Der »unvollendete« Krieg
Die Planung für einen Angriff gegen Irak begann schon bald nach dem »Wüstensturm« 1991
Ein wesentliches Mittel zum Zweck war die Einrichtung der so genannten Flugverbotszonen im Norden und Süden Iraks. Die eine im April 1991 einseitig von der USA-Regierung bekannt gegeben. Die andere im August 1992 zwischen USA, Großbritannien, Frankreich und Russland vereinbart. Moskau und Paris gingen erst 1996 auf Distanz zum US-amerikanisch-britischen Kriegskurs gegen Irak.
Mit der Einrichtung der Flugverbotszonen wurde ein doppeltes Ziel verfolgt: Erstens sind sie Vorwand für regelmäßige Luftangriffe, an denen sich bis 1993 auch die französische Luftwaffe beteiligte. Zweitens sollten sie der bewaffneten Opposition gegen Saddam Hussein - den Kurden im Norden und den von Iran unterstützten Schiiten im Süden - Schutz bieten und ihnen Bewegungsfreiheit verschaffen, um schließlich gemeinsam mit Teilen des Offizierskorps Saddam Hussein zu stürzen.
Die Rechnung der USA-Regierung, auf diese Weise Irak mit den nach Saudi-Arabien zweitgrößten Erdölvorkommen der Welt in die Hand zu bekommen, wurde 1995/96 zerschlagen. Zunächst scheiterten von der CIA organisierte Aufstandsversuche im Jahre 1995. Im Juni 1996 ging die irakische Armee gegen die aus Offizieren bestehende Oppositionsgruppe INA vor, nahm Hunderte von CIA-Kollaborateuren gefangen. Der Rest wurde von den Amerikanern hastig evakuiert.
Als die Hoffnung auf einen Aufstand schwand
In Nordirak spitzte sich im August 1996 der Konkurrenzkampf zwischen den kurdischen Organisationen KDP und PUK zu, bei dem es auch um materielle Interessen wie die Kontrolle über die Schmuggelwege ging. Schließlich verbündete sich die KDP mit der irakischen Armee gegen die mit Iran zusammenarbeitende PUK.
Die Hoffnung, Saddam Hussein von innen stürzen zu können, war damit erst einmal dahin. Die USA reagierten Anfang September 1996 mit massivem Einsatz von Marschflugkörpern gegen zahlreiche Ziele in Irak. Präsident Clinton gab die Ausweitung der südlichen Flugverbotszone vom 32. auf den 33 Breitengrad bekannt; sie reicht nun nahe an Bagdad heran.
1997 entwickelte sich ein Konflikt um die Arbeit der UNO-Inspektoren. Die irakische Regierung erhob den offenbar zutreffenden Vorwurf, dass einige Inspektoren ihre Tätigkeiten vor allem dazu missbrauchten, Daten zu sammeln und weiterzugeben, die dann als Grundlage US-amerikanisch-britischer Luftangriffe dienten.
Dieser Streit führte im Dezember 1998 zum Abzug der Inspektoren aus Irak. Als Strafmaßnahme starteten die USA und Großbritannien mehrtägige massive Bomben- und Raketenangriffe, die so genannte Operation »Wüstenfuchs«.
Rumsfeld und Wolfowitz warben schon 1998
Das Jahr 1998 stellte für die inneramerikanische Kriegsdiskussion einen Wendepunkt dar, nachdem schon 1997 eine Studie der konservativen Heritage Foundation erschienen war, die harte militärische und wirtschaftliche Maßnahmen gegen Irak forderte. Eine weitere Heritage-Studie vom 5. Februar 1998 befürwortete Luftangriffe gegen sämtliche militärischen Ziele, wie etwa Kasernen, mit dem Ziel, die irakischen Streitkräfte zu »pulverisieren«. Die Flugverbotszonen sollten auf das ganze Land ausgedehnt werden. Eine dritte, am 27. Februar 1998 erschienene Heritage-Studie brachte auch die Option eines Einsatzes US-amerikanischer Bodentruppen ins Spiel. Diese könnten »unter den richtigen Bedingungen« (»vielleicht als Unterstützung innerer Aufstände«) dazu beitragen, »den Job, Saddam zu stürzen, erfolgreich abzuschließen«.
Am 26. Januar 1998 veröffentlichte das Project for the New American Century, eine maßgebliche Denkfabrik im neokonservativen Netzwerk, einen von mehreren prominenten Politikern und Autoren unterschriebenen offenen Brief an Präsident Clinton. Inhalt: Die Diplomatie sei eindeutig gescheitert, jetzt müssten militärische Aktionen gegen Irak vorbereitet werden. Der Sturz Saddam Husseins müsse zum strategischen Ziel werden. Die Politik der USA dürfe sich nicht durch Rücksicht auf Konsens im UNO-Sicherheitsrat selbst lähmen.
Unter den Unterzeichnern befanden sich mehrere Politiker, die schon zu Zeiten von Reagan und Bush Senior wichtige Regierungsämter innegehabt hatten und heute in der Regierung von George W. Bush zu finden sind:
Verteidigungsminister Donald Rumsfeld,
sein Stellvertreter Paul Wolfowitz,
Richard Perle, Vorsitzender des einflussreichen Beratergremiums im Pentagon, des Defense Policy Board,
Richard L. Armitage, jetzt Staatssekretär im Außenministerium,
John Bolton, jetzt stellvertretender Außenminister,
Zalmay Khalilzad, im Dezember 2001 nach dem Sturz der Taliban zum Sonderbeauftragten für Afghanistan ernannt, seit kurzem auch Sonderbeauftragter für die Kontakte zur irakischen Opposition,
Douglas Feith, jetzt Staatssekretär für Politik im Verteidigungsministerium. Feith unterschrieb zwar nicht den Offenen Brief vom 26. Januar, aber einen kurz darauf folgenden ähnlichen Inhalts vom 19. Februar.
