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Goldbarren gesucht, Winkelemente gefunden

  • Lesedauer: 4 Min.

Die Herren kamen gleich im Dutzend - vorneweg Hans-Hellmut von Laer, Referatsleiter der ,,Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR“ (UK), die vor zwei Jahren per Volkskammer-Beschluß der Noch-DDR geboren wurde. Eine „Lex PDS“, sagten damals die Kritiker: Wenigstens zeigte nun die dem Bundesinnenminster unterstellte UK am 22. Mai ihren Unterhaltungswert: Durch Realsatire beim Bronzegießer Klaus Benkert.

Der Durchsuchungsbefehl des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten hat 28 Seiten. Die Razzia, sagen Benkert und der am Tatort anwesende Gastwirt Jürgen Voigtmann, dauerte sechseinhalb Stunden. Dabei stellte der in Loden gehüllte Herr von Laer - laut Protokoll „mit Erfolg“ - u.a. folgende „Beweismittel“ sicher: Fünf Ordner mit Kassenbelegen, drei Telefonverzeichnisse, fünf Hefter Kontoauszüge, drei Fahrtenbücher...

Einziger Nutznießer der Aktion: UK-Mitarbeiter Wollstein, dem Benkert ein Lenin-Relief schenkte. Als Trost dafür, daß die Herren „nicht das gefunden hatten, was wir eigentlich wertmäßig erwarteten“, wie UK-Sprecher Bennewitz auf ND-Nachfrage einräumte. „Der Verdacht“, PDS-Genosse Benkert horte in seiner - übrigens völlig ungesicherten - Scheune SED-eigene Goldbarren oder ähnlich Kostbares, „hat so nicht zugetroffen“. Bennewitz: „Die Sache interessiert uns nicht weiter.“

Aber Bürger Benkert, der inzwischen einen Westberliner Rechtsanwalt beauftragt hat. Denn während seine Werkstatt durchwühlt wurde, brachen namens der „UK“ Polizisten in sein Waldhäuschen in Langewahl bei Fürstenwalde ein. Was sie anrichteten, gab Benkert beim Anwalt zu Protokoll: Arbeitsunterlagen kaputtgetreten, Kinderzimmer verwüstet, Türschloß zerstört, von der hinterlassenen Unordnung mal ganz abgesehen. Als „Visitenkarte“ blieb ein am offenstehenden (!) Eingang befestigter Zettel ohne Unterschrift und Dienststempel zurück, auf dem handschriftlich vermerkt war: „Aufgebrochen aufgrund Durchsuchungsmaßnahme. Schlüssel beim Wachdienstführer Pol. Dienst Fürstenwalde...“

Da hatte die Stasi unter Erich mehr Niveau, meint Benkert. Herr Bennewitz beschied uns, er wolle das polizeiliche Vorgehen „im einzelnen“ nicht kommentieren. Wieso man sich nicht einfach, wie rechtsstaatlich üblich, in Benkerts

Gegenwart dem Häuschen im Wald gewidmet hat, (ver)mag Bennewitz nicht (zu) beantworten.

Im übrigen hatte Benkert tatsächlich einmal Räumlichkeiten für die Lagerung von „Parteivermögen“ zur Verfügung gestellt: Bergeweise Devotionalien wurden vor anderthalb Jahren aus den Kellern des ZK und verschiedener Bezirksparteileitungen nach Frankfurt/Oder gekarrt. Von einem merkwürdigen Österreicher namens Wilfrieden Frach, der die arm gewordene Partei von platzraubenden Altlasten befreien und diese als Trödel verhökern wollte: Winkelemente, d.h. Flaggen der DDR und aller sozialistischen Bruderländer, FDJ-Hemden, Kampfgruppen-Stiefel, Schalmeien, Honeckers Schachspiel... In beschlagnahmten Schreiben der PDS-„Arbeitsgruppe Partei vermögen“ wurden ungenannte „Gegenstände“ ebenso wie geheimnisvolle „Parteidokumente“ erwähnt. Dies hatten die SED-Abwickler aus dem Westen in Benkerts Scheune aufspüren wollen. Nachfragen hätte allerdings Aufklärung gebracht, daß der real existierende Papierhaufen nicht mehr als den Untergang eines Staatswesen dokumentiert: Kopfbögen diverser SED-Parteileitungen, Blanko-Mitgliedsausweise der DSF...

Nicht mal das fanden die Fahnder. Denn Klaus Benkert wurden die DDR-Reliquien längst lästig. Sein erster Versuch, sie wieder loszuwerden und bei einem Bekannten über der Gaststätte „Märkischer Hof“ in Langewahl zu lagern, mußte beendet werden, nachdem Betrunkene den „roten Mist“ - so der Bürgermeister - durchs Dorf trugen. Weil aber Rechnungen über Transport- und Lagerkosten in den Finanzbüchern der PDS auftauchten, wo lesefreudige Ermittler sie entdeckten, vermeintlich gut getarnt zwischen Aufwendungen für Stadtreinigung und Bundespost, beantragte die „UK“ mal wieder eine Durchsuchung.

Amtsrichter Wummel spielte auch diesmal mit und gab dem kostspieligen Ausflug an die Oder seinen Rechts-Segen. Benkert interessieren dessen Kosten, die aus Volksvermögen, pardon Steuergeldern, bestritten werden müssen. Ansonsten restauriert er den Kopf von Ernst Thälmann, den Rowdys in Frankfurt/Oder mit viel Kraftanstrengung abgesägt haben. Zwei Wünsche hat er noch: Daß er seine Geschäftsbücher bald wiederbekommt und „der Staat sich genauso ins Zeug legt, wenn irgendwo die Rechten ihr Unwesen treiben“

MARCEL BRAUMANN

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