Wer dieser Tage von Gynäkologie im Gesundheits-Show-Format hört, erwartet auf chromblitzenden Frauenanschau-Apparaten das Innerste nach außen gekehrt zu sehen. Für »Dr. Verena Breitenbach« hatte Pro7-Niedrig-Humor-Spezialist Stefan Raab die Rezeptionshaltung gleich vorgegeben: Die TV-Sprechstunde sei die Fortsetzung von »Der heiße Stuhl«, ließ er via »Bild« verbreiten. Wahrscheinlich ist auch zu ihm die Kunde von Annie Sprinkle gedrungen. Die ehemalige Porno-Queen, feministische Sex-Aufklärerin und Performerin ließ seit den 70er Jahren Männer (und Frauen) mit Licht und Lupe zwischen ihre Schenkel bis tief in die Gebärmutter hineinblicken und gab zusätzlich Tipps für orgiastischen, aber gesundheitlich unbedenklichen Sex. Ungewöhnlich, grenzwertig und spektakulär waren Annies Vagina-Shows. Mit ihrem trockenen Humor fegte die Sexualpionierin Schamgrenzen hinweg und erkundete mit ihrem gesellschaftlich aufbrechenden Publikum bislang im Schlafzimmerdunkel versteckte Territorien. Bei Verena Breitenbach ist alles genau andersherum. Zum Glück zum einen, denn keiner der Laiendarsteller muss sich der Kleider entledigen und Studio- und Fernsehpublikum seine Geschlechtsorgane präsentieren. Schamhaft bleibt alles verdeckt. Untersuchungen werden per Blickdiagnose aus zehn Metern durchgeführt, medizinische Vorgänge per Schautafeln erläutert und gelegentlich mit dem Zustand der Betroffenen abgeglichen.
Sexuelle Lustlosigkeit, mangelnde Gliedsteife, Depression, das sind die Köder, um das Format »Gesundheitsshow« nennen zu können. Die avisierten Störungen haben fast durchweg keine organischen Ursachen. Julia will nicht mehr mit Martin schlafen, seitdem ihr Freund, ein Ex-Triathlet, in Folge eines Unfalls im Rollstuhl sitzt. Der will aber, obwohl er keine Erektion mehr bekommt. Immerhin hilft Viagra. Breitenbach erläutert am Schaubild, dass auch Querschnittsgelähmte Lust fühlen können. Julia gibt nun zu, Martin nicht mehr zu lieben. Der habe sie mit seinem Wunsch nach Familie zu sehr erdrückt. Nach einem Streit stürzt sich Martin mit seinem Fahrrad auf die Piste, um sich abzureagieren. Julia schnappt ein Auto und brettert gleichfalls los. Sie entdeckt Martin, fährt ihn um, flieht unerkannt, sorgt sich später aus schlechtem Gewissen um ihn, mag ihn aber auch nicht mehr berühren. Ebenso wenig mag sie reden. Oder Uwe. Er begehrt seine Frau Sabrina nach sieben Jahren Ehe nicht mehr. Die giftigen Farbdämpfe an seiner Arbeitsstelle lassen die Schwellkörper nicht mehr schwellen, Sabrinas Geschrei beim Sex lässt das letzte Blut aus dem Penis wieder abfließen. In der Sendung stellt sich heraus, das Uwe seit acht Monaten mit Nachbarin Renate vögelt, so gut, dass diese gleich noch schwanger werden und eine Familie gründen will. Mit Hilfe der zufällig im Publikum sitzenden Zeugin Renate klärt Doc Breitenbach in der Manier von Fernsehrichterin Barbara Salesch den Fall auf. Die Strickmuster ähneln sich. Hat Salesch vier Fälle, so muss sich Breitenbach mit drei Fällen pro Stunde, dargestellt von Laienschauspielern, beschäftigen. Zwei Parteien werden miteinander konfrontiert, Zeugen geben Hinweise und spitzen den Konflikt noch zu. Statt eines Urteils erfahren die Beteiligten »medizinischen Rat und die ganze Wahrheit« (Motto der Sendung).
