Widerstand gegen die Staatsgewalt? Teil 1

  • Prof. Dr. Erich Buchholz, Rechtsanwalt
  • Lesedauer: 5 Min.
Widerstand gegen die Staatsgewalt oder - wie es seit 1975 im bundesdeutschen Strafgesetzbuch genau heißt - Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte ist kein Kavaliersdelikt. Solchen Widerstand duldet die Staatsmacht nicht, und auch die Strafgerichte reagieren mit entsprechenden Strafen. Als Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gem. § 113 Abs. 1 StGB gilt, »wer einem Amtsträger oder Soldaten der Bundeswehr, der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen ist, bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung mit Gewalt oder Drohung mit Gewalt Widerstand leistet oder ihn dabei tätlich angreift.« Und nach § 114 StGB macht sich auch strafbar, wer Widerstand gegen Diensthandlungen gegenüber Personen vornimmt. »die die Rechte und Pflichten eines Polizeibeamten haben oder Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft sind, ohne Amtsträger zu sein« (das sind insbesondere Forst- und Feldhüter) und ebenso, wenn diese Personen »zur Unterstützung bei der Diensthandlung zugezogen sind«. Ein solcher Widerstand erfordert keine größere Kraftentfaltung oder Gewaltanwendung; eine damit zusammenhängende Tätlichkeit dürfte des Öfteren zugleich als Körperverletzung strafbar sein. Daher kann ein Betreffender u.U. sehr leicht dazu kommen, eines solchen Widerstands verdächtigt und beschuldigt zu werden, ohne dass es ihm so recht zu Bewusstsein gekommen ist oder sein muss. Schon ein Sich-Festhalten, z.B. an einer Laterne, am Lenkrad des Fahrzeugs oder einem Hauseingang oder an einem Treppengeländer und ebenso das sich mit aller Kraft gegen den Boden Stemmen, um den »Vollstreckungshandlungen« zu begegnen oder sich diesen zu entziehen, kann den Straftatbestand des § 113 StGB erfüllen. Auch genügt das Sich-LosReißen oder das Wieder-an-sich-Reißen einer Sache, die der Beamte bereits an sich genommen hatte. Auch kräftig kreisende Bewegungen, um sich einem Festhalten bzw. polizeilichem Zugriff zu entziehen, kann genügen. Solches ergibt sich nicht selten dann, wenn der Betreffende von Polizeibeamten oder anderen befugten Beamten eine Aufforderung, »zur Klärung eines Sachverhalts« bzw. zur Feststellung der Identität auf das Polizeirevier oder die betreffende Dienststelle mitzukommen, nicht Folge leistet und wenn dann diese Beamten zur Durchsetzung ihrer dienstlichen Handlung, zur »Vollstreckung des Gesetzes«, einfache körperliche Gewalt, z.B. den so genannten Polizeigriff, anwenden oder dem Betreffenden Handfesseln anlegen. Daher ist dringlich anzuraten, einer entsprechenden Aufforderung von Beamten, die sich hinreichend ausgewiesen haben, regelmäßig Folge zu leisten, um die Sache - oder auch einen Irrtum der Beamten - später, durch Rechtsbehelfe, ggfs. mit Hilfe eines Rechtsanwalts, aufzuklären. Man muss sich darüber im Klaren sein: Ein Widerstand würde mit allen gebotenen Mitteln gebrochen werden. Auch wenn sich später, u.U. wesentlich später, die Sache als harmlos darstellt oder sich ein Irrtum der Behörde herausstellt, bliebe, wenn der Betreffende sich widersetzt hatte, jedenfalls die Straftat des Widerstands gemäß §113 StGB. Und auf einer Strafverfolgung dieser Straftaten würden die Behörden, denen ein Fehlgriff unterkam, (schon aus Gründen der Staatsräson) in jedem Fall bestehen, so dass es jedenfalls zu keiner Totaleinstellung des Verfahrens bzw. zu keinem Totalfreispruch käme. Erfahrene Teilnehmer an Sitzblockaden oder ähnlichen Demonstrationen verhalten sich daher so, dass ihnen kein Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zur Last gelegt werden kann. Sie sitzen oder liegen friedlich und lassen sich von Beamten wegtragen - wie man es dann im Fernsehen sehen kann. Eine wesentliche Voraussetzung eines strafbaren