Eine SS-Bestie?
Der Fall Erna Dorn - Studie gegen alte und neue Legenden
Rainer Eppelmann hatte 1993 als Vorsitzender der Enquêtekommission des Bundestages Erna Dorn als »KZ-Aufseherin« bezeichnet, ohne dafür Belege vorweisen zu können. Der Berliner Historiker Stefan Wolle wiederum präsentierte im vergangenen Jahr im »Spiegel« eine neue Dorn-Version. Er sprach von einer angeblichen ehemaligen Aufseherin des Frauen-KZ Ravensbrück. Auch Fritz Klein wird von Justus von Denkmann zitiert. In einem ND-Beitrag hat der Geschichtsprofessor die Dorn eine »offenbar geistig verwirrte Frau« genannt, die »nie Kommandeuse des KZ Ravensbrück war«. Das ganze sei eine »perfide gestrickte Legende der SED« gewesen. Schließlich wird auch Ernst Wurl zitiert, der ebenfalls im ND über eine »übelste Propagandakonstruktion der SED« schrieb. In einer Internet-Rezension des GNN-Buches »Spurensuche« zum Thema 17. Juni 1953 charakterisiert Peter Bruhn die nach dem so genannten Volksaufstand in der DDR Hingerichtete als »eine psychisch schwer geschädigte Kranke«, deren SS-Vita vorwiegend ein Stasi-Konstrukt gewesen sei.
Wer war diese Erna Dorn? Justus von Denkmann gesteht, auch keine definitive Antwort geben zu können. Die verbreiteten Versionen füllen mittlerweile Bände. Ein Zeitzeuge behauptet gar, dass die Dorn 1953 in die BRD geschleust worden und dort später verstorben sei. Denkmann favorisiert als solideste und seriöseste Publikationen zum Fall diejenige, die Jens Ebert und Insa Eschebach 1994 vorlegten.
Der Vorwurf, dass sie mehrere Namen benutzte, eigne sich, so von Denkmann, keineswegs als Hinweis auf geistige Verwirrtheit. Die als Erna Kaminski in Tilsit geborene, seit ihrer Heirat mit Erich Dorn nunmehr einen neuen Namen tragende Frau, erhielt ihren dritten und vierten Namen, als sie aus dem KZ Lobositz floh und dabei in die Rolle der Gefangenen Erna Brüser, geborene Scheffler, schlüpfte. Ihre zweite Ehe mit Max Gewald in Halle bescherte ihr wieder einen neuen Namen. Von 1936 bis 1941, so der Autor, habe die Dorn bei der Gestapo gearbeitet, danach im KZ Ravensbrück in der politischen Abteilung beim Erkennungsdienst und in der Dienststellung als Kommissarin. In den Dokumenten, betont von Denkmann, fände sich nirgends ein Hinweis darauf, dass es sich bei der Dorn um eine »Geistesgestörte« gehandelt habe. Zu keiner Zeit habe sie eine Spitzenstellung in der Gestapo oder im KZ innegehabt. Die Bezeichnung »KZ-Kommandeuse« sei falsch. Diese Fälschung hatte die Hallenser Bezirkszeitung »Freiheit« in einem Bericht vom 20. Juni 1953 mit einer Schlagzeile in die Welt gesetzt. Hier findet sich auch die Titulierung »SS-Bestie«. Der Bericht hatte seinen Zweck zu erfüllen: die Untermauerung der These vom faschistischen Putsch am 17. Juni.
Justus von Denkmann appelliert an die Historiker, sich stets strikt an die Quellen zu halten. Dann würden auch nicht alte Legenden durch neue ersetzt.
Justus von Denkmann: Dr Fall Erna Dorn. Spotless, Berlin 2002. 96S., br., 5,10 Euro
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