hi hanno, hier die gynäkoligin ciao, tom Wer dieser Tage von Gynäkologie im Gesundheits-Show-Format hört, erwartet auf chromblitzenden Frauenanschau-Apparaten das Innerste nach außen gekehrt zu sehen. Für "Dr. Verena Breitenbach³ hatte Pro Siebens Niedrig-Humor-Spezialist Stefan Raab die Rezeptionshaltung gleich vorgegeben: Die TV-Sprechstunde sei die Fortsetzung von "Der heiße Stuhl³, ließ er via Bild verbreiten. Wahrscheinlich ist auch zu ihm die Kunde von Annie Sprinkle gedrungen. Die ehemalige Porno-Queen, feministische Sex-Aufklärerin und Performerin ließ seit den 70er Jahren Männer (und Frauen) mit Licht und Lupe zwischen ihre Schenkel bis tief in die Gebärmutter hinein blicken und gab zusätzlich Tipps für orgiastischen, aber gesundheitlich unbedenklichen Sex. Ungewöhnlich, grenzwertig und spektakulär waren Annies Vagina-Shows. Mit ihrem trockenen Humor fegte die Sexualpionierin Schamgrenzen hinweg und erkundete mit ihrem gesellschaftlich aufbrechenden Publikum bislang im Schlafzimmerdunkel versteckte Territorien. Bei Verena Breitenbach ist alles genau anders herum. Zum Glück zum einen, denn keiner der Laiendarsteller muss sich der Kleider entledigen und Studio- und Fernsehpublikum seine Geschlechtsorgane präsentieren. Schamhaft bleibt alles verdeckt. Untersuchungen werden per Blickdiagnose aus zehn Metern durchgeführt (Marke: "Sie sehen aber ganz blass aus.³), medizinische Vorgänge per Schautafeln erläutert und gelegentlich mit dem Zustand der Betroffenen abgeglichen. "Ihre vereiterten Brustwarzen sehen doch auch ungefähr so aus? Ja.³) Zum anderen entfaltet die munter dahinschwäbelnde Ulmer Ärztin jedoch einen Diskurs über Sexualität, der den 50er Jahren entnommen scheint. Nix da mit Lust. Sex kommt bei ihr als "Geschlechtsverkehr³ daher, eine für eine Beziehung zwar notwendigerweise zu praktizierende, aber doch reichlich gefährliche Kulturtechnik, für die man geeignete Bedingungen schaffen muss: eine ökonomisch abgesicherte heterosexuelle Zweierbeziehung. Daher stehen gar nicht so sehr die gesundheitlichen Probleme im Mittelpunkt. Sexuelle Lustlosigkeit, mangelnde Gliedstiefe, Depression sind der Köder, um das Format Gesundheitsshow nennen zu können. Die avisierten Störungen haben fast durchweg keine organischen Ursachen. Julia will nicht mehr mit Martin schlafen, seitdem ihr Freund, ein Ex-Triathlet, in Folge eines Unfalls im Rollstuhl sitzt. Der will aber, obwohl er keine Erektion mehr bekommt. Immerhin hilft Viagra. Breitenbach erläutert am Schaubild, dass auch Querschnittsgelähmte Lust fühlen können. Julia gibt nun zu, Martin nicht mehr zu lieben. Der habe sie mit seinem Wunsch nach Familie zu sehr erdrückt. Nach einem Streit stürzt sich Martin mit seinem Fahrrad auf die Piste, um sich abzureagieren. Julia schnappt ein Auto und brettert gleichfalls los. Sie entdeckt Martin, fährt ihn um, flieht unerkannt, sorgt sich später aus schlechtem Gewissen um ihn, mag ihn aber auch nicht mehr berühren. Ebensowenig mag sie reden. Ein Therapeut hätte ihr geholfen, ein Auftritt bei "Angelika Kallwass³ vor dem Streit vielleicht auch. Uwe begehrt seine Frau Sabrina nach sieben Jahren Ehe nicht mehr. Die giftigen Farbdämpfe an seiner Arbeitsstelle lassen die Schwellkörper nicht mehr schwellen, Sabrinas Geschrei beim Sex lässt das letzte Blut aus dem Penis wieder abfließen. In der Sendung stellt sich heraus, das Uwe seit acht Monaten mit Nachbarin Renate vögelt, so gut, dass diese gleich noch schwanger werden und eine Familie gründen will. Uwe hat sie verboten, Sex mit Sabrina zu haben. Der würde offensichtlich ganz gerne, wenn Sabrina nur nicht so schreien würde, was ja Renate hörte. Zur Feigheit vor der Gattin kommt die Feigheit vor der Geliebten der vermeintliche Ausweg: die simulierte Erektionsstörung. Mit Hilfe der zufällig im Publikum sitzenden Zeugin Renate klärt Doc Breitenbach in der Manier von Fernsehrichterin Barbara Salesch den Fall auf. Die Strickmuster ähneln sich. Hat Salesch vier Fälle, so muss sich Breitenbach mit drei Fällen pro Stunde, dargestellt von Laienschauspielern, beschäftigen. Zwei Parteien werden miteinander konfrontiert, Zeugen geben Hinweise und spitzen den Konflikt noch zu. Statt eines Urteils erfahren die Beteiligten "medizinischen Rat und die ganze Wahrheit³ (Motto der Sendung). Wer sich wirklich Aufklärung erwartet, sollte allerdings zum Arzt gehen, ansonsten reichen "Bravo³- und "Bunte³-Kolumnen (wo Dr. Breitenbach mitunter auch rät) dicke aus. Wer allerdings einen Blick auf Deutschland als verklemmtes, konservatives und gerade in der Familie kommunikationsgestörtes Universum werfen will, ist bei ihr doch ganz gut aufgehoben. Den Vogel schoss bislang Isabel ab, Die 18jährige hat noch keinen Freund und zieht sich im früher harmonischen 3-Frauen-Haushalt mit Mutter und Schwester immer mehr zurück. Sie hat eine Adoptionsurkunde mit getilgten Namen gefunden. Erst in der Sendung erfährt sie, dass ihre Schwester ihre leibliche Mutter ist, die wegen des Skandals einer Schwangerschaft mit 14 ihrer Mutter das Kind unterschob und mit ihr als Schwester aufwuchs. Alle lebten diese Lüge täglich 18 Jahre lang. Der Fall soll authentisch sein. Ist dem so, dann ist an diesem Land der Aufbruch von 1968 offensichtlich spurlos vorübergegangen. Und es braucht tatsächlich Sendungen wie diese. Pro7 hat bereits ähnliche Formate in Planung.
Wer sich wirklich Aufklärung erwartet, sollte allerdings zum Arzt gehen, ansonsten reichen »Bravo«- und »Bunte«-Kolumnen (wo Dr. Breitenbach mitunter auch rät) dicke aus. Wer allerdings einen Blick auf Deutschland als verklemmtes, konservatives und gerade in der Familie kommunikationsgestörtes Universum werfen will, ist bei ihr doch ganz gut aufgehoben.
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