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Von allem Egoismus frei
Martin Hundt über Theodor Echtermeyer, geistiger Vorbereiter der Revolution von 1848
Mit seiner Philosophie hat Georg Wilhelm Friedrich Hegel auf die unterschiedlichsten Zeitgenossen und Nachkommende gewirkt. Sie befriedigte konservative Denker, da das Existierende als notwendig erklärt wurde; und wer sich gegen die bestehenden Verhältnisse auflehnte, fand Begründungen in der Dialektik. Als 1835 das religionskritische Buch von David F. Strauß »Das Leben Jesu« erschien, spalteten sich seine Anhänger in die Jung- und Althegelianer.
Die Religionskritik war jedoch nur das Vehikel für die kritische Auseinandersetzung mit der gesamten gesellschaftlichen Wirklichkeit. Das zeigt Martin Hundt, ausgewiesener Spezialist der Marx-Engels-Forschung und des Junghegelianismus, Mitglied der Leibniz-Sozietät, in der ersten Biografie eines der wichtigsten Denker des oft unterschätzten Jung- oder Linkshegelianismus: Theodor Echtermeyer. Mit seiner Analyse der gesellschaftlichen Zustände und seiner Forderung nach Freiheit gehörte jener zu den geistigen Vorbereitern der Revolution von 1848, die er selbst nicht mehr erlebte. Er starb 1844 im Alter von 39 Jahren an schwerer Krankheit.
Der über Hegel hinausgehende Philosoph, revolutionäre Literaturhistoriker und Gesellschaftstheoretiker sollte dem unverdienten Vergessen entrissen werden. Das ist Martin Hundt gelungen. Sein »Versuch einer Annäherung« an Echtermeyer enthält alle Aspekte, mit der heutige Leser angeregt werden, über Geschichte und Gegenwart nach und darüber hinaus zu denken. Kindheit, Jugend und Lebenswerk sind detailliert geschildert, Grundpositionen mit Argumenten dargestellt und Lehren für die Gegenwart werden gezogen. Lars Lambrecht, Herausgeber der Forschungen zum Junghegelianismus, hebt im ehrenden Geleitwort für den Autor, der unlängst seinen 80. Geburtstag beging, dessen Prinzip hervor, »bei aller Akribie keinen reduktionistischen Empirismus« zuzulassen.
Konflikte bei der Gründung und Entwicklung der »Halleschen Jahrbücher« werden in die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen eingeordnet, kritisch-konstruktive Kooperation, unbegründete Angriffe und persönliche Querelen, Zeitgeist und Zensur geschildert. Ein gewisser Professor Leo, ein ehemaliger Autor der Jahrbücher, denunzierte beispielsweise später im reaktionären »Berliner Wochenblatt« die Linkshegelianer als »eine ›Rotte‹ von Atheisten und Revolutionären« und trat damit eine Kampagne los, in der jenen destruktive Tendenzen vorgeworfen wurden und sogar die Forderung nach Verbot der »Jahrbücher« erhoben wurde. Echtermeyer setzte dem dialektisch entgegen: »Die Negativität, der wir das Wort reden, ist sowenig Nihilimus, daß sie vielmehr nur gegen das Nichtige sich richtet, ist concreter Idealismus, der durch Negation des Negativen das wahrhaft Positive immer mehr zu seiner Macht und Wirklichkeit gelangen läßt.«
Der Linkshegelianismus ist niemals in ein »System« gebracht worden, stellt Martin Hundt fest. Doch hat Echtermeyer programmatische Linien begründet, vom Autor hier vorgestellt. Er zitiert seines Protagonisten Jubel darüber, dass die »theoretische Faulheit der Althegelianer« ein Ende habe, »denn je wahrer die Philosophie ist, desto entschiedener muß sie mit dem ausgelebten Geist in Gegensatz treten. Die Philosophie macht Partei.« Ein Freund charakterisierte Echtermeyer als einen Menschen, der »von allem Egoismus frei« sei, »nur auf die Interessen der Wissenschaft u. des freien Staates sein Auge richtet u. darum jedes Wort dafür von wem es auch kommt, wenn es richtig gemünzt u. legirt ist, mit Enthusiasmus begrüßt«. Echtermeyers Schilderung der Universität Halle enthält Überlegungen zum Verhältnis von Bekenntnissen und Erkenntnissen sowie zu Bildung und Charakter, die durchaus aktuelle Analysen anregen könnten.
Wie recht Echtermeyer mit der Bemerkung »Die berliner Bierwitze über Hegel’s Dunkelheit sind die Spottlieder der Soldaten hinter dem Wagen des Triumphators« hatte, zeigte sich im Triumph der Dialektik. Deren revolutionären Kern hoben Karl Marx und Friedrich Engels explizit hervor. Sie entwickelten mit dem dialektischen und historischen Materialismus, der Politischen Ökonomie und dem Wissenschaftlichen Sozialismus ihre eigene Weltanschauung, auf deren Grundlage sie Alt- wie Junghegelianer kritisierten.
Martin Hundt: Theodor Echtermeyer (1805 - 1844). Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main. 183 S., br., 39,80 €.
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