Der Kakao ist geerntet
Auch Landwirte im Hochland von Bolivien leiden unter den steigenden Lebensmittelpreisen
Pedro Condore wendet die Kakaobohnen, die auf dem von einer Bastmatte bedeckten Holzgestell in der Sonne trocknen. Heute morgen hat er einige der letzten Schoten auf seiner kleinen Plantage geerntet, sie aufgebrochen und die in weißem Fruchtfleisch verborgenen Kakaokerne herausgelöst. Auf gut fünf Hektar baut Condore im Schutz von großen Urwaldriesen, die den empfindlichen Kakaobäumen Schatten spenden, Kakao an. Die aromatischen Bohnen, die zwischen April und September geerntet werden, sind die wichtigste Einnahmequelle für den bolivianischen Bauern. Der hagere Mann hat eine achtköpfige Familie zu ernähren und klagt über steigende Preise für Lebensmittel in Bolivien. »Reis, Speiseöl und auch Kartoffeln sind in den letzten Jahren deutlich teurer geworden. Das macht es uns nicht leichter«, so der 51-Jährige, der vor vier Jahren ein stabiles Steinhaus neben die alte Holzhütte gesetzt hat und alle seine Kinder zur Schule nach Sapecho schickt.
Selbstorganisiert gegen Kakao-Ankäufer
So heißt das kleine Dorf im tropischen Tiefland von Bolivien. Dort liegt das wichtigste Kakaoanbaugebiet des Landes. Rund 1500 Familien gehören hier der Kakaogenossenschaft El Ceibo an. Die kämpft seit Ende der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts für bessere Lebensbedingungen in der abgelegenen Region. »Wir haben uns damals zusammengetan, um nicht auf Gedeih und Verderb den Ankäufern von Kakao ausgeliefert zu sein. Die haben uns schlechte Preise geboten, also haben wir den Transport von hier unten bis nach La Paz selbst organisiert und so besser verdient«, erklärt Francisco Reynaga, Präsident der Genossenschaft und ebenfalls Kakaobauer.
Damals waren Transport und Vermarktung das, was den Bauern das Leben schwer machte. Fünf Stunden Fahrtzeit auf abenteuerlichen Straßen sind es von Sapecho nach El Alto, der über La Paz liegenden Stadt, wo El Ceibo in den 1980er Jahren eine Schokoladenfabrik eröffnete. Dort arbeitet derzeit auch Francisco Reynaga, der die Genossenschaft fit für die Zukunft machen will. »Wir müssen größeren Mehrwert aus unserem Produkt ziehen, um die Lebensbedingungen unserer Mitglieder zu verbessern«, erklärt der 47-jährige stämmige Mann.
Die Lebensbedingungen sind nicht einfach, denn die Genossen im Tiefland des Verwaltungsbezirks Alto Beni produzieren längst nicht alles, was sie benötigen, und die Lebensmittelpreise in Bolivien sind in den letzten Jahren spürbar angestiegen. »Der wichtigste Indikator sind die Kartoffel- und die Speiseölpreise sowie die für Hühnerfleisch«, meint Miguel Orestes von der Stiftung Tierra. Die forscht und arbeitet seit vielen Jahren zur Landverteilung in Bolivien und zur Nahrungsmittelsicherheit. Um die steht es nicht zum Besten. Bereits 2008 hatte es landesweit Versorgungsprobleme aufgrund von Spekulation gegeben, die sich in steigenden Preisen für Speiseöl und Hühnerfleisch niederschlugen. Bis heute hat sich die Situation nicht grundsätzlich geändert. Zwar verkauft heute niemand mehr an der Regierung vorbei Lebensmittel ungehindert ins Ausland, denn es wird mehr kontrolliert, aber an der Armut in ländlichen Regionen hat sich wenig geändert. »Das ist eine zentrale Herausforderung für die bolivianische Regierung«, mahnt Orestes seit Jahren. Zwar begrüßt auch die Stiftung die Beschaffung von Traktoren und die Einleitung von Bewässerungsmaßnahmen durch die Zentralregierung, aber weitere langfristige Maßnahmen sind nötig, um die Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung auf dem Lande zu bekämpfen.