Am 31. Oktober 1998 unterzeichnete Präsident Bill Clinton den Iraq Liberation Act (ILA), mit dem sich die USA-Regierung zur Unterstützung der irakischen Opposition bis zum Sturz Saddam Husseins bekannte. Für diesen Zweck sollten bis zu 97 Millionen US-Dollar zur Verfügung gestellt werden. Zuvor hatte es im Kongress sowie zwischen Kongress und Präsident harte Auseinandersetzungen um die Details des ILA gegeben. Die Republikaner, vor allem deren neokonservative Sprecher, warfen Clintons Irak-Politik Schwäche und Versagen vor.
Die Durchsetzung des ILA verbindet sich in erster Linie mit dem Namen von Senator Trent Lott, dem damaligen Fraktionsführer der Republikaner im Senat. Dieser »Freiheitskämpfer« verursachte vor einigen Wochen einen politischen Skandal, der ihn zwang, die Fraktionsleitung niederzulegen. Lott, Senator aus dem Südstaat Mississippi, sprach als Gratulationsredner auf der Geburtstagsfeier von Strom Thurmond, der 1948 als Präsidentschaftsbewerber angetreten war und sich für strikte Rassentrennung eingesetzt hatte. Auf der Feier im Dezember 2002 sagte Lott: »Wir aus Mississippi sind stolz, 1948 für Thurmond gestimmt zu haben. Und wenn uns der Rest des Landes gefolgt wäre, hätten wir nicht all die Jahre lang diese vielen Probleme gehabt.« - Es folgte ein Proteststurm, der bis ins Lager der Neokonservativen reichte.
Der 11. 9. - das »Fenster der Gelegenheit«
Neun Tage nach den Terrorangriffen vom 11. September 2001 erschien ein weiterer offener Brief zahlreicher Prominenter, diesmal an Präsident Bush, mit dem das neokonservative Netzwerk seine Taktik der Druckausübung fortsetzte. Darin hieß es: »Vielleicht hat die irakische Regierung in irgendeiner Form den Angriff auf die Vereinigten Staaten unterstützt. Aber selbst wenn es keine Beweise gibt, die Irak direkt mit dem Angriff verbinden, muss jede Strategie, die den Terrorismus und seine Unterstützer ausrotten soll, eine entschiedene Anstrengung zur Entfernung Saddam Husseins von der Macht einschließen. (...) Die amerikanischen Streitkräfte müssen darauf vorbereitet sein, unsere Verpflichtung gegenüber der irakischen Opposition mit allen erforderlichen Mitteln zu unterstützen.«
An Versuchen, Saddam Hussein unmittelbar mit dem 11. September in Verbindung zu bringen, hat es nicht gefehlt. So wurde behauptet, Mohammed Atta sei im April 2001 in Prag mit einem irakischen Agenten zusammengetroffen. Es wurde sogar spekuliert, dass dabei über einen Anschlag auf den USA-Propagandasender »Radio Free Europe« in Prag gesprochen worden sei. Mitglieder der tschechischen Regierung haben diese Geschichte so oft dementiert oder bestätigt, dass am Ende wohl niemand mehr durchblickte. Dass die USA-Regierung darauf verzichtet, von diesem Gerücht Gebrauch für ihre Kriegspropaganda zu machen, spricht jedenfalls eher gegen dessen Wahrheitsgehalt.
Dasselbe gilt für die Behauptung, Irak stecke hinter den Anthrax-Anschlägen in den USA, oder die Geschichten über Al-Qaida-Trainingslager in Irak. So beispielsweise die Legende, auf Satellitenaufnahmen sei ein nahe Bagdad gelegenes Gelände mit einem Passagierflugzeug zu erkennen. An dieser Maschine würden Terroristen in der Technik der Flugzeugentführung ausgebildet. Solche Märchen stammen in der Regel von angeworbenen irakischen Überläufern, von denen nicht wenige selbst an Kriegsverbrechen - wie dem Einsatz von Giftgas gegen Kurden in den 80er Jahren - beteiligt waren. Und bei den zum Teil tödlichen Milzbrandbriefen legten schon früh genetische Vergleiche den Verdacht nahe, dass die Anthrax-Sporen nicht aus Irak, sondern aus dem US Armys Medical Research Institute for Infectious Deseases (USAMRID) in Frederick bei Washington stammen. Ganz oben auf der Fahndungsliste des FBI steht Steven J. Hatfill, viele Jahre als Biowaffenexperte in Diensten der USA-Behörden. Doch die Ermittlungen ziehen sich noch immer hin, und Beobachter vermuten, hier solle wohl verhindert werden, dass weitere Informationen über die geheime Biowaffenforschung der USA ans Licht gelangen.
Der Irak-Krieg, den die USA-Regierung, wie mehrmals beteuert, auch ohne UN-Beschluss auslösen will, hat mit dem 11. September nichts zu tun - außer dass der Schock über die Terrorangriffe den psychologischen Rahmen lieferte, um jahrelang vorbereitete Kriegspläne in Gang zu setzen. Daher sollte man diesmal sehr aufmerksam sein, wenn die selben neokonservativen Kräfte, die 1998 den Irak-Krieg auf die Tagesordnung setzten, heute ganz offen schreiben, dass anschließend als nächstes Ziel Iran »dran« sei oder dass man die saudi-arabischen Erdölfelder besetzen müsse.
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