuschussrente abzulehnen. Angela Merkel sei »gerade dabei, die FDP zum Selbstmord zu verführen. Die haben festgestellt, in unserer momentanen Aufstellung hat die FDP kein Kampfgewicht mehr.«
Landespolitiker der LINKEN zeigen sich ihrerseits aufgeschlossen. Es sei »gut, dass sich jetzt auch in Unionskreisen die Vernunft Bahn bricht« kommentierte Brandenburgs Finanzminister Helmuth Markov die Initiative. Für Sachsen-Anhalts Fraktionschef Wulf Gallert ist sie ein »kleiner Schritt« zur Eindämmung des Niedriglohnsektors in Deutschland.
Die Kompromissbereitschaft der CDU dürfte darauf zurückzuführen sein, dass sie das Thema Mindestlohn ebenso wie das Rententhema nicht zum Gegenstand des von der SPD gegenwärtig proklamierten rot-grünen Lagerwahlkampfes werden lassen will. Die SPD hat auf dieses entgegenkommen noch keine Antwort gefunden. Parteichef Sigmar Gabriel testet das Terrain, indem er der Union den einen oder anderen Deal anbietet. Etwa bei der Einführung einer Zuschussrente für Geringverdiener, für die die Union ihren Widerstand gegen den Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro aufgeben soll. Die taktischen Übungen der SPD haben allerdings einen Nachteil, sie laufen der Realität hinterher. Selbst die Bundesregierung muss einräumen, dass erst bei einem Stundenlohn von zehn Euro ein Rentenniveau knapp jenseits der Altersarmut erreicht wird. Kommentar Seite 4
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.