Widerstands gemäß §113 StGB besteht darin, dass die Vollstreckungshandlung rechtmäßig war. Im Abs. 3 des § 113 StGB heißt es ausdrücklich: die Tat ist nicht nach dieser Vorschrift - also nicht wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte - strafbar, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist. Aber wann ist eine solche Diensthandlung - in den Augen der Juristen - rechtmäßig und wann nicht und woran kann ein Bürger, ein Betroffener, dies erkennen? Es darf auf - ganz wenige - Fälle verwiesen werden, in denen erst nach Monaten oder Jahren höhere Instanzen - nach Durcharbeitung der Akten und gründlichem Studium der Kommentare und der Rechtsprechung - erkannten, dass ein bestimmter Polizeieinsatz doch nicht (mehr) oder jedenfalls nicht in vollem Umfang rechtmäßig war. Gerade die Rechtsprechung zu den Sitzblockaden, darunter zwei - entgegengesetzte - Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts wegen Nötigung (§ 214 StGB) zeugen von der juristischen Schwierigkeit der Beurteilung der Rechtmäßigkeit polizeilichen Handelns bzw. des Handelns betreffender Demonstranten. Die Juristen haben schon längst entsprechende »juristische Argumente« erfunden, um die Rechtfertigung eines Widerstands gemäß § 113 StGB einzuschränken. Dazu gehört vor allem die - von den Gerichten in der Regel unterstellte - Rechtmäßigkeit der betreffenden Diensthandlung lediglich als »objektive Bedingung der Strafbarkeit« anzusehen. Was bedeutet das? Nach dieser, inzwischen im Gesetz festgeschriebenen Auffassung ist die Rechtmäßigkeit der betreffenden Diensthandlung kein Tatbestandsmerkmal. Würde nämlich diese Rechtmäßigkeit der betreffenden Diensthandlung zum (objektiven) Tatbestand gerechnet werden, müsste sich der Vorsatz des Widerstand Leistenden, um ihn bestrafen zu können, auch darauf bezogen haben, dass die Diensthandlung der Beamten rechtmäßig war, dass er sie als rechtmäßig angesehen habe und dieser trotzdem Widerstand entgegensetzte, so dass sein Widerstand unzulässig und also strafbar wäre. Hielt er sie für rechtswidrig, könnte er nicht wegen einer Straftat gem. §113 StGB bestraft werden. Danach könnte also die Strafbarkeit von der Auffassung des Täters abhängen! Das aber darf nicht sein! Sieht man jedoch die Rechtswidrigkeit - wie jetzt dem Gesetzeswortlaut zu entnehmen ist - lediglich als eine »objektive Bedingung der Strafbarkeit« an, dann kommt es nicht darauf an, ob der Täter dies wusste bzw. so sah. Nach der geltenden Fassung des § 113 Abs. 3 StGB entfällt die Strafbarkeit, »wenn der Täter irrig annimmt, die Diensthandlung sei rechtmäßig«. Wenn er jedoch irrig annimmt, sie sei nicht rechtmäßig, obzwar sie rechtmäßig war, dann hängt es gem. Abs. 4 des § 113 StGB davon ab, ob »er den Irrtum vermeiden (konnte)«, worüber die Gerichte entscheiden. In der Praxis des Lebens mag der Umstand, dass die die Diensthandlung vornehmenden Beamten bei der Vornahme dieser eine (die richtige?) Uniform trugen und (bei Beamten in Zivil) sich hinreichend ausweisen konnten, für die Rechtmäßigkeit solcher Diensthandlungen sprechen, sicher ist dies allerdings nicht. Noch komplizierter wird dies bei Widerstandshandlungen gem. § 114 StGB, also bei gewöhnlichen Bürgern, »die die Rechte und Pflichten eines Polizeibeamten haben oder Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft sind, ohne Amtsträger zu sein«, oder »die zur Unterstützung der Diensthandlungen zugezogen sind«. Woran der Betreffende dies in den meist wenig übersichtlichen Situationen, etwa bei Durchsuchungs- oder Festnahmehandlungen oder bei Polizeieinsätzen, erkennen konnte oder soll erkannt haben, bleibt der richterlichen Beweiswürdigung und dem richterlichen Ermessen überlassen, also ein Feld für unterschiedliche Rechtsprechung. (wird fortgesetzt)

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.