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Eine faszinierende Gestalt

Lothar Gall hat eine Biografie über Wilhelm von Humboldt verfasst

  • Gerd Fesser
  • Lesedauer: 3 Min.

In Darstellungen zu den preußischen Reformen seit 1807 stehen naturgemäß die Staatsmänner Stein und Hardenberg und der General Scharnhorst im Mittelpunkt. Der wichtigste Akteur neben ihnen dürfte Wilhelm von Humboldt gewesen sein. Ihm hat der emeritierte Frankfurter Historiker Lothar Gall eine Biografie gewidmet. Er stellt Leben und Wirken seines Helden strikt chronologisch dar und zitiert ausführlich aus dessen Schriften, wobei er deren eigenwillige Diktion mitunter »übersetzt«.

Wilhelm von Humboldt, der ältere Bruder des berühmten Naturforschers und Weltreisenden Alexander, entstammte einer wohlhabenden bürgerlichen Familie, die im 18. Jahrhundert geadelt worden war. Er wurde von Hauslehrern unterrichtet, studierte und trat 1790 für knapp ein Jahr in den preußischen Staatsdienst. Danach lebte er einige Jahre in Jena und in Paris als freier Gelehrter. Gall bescheinigt ihm eine »extreme Ichbezogenheit«. »Erkenne dich selbst« sei seine oberste Devise gewesen. Humboldt verehrte Goethe, doch sein Verhältnis zu Schiller war wesentlich enger. Bereits 1792 verfasste er die Schrift »Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen«.

Wie viele seiner gebildeten Zeitgenossen stand er im Banne der griechischen Antike. Gall spricht deshalb von »Gräkomanie«. Von 1802 bis 1808 wirkte Humboldt als preußischer Gesandter in Rom. Er hatte nur wenige dienstliche Verpflichtungen und konnte sich vorwiegend der Geschichte der Antike und der Sprachwissenschaft widmen.

Am 15. Dezember 1808 berief der preußische König Friedrich Wilhelm III. Humboldt zum Leiter der neu gebildeten Sektion des Kultus und öffentlichen Unterrichts im Innenministerium. Humboldt trat Ende Februar 1809 sein Amt an, doch bereits am 29. April 1810 bat er den König, ihn zu entlassen. Er hat in diesen 14 Monaten enorm viel bewegt, schuf das neuhumanistische Gymnasium, baute die Berliner Universität auf (die seit 1949 seinen Namen trägt), reformierte die Akademie der Wissenschaften.

Humboldt drängte den König, ihn zum Minister zu ernennen. Doch der schickte ihn stattdessen - auf Vorschlag des neuen Regierungschefs Hardenberg - als Gesandten nach Wien. Hier fand Humboldt ein vertrautes Verhältnis zu Metternich, der die Politik Österreichs leitete. Der Kosmopolit Humboldt war unterdessen zum Patrioten geworden. Seine Verhandlungen mit Metternich trugen maßgeblich dazu bei, dass Österreich sich 1813 dem russisch­-preußischen Bündnis gegen Napoleon anschloss.

Gall zeigt: Nach dem Sieg über Napoleon tat Hardenberg, der in Humboldt einen potenziellen Konkurrenten sah, alles, um dessen Aufstieg zu verhindern. So schickte er ihn 1817 als Gesandten nach London. Ein Jahr später bat Humboldt den König um ein politisches Amt in Berlin, 1819 wurde er Minister für ständische Angelegenheiten. Doch Hardenberg denunzierte ihn als »Jakobiner«. Und als Humboldt gegen die reaktionären Karlsbader Beschlüsse protestierte, entließ ihn der König wieder. Kritisch sei angemerkt: Hardenberg erscheint bei Gall fast nur als intriganter Widerpart; er hat jedoch den Reformprozess, der unter dem Kabinett Altenstein/Dohna versandet war, seit 1810 tatkräftig wieder in Gang gebracht. Humboldt selbst strebte keine Rückkehr in ein staatliches Amt mehr an. Er widmete sich voll und ganz seinen sprachwissenschaftlichen Studien, legte beeindruckende Werke vor und korrespondierte europaweit mit zahlreichen Gelehrten. Seinen letzten Brief richtete er am 15. März 1832 an Goethe.

Gall hat ein fundiertes und leserfreundliches Buch vorgelegt. Auf wissenschaftliche Kontroversen geht er nur in einigen Anmerkungen ein. Die hyper­kritische Sicht einiger Historiker auf den Freiherrn vom Stein (der 1808 noch die Berufung Humboldts veranlasst hatte) teilt er nicht. Er bezeichnet diesen vielmehr dezidiert als »eigentlichen Initiator und Hauptwortführer der preußischen Reformen«. Auch das Private in Humboldts Leben, seine Ehe mit der geistvollen Caroline von Dacheröden sowie seine sexuelle Freizügigkeit kommen zur Sprache. Ein gelungenes Lebensbild einer faszinierenden Gestalt.

Lothar Gall: Wilhelm von Humboldt. Ein Preuße von Welt. Propyläen, Berlin. 443 S., geb., 24,99 €.

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