Preisanstieg von 65 Prozent in sieben Jahren
Davon sind besonders die Armen betroffen, die bis zu 70 Prozent ihres Einkommens für die Ernährung ausgeben, erklärt Juan Calros Núñez. Er ist der Direktor der Stiftung Jubileo. Laut deren Recherchen lag der Preisanstieg bei Lebensmitteln 2011 bei knapp sieben Prozent. Hochgerechnet auf die Periode von 2006 bis 2011 kommt insgesamt eine Preissteigerung von 65 Prozent heraus, so die detaillierte Studie der Stiftung. Sie hat auf Grundlage der offiziellen Daten des Statistischen Instituts Boliviens (INE) die Preisentwicklung für die Lebensmittel der Grundversorgung berechnet. Dazu gehören Speiseöl, Kartoffeln, Reis und Mais, aber eben auch Hühnerfleisch, Gemüse und verschiedener Getreidesorten. Quinoa, das berühmte Andengetreide, welches früher vor allem im Hochland gegessen wurde, zählt längst nicht mehr dazu, weil fast die gesamte Ernte ins Ausland exportiert wird, wie Ernährungsexperten aus dem Agrarministerium in La Paz klagen.
»Es gehört es zu den übergeordneten Zielen unserer Agrarpolitik, die Kleinbauern zu fördern, die Vermarktung ihrer Produkte zu verbessern und auch den Bioanbau landesweit voranzubringen«, erklärt Jorge Serda. Er arbeitet bei Senape, dem Rat für ökologische Produktion, und ist einer der Spezialisten für Vertrieb im bolivianischen Agrarministerium. Beratung für die Bauern und der Aufbau von Netzwerken sind dabei entscheidende Kriterien, um auch in abgelegenen Regionen des Hoch- oder Tieflands Strukturen für den Transport und die Produktion zu schaffen.
Daran haperte es auch in Sapecho. Das abgelegene Dorf verfügt heute jedoch über eine ganze Reihe regionaler Berater, die den Mitgliedern verklickern, wie sie besser und effektiver anbauen und welche Produkte neben dem Kakao sie eventuell auch anbauen sowie vermarkten könnten. Früchte wie Mandarinen, Ananas oder Mangos baut Francisco Reynaga auf seiner Farm an. Mit den Lastwagen der Genossenschaft El Ceibo könnte man die Ware nach La Paz bringen und dort verkaufen, so die Idee der Mitglieder, um Einnahmen abseits von Kakao zu generieren. »So ließe sich steigenden Preisen begegnen«, hofft der El-Ceibo-Direktor, der ausgesprochen aktiv ist, um die Perspektiven seiner Genossen zu verbessern. Diese stellen neben Kakaobutter und Kakaobohnen längst auch Schokolade, Riegel und Bonbons in Bioqualität her. »Dadurch verdienen wir heute deutlich mehr als früher und werden durch die Preisanstiege bei Produkten, die wir nicht selbst produzieren, nicht so hart getroffen«, erklärt Reynaga.
Abhängiger von Getreideimporten
Bei vielen Bolivianern sieht das jedoch ganz anders aus. Zudem haben die veränderten Ernährungsgewohnheiten mit dem ansteigenden Konsum von Pasta und Huhn dafür gesorgt, dass billigere traditionelle Produkte wie die Kartoffel weniger Berücksichtigung finden. Dadurch ist das Land abhängiger von Getreideimporten geworden und auch vom Import von Mais, der vor allem in der Hühnermast eingesetzt wird, wie eine Studie des Dokumentationszentrums CEDIB aus Cochabamba ermittelt hat. Diese führt auch die klimatischen Probleme an, mit denen Bolivien konfrontiert ist. So ist die Dürre in der Region von Cochabamba für sinkende Ernten im laufenden Jahr verantwortlich, wodurch es ebenfalls zu Preissprüngen gekommen ist.
Ein Phänomen, das auch Pedro Condore kennt. Er hat in diesem Jahr zwar eine recht gute Ernte eingefahren, aber die Kakaobäume reagieren empfindlich auf zu viel Feuchtigkeit und auch auf zu viel Trockenheit. »Das kann verheerende Folgen haben«, klagt der Mann und reibt sich die Bartstoppeln am Kinn. Die schwere Dürre, die die USA in diesem Sommer traf, hat sich auch bis nach Sapecho rumgesprochen.
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