Raubtierdompteur der DDR

Die Löwen und Panther von Hanno Coldam brüllen längst nicht mehr

  • Jack Rodriguez
  • Lesedauer: 4 Min.
Früher musste sie sich vor den Krallen von Raubkatzen in Acht nehmen, heute manikürt sie schönheitsbewussten Damen die Nägel: Marcella Matloch, Tochter von Dompteur Hanno Coldam. 1982 stand sie erstmals zusammen mit ihrem Vater im Manegenlicht, später auch allein. Seit der 8. Klasse sei ihr klar gewesen, dass sie Raubtierdompteur wird. Doch 1992 kamen die Kündigung und eine Umschulung zur Nageldesignerin. »Ich habe mit dem Zirkus-Leben abgeschlossen«, sagt sie. Heute holt sie die Geschichte wieder ein. Denn heute hätte ihr Vater seinen 70. Geburtstag gefeiert. Doch die Blumen muss sie ihm auf den Friedhof in der Bergstraße bringen, unweit von der Krausnickstraße, wo der Berliner Junge aufwuchs. Mit 14 schmiss Heinz Matloch - so sein bürgerlicher Name - seine Schmiedelehre, um beim Zirkus Barlay als Requisiteur anzuheuern. Der als »Tarzan« bekannte französische Dompteur Gilbert Houcke engagierte ihn 1950 als Tierpfleger. Drei Jahre später schien der 21-Jährige seinem Berufsziel nahe. Als Houcke erkrankte und ein Ersatzdompteur gleich bei der ersten Probe verletzt wurde, entschied Zirkusdirektorin Paula Busch, dass der Stallbursche beim Gastspiel in Leipzig zu den acht Bengaltigern in den Käfig steigen soll. Matloch hatte sich genug bei seinem Meister abgeschaut, und so wurde der Junge in Pluderhosen zwischen den gestreiften Katzen ein Ereignis. Einige Monate später bewarb er sich an der Stätte seines ersten Erfolgs als Raubtierdompteur und wurde angenommen. Seine mit Humor vorgeführte Löwenkinderstube war der Beginn für den Clown im Raubtierkäfig, dessen Parade-Nummer eine Löwen-Rasur war. Sein spielerischer Umgang mit den Tieren machte vergessen, dass sie weiterhin gefährliche Partner waren. Er kannte ihre Talente, Vorlieben und Fähigkeiten und nutzte sie für seine Tricks. Sein Einfühlungsvermögen war auch der Schlüssel zu einem internationalen Erfolg, den vor und nach ihm niemand erreichte: die Dressur schwarzer Panter. Es gelang ihm, zehn der behänden Einzelgänger in einer effektvollen Aufführung zu vereinen. Deren Höhepunkte waren ein Feuerreifensprung und ein Balkenlauf, bei dem die Tatzen in der dunklen Manege Lampen einschalteten. Für die Weltsensation erhielt Hanno Coldam 1965 als erster Artist den Nationalpreis der DDR. Später übergab er die Gruppe seiner Frau Regina Marcella und baute eine neue Löwengruppe auf. Mit bis zu vier Raubtiergruppen gleichzeitig reisten die beiden. Lebendige Erinnerung an ein 18-monatiges Japan-Gastspiel ist ein Graupapagei. Munter plappernd sitzt er heute in der Wohnung von Regina Marcella Matloch. Das Neubauquartier in Berlin-Weißensee ist fast so klein und zweckmäßig, wie der sieben Meter lange Zirkuswagen, der dem Ehepaar fast 35 Jahre die Heimat war. Reich seien sie durch ihre Arbeit nicht geworden, sagt sie: »Ich habe wie eine bessere Verkäuferin verdient.« Daher brachte alles Nachrechnen im Winter 1989/90 nur ein Ergebnis: Sie konnten es sich nicht leisten, ihre 16 indischen Löwen zu kaufen. »Wir hätten einen Fuhrpark anschaffen, Tierpfleger einstellen und Platz mieten müssen. Dazu kommen Tierarztkosten und das Fleisch. Da hätten wir 500 DM pro Tag nehmen müssen. Das hätte uns niemand gezahlt«, resümiert sie. Dennoch - im ehemaligen volkseigenen Zentral-Zirkus hätte sie noch eine Chance gesehen. Doch zu viele Menschen, die keine Ahnung vom Zirkus gehabt hätten, bestimmten. »Der letzte Direktor ist morgens mit der Teetasse über den Platz gelaufen und hat gefragt: "Hanno, was meinst du?"«, erinnert sich Regina Marcella. Doch Coldams Rat wurde nicht befolgt, Zirkus Busch spielte an den falschen Orten und für zu niedrige Eintrittspreise. Es gab noch eine Hoffnung. Gemunkelt wurde von einem Engagement beim Münchener Zirkus Krone, bei dem sie bereits 1973 mit den Pantern und der lustigen Löwennummer für Furore gesorgt hatten. Mitzuteilen hatte die Generaldirektion im Februar 1992 Vater und Tochter jedoch anderes: »So Hanno, du gehst in den Vorruhestand und du, Marcella, bist noch jung. Du kannst eine Umschulung machen«, gibt Marcella das kurze Gespräch wieder, das Hanno Coldam den Lebenssinn raubte. Seit seinem ersten freien Tag blieb er im Bett liegen. Erst spät diagnostizierten die Ärzte Krebs. Am 13. April 1992 starb er. Aber allen war klar, dass es ein innerer Selbstmord gewesen ist.

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