Verbote sind die falsche Antwort

  • Evrim Sommer
  • Lesedauer: 4 Min.
Ein Verbot des jüngsten antimuslimischen Schmähvideos würde nur radikale Islamisten und Rechtspopulisten stärken. Stattdessen müsste es darum gehen, wie sich die Demokratisierung in den Ländern voranbringen lässt, in denen gerade noch von einem »arabischen Frühling« die Rede war.
Muslime in aller Welt sind seit Tage in Aufruhr wegen eines Films, in dem der Prophet Mohammed als Bastard und Kinderschänder dargestellt wird. Es gibt gewaltsame Demonstrationen und am Dienstag »rächte sich« ein Afghane für die »Verschmähung« seines Propheten mit einem Selbstmordanschlag in Kabul. Dabei tötete er mindestens 19 Menschen.

Solche Reaktionen auf einen vermeintlichen »Schmähfilm« sind ein gefundenes Fressen für Rechtspopulisten. Der Produzent – ein radikaler koptischer Christ – hat es geschafft, einen Film, der sich durch ein Fehlen jeglicher künstlerischer und ästhetischer Qualitäten auszeichnet, in die Weltöffentlichkeit zu katapultieren. Die Provokation ist voll und ganz aufgegangen. In der islamischen Welt reagierten einige Radikale Gewalt und sind bereit, für die Ehre des Propheten gegen den Westen zu kämpfen – und zu sterben. Es gibt wohl kaum ein Beispiel dafür, wie ein solch unwichtiger und schlechter Film so viele Reaktionen hervorrief, durch die eben auch Tote zu beklagen sind.

Sind die gewaltsamen Empörungen in der arabischen Welt aber berechtigt? Man kann sich darüber beklagen, wie unprofessionell der Film gemacht ist. Man kann sich über die schlechten schauspielerischen Qualitäten der Darsteller empören und auch über den teilweise pubertären Humor. Aber was den Inhalt angeht, sollte man lieber seinen Kopf schütteln und Schreiber des Drehbuchs raten, sich einen neuen Beruf zu suchen. Das ist keine Verschmähung des Propheten Mohammeds, sondern schlichtweg ein Armutszeugnis für die künstlerischen Qualitäten der Macher. Und überhaupt: Auch schlechten Geschmack muss man ertragen können. Und wenn man das nicht kann, man macht den Computer aus oder verlässt den Filmsaal.

Leichtes Spiel für Islam-Gegner

Und nun haben die rechtspopulistischen Islam-Gegner ein leichtes Spiel. Sie stellen sich als die Verteidiger der Meinungsfreiheit dar und instrumentalisieren den peinlichen Film. Forderungen nach Verboten aus der Politik stärken sie dabei nur.
Andererseits sieht man hier auch die äußerst labile politische Situation der post-diktatorischen Systeme in der arabischen Welt.

Kaum haben sich die Menschen von den Tyrannen befreit, breitet sich der radikale Islamismus aus. Ein falsches Wort über den Propheten Mohammed entzündet eine explosive Mischung von Unsicherheit und Zukunftsängsten. Politiker – allen voran US-Präsident Barack Obama und Kanzlerin Angela Merkel - bangen um den Frieden in ihren Ländern. Sie überbieten sich mit populistischen Maßnahmenkatalogen, die immer wieder die Einschränkung der Freiheit der Menschen beinhaltet. Obama wollte sogar durchsetzen, dass die Trailer für den Film nicht mehr über die Suchmaschine Google zu finden sind. Merkel will prüfen, ob man ein Verbot, den Film zu zeigen, durchsetzen kann.

Man muss sich fragen, wie man so viel Wirbel um einen Film machen kann, der das Prädikat »Film« eigentlich gar nicht verdient. Wie viele schlechte und unerträgliche Filmsequenzen finden sich überhaupt auf Youtube? Will man nun all diese auf »Mohammed-verschmälernde Inhalte« prüfen?

Toleranz und Akzeptanz

Es ist an der Zeit, auf solche filmisch-ästhetischen Fehltritte mit mehr Entspannung zu reagieren, so wie es der allergrößte Teil der muslimischen Welt auch tut. Alles andere bedeutet, sich einerseits von den radikalen Islamisten und andererseits von den populistischen Rechten instrumentalisieren zu lassen. Rufe nach Verbot und Zensur stärken nur noch weiter beide Seiten. Gewalt ist kein Mittel, die Religionsfreiheit zu verteidigen, und Verbote sind genauso wenig. Toleranz und Akzeptanz hingegen schon.

An dieser Stelle muss man auch fragen, wie viele Filme bereits Jesus oder den Messias verspotteten oder verhöhnten? Und welche Reaktionen gab es auf sie? Stellen wir uns vor, jemand würde Monthy Pythons »Leben des Brian« zum Anlass nehmen, sich vor der St. Pauls Kathedrale selbst zu verbrennen. Weiterhin muss man sich fragen, ob denn irgendeiner der Demonstranten und Attentäter, die Trailer oder Filmausschnitte auf Youtube überhaupt gesehen hat. In vielen islamisch geprägten Ländern sind diese gar nicht mehr aufrufbar.

Statt also nach Verboten zu rufen, sollten wir viel eher darüber nachdenken, wie wir die Demokratisierung in den Ländern vorantreiben, in denen vor nicht allzu langer Zeit von einem arabischen Frühling die Rede war, und wie man der radikalen Islamisierung entgegentreten kann. Wir dürfen uns nicht dem Willen einer verschwindend kleinen Minderheit beugen, die es schafft, in die Öffentlichkeit zu gelangen. Damit machen wir radikalen Islamisten den Weg frei.

Evrim Sommer ist Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses sowie Frauen- und entwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion. In der WochenND-Ausgabe des »neuen deutschland« vom 22./23. September diskutieren Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, und Johann-Albrecht Haupt von der Humanistischen Union über die Reaktionen auf den und die Konsequenzen aus dem so genannten »Mohammed-Video».

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