Eine Mutter-Sohn-Geschichte
Interview mit Wolfgang Becker - sein Berlinale-Wettbewerbsfilm »Good Bye, Lenin!« kommt bereits heute bundesweit in die Kinos
ND: Herr Becker, sind Sie Ostalgiker?
Unser Film hat nichts Ostalgisches, nichts von dieser Wehmut, mit der man sich an vermeintlich bessere Zeiten erinnert. Er erzählt eine universelle Geschichte von einer Mutter und einem Sohn, und was er aus Liebe zu ihr alles tut, wie er ihr eine ganze Welt vorgaukelt, weil die Wahrheit lebensbedrohlich für sie wäre. Da ist ein Mensch, dem plötzlich die Welt offen steht, frisch verliebt, die Mauer ist gefallen, die Enge weg, die Zukunft verheißungsvoll - und just in dem Moment wacht seine Mutter aus dem Koma auf, und er kann sie nur retten, indem er in genau die entgegengesetzte Richtung rennt wie alle anderen und die Vergangenheit für sie lebendig hält.
ND: Drehbuchautor Bernd Lichtenberg stammt wie Sie aus Nordrhein-Westfalen. Ist es nicht ziemlich gewagt, wenn ausgerechnet zwei Westler sich so eines Stoffes annehmen?
Das wird viel zu hoch gehängt. Für mich ist es als Mann schwieriger, einen Film über die Emotionalität einer Frau zu machen, als als Wessi einen Film über einen Ossi. Ziemlich viele DDR-Regisseure sind direkt nach der Wende ins westdeutsche Fernsehsystem gegangen, und da hat auch niemand großartig Fragen gestellt, wie denn jemand, der im Osten sozialisiert ist, sofort irgendwelche »Tatorte« oder Vorabend-Serien drehen kann, in denen die Protagonisten Westler sind. Trotzdem hört man manchmal einen versteckten Vorwurf, als ob wir jetzt den Ostlern sogar noch ihren ureigenen Stoff vor der Nase weggeschnappt hätten. Dabei lag der nun wirklich lange genug rum.
ND: Warum hat ihn so lange niemand aufgegriffen?
Es braucht Zeit, bis Rückbesinnung möglich wird, bis sich die Verkrampftheit gelegt hat und man frischer und freier und mit einer gewissen Ironie von Gewesenem erzählen kann. Erst wirft man schnell den Trabi und die alten Möbel weg, kauft sich ein neues Auto und Möbel von Ikea. Heute gibt es in Berlin Geschäfte, da werden DDR-Möbel wie Designerware gehandelt. Denn später, wenn man seine eigene Entfremdung zu spüren beginnt und wie schwierig es ist, sich in den neuen Verhältnissen zurechtzufinden, fällt einem mit einer gewissen Wehmut ein, dass auch der Osten seine Momente hatte. Und man stellt fest, dass von dem Land, in dem man aufgewachsen ist, außer dem Sandmännchen und dem Rechtsabbieger-Pfeil praktisch nichts blieb, während man sich aus Kindheit und Jugend doch auch an Glücksmomente erinnert, die einem nun streitig gemacht werden, weil sie aus einem »Unrechtsregime« stammen.
Ihr Film schickt Lenin ja schon im Titel in die Wüste. Hat er für Sie persönlich denn je eine Rolle gespielt?
Ich bin aus dieser Intermezzo-Generation, irgendwo zwischen den Achtundsechzigern und den Poppern, in einer ganz klar anti-autoritären, linken Szene sozialisiert, habe Germanistik studiert wie so viele damals und mich natürlich stark mit der sozialistischen Idee und den ganzen Marx'schen Thesen beschäftigt. Aber der real existierende DDR-Sozialismus war eine komplette Pervertierung der ursprünglichen Idee, damit konnte ich mich überhaupt nicht anfreunden. Ich bedauere es nicht, dass die DDR untergegangen ist, denn sie war moralisch und ökonomisch am Ende. Es ist ein interessantes Gedankenspiel, was wohl gewesen wäre, wenn sie als zweiter deutscher Staat bestehen geblieben wäre, als eine reformierte und wirklich, nicht nur im Namen behauptete, demokratische Republik. Für den Film hat das aber nur untergeordnete Bedeutung: die Wiedervereinigung ist eher der Hintergrund, man könnte die ganze Geschichte auch in andere gesellschaftliche Verhältnisse transponieren.
Fragen: Caroline M. Buck
Foto: Reuters
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.