»Schwarze« Wohnungen

Wegen großer Wohnungsnot blüht das Geschäft damit in Stockholm

  • Sarah-Mai Dang, Stockholm
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Decke hing so niedrig, dass er nicht aufrecht stehen konnte. Zwei Monate lebte Anders Möller im Keller einer Villa in Stockholm, über ihm die Vermieter. Ein Zimmer, Kochnische und Bad: 35 Quadratmeter für umgerechnet 600 Euro. Überall hatte er gesucht, aber eine bezahlbare Wohnung ist in der schwedischen Hauptstadt kaum zu finden.
Im Juni 2002 war der Journalist Anders Möller wegen seines Jobs nach Stockholm gekommen