Brüssel und Peking brauchen sich
Der EU-China-Gipfel war am Ende doch mehr als ein Kommunikationsfiasko
Ohne die seltsame »Öffentlichkeitsarbeit« in Brüssel wäre der gestrige 15. EU-China-Gipfel wohl als eher unauffälliges turnusmäßiges Treffen in die Annalen eingegangen. Doch erst wollte die EU-Zentrale nicht den Pekinger Forderungen nach einem eingeschränkten Fragerecht der Journalisten nachgeben, so dass es am Ende gar keine Pressekonferenz gab. Und dann wurde auch noch die vom EU-Fernsehen verantwortete Übertragung der Rede des chinesischen Regierungschefs Wen Jiabao mitten im Satz abgebrochen. Zumindest hatten die Medienleute zuvor noch erfahren, dass Peking endlich als vollwertige Marktwirtschaft anerkannt werden will und ein Ende des EU-Waffenembargos verlangt. Dafür hatte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton schon 2010 plädiert, sei der Boykott doch »ein großes Hindernis für die engere Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspolitik«.
Aber es gab durchaus auch viele freundliche Worte. EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy etwa würdigte die Rolle des aus dem Amt scheidenden Wen bei der Verbesserung des Verhältnisses zwischen EU und China in der vergangenen Dekade. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sprach von einer »strategischen Partnerschaft«, die auf Respekt, Nutzen und Freundschaft beruhe. In diesem Geist könne man über alle Themen reden, auch jene, bei denen keine Einigkeit herrsche. Dissens besteht da vor allem in Menschenrechtsfragen.
Doch seien sich die EU und China stärker denn je ihrer wechselseitigen Abhängigkeit bewusst, wie aus Brüssel zu hören ist. China, inzwischen die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, stieg auch zum zweitwichtigsten Handelspartner der EU auf, knapp hinter den USA. Die Union wiederum ist Chinas wichtigster Exportkunde. Der bilaterale Handel wuchs in den letzten zehn Jahren um 280 Prozent. Im ersten Halbjahr 2012 vermeldete die Statistikbehörde Eurostat China-Importe im Wert von 140 Milliarden Euro und EU-Exporte von 73 Milliarden Euro, fast die Hälfte davon stammt aus Deutschland. Allerdings ist dieses Ungleichgewicht ein Problem. Auch die Investitionen von EU-Firmen, im Vorjahr knapp 18 Milliarden Euro, seien zu niedrig.
Trotzdem - in Brüssel bemüht man sich, immer wieder auftretende Streitigkeiten um Subventionen, Einfuhrbeschränkungen, Investitionsbedingungen oder Dumping klein zu reden. So dürfe man auch »Spannungen« im Fall der Solarpaneelen nicht überbewerten. Chinesische Hersteller werden verdächtigt, mit Staatshilfe ihre Produkte zu unfair billigen Preisen anzubieten. Nachdem 25 europäische Firmen Klage eingereicht hatten, leitete die EU-Kommission vor zwei Wochen eine Anti-Dumping-Untersuchung ein - nach Pekinger Angaben Chinas bisher größter Handelsstreit, der zudem weltweit die Entwicklung erneuerbarer Energien behindere.
Auch deutsche Experten sind nicht glücklich mit dem Verfahren. Ein großer Teil der Solarindustrie habe viel zu zögerlich seine enormen Gewinne in Forschung und Entwicklung gesteckt, sagt etwa Klaus Lips vom Helmholtz-Zentrum in Berlin und vermutet eine gewisse Arroganz: Man habe wohl nicht erwartetet, so schnell vom ersten Platz verdrängt zu werden. Selbst der europäische Solarverband AFASE warnte vor dem Schaden von Strafzöllen.
Vor diesem Hintergrund wird auch deutlich, warum das kommunistisch regierte China auf die Anerkennung als Marktwirtschaft drängt: Mit diesem Status hat man bei Streitigkeiten etwa vor der Welthandelsorganisation (WTO) eine bessere Position. Wen vergaß jetzt in Brüssel auch nicht daran zu erinnern, dass China sich mit 43 Milliarden US-Dollar am Kapital der IWF-Garantien für Euro-Staaten beteiligt habe. In den vergangenen Monaten hat Peking weiter in Anleihen von Eurozonen-Regierungen und den Euro-Rettungsfonds EFSF investiert. Man werde »weiterhin helfen, die Schuldenproblematik auf geeignete Weise zu lösen«, erklärte Wen (70), dessen Nachfolger im Oktober benannt werden soll. Auch er räumte »wegen unserer unterschiedlichen Kultur, Geschichte und Sozialsysteme« Meinungsunterschiede ein. Es sei dennoch möglich, »den Dialog fortzusetzen, Unterschiede zu überwinden und gemeinsame Interessen zu wahren«. Diese Botschaft erreichte die Journalisten dann doch noch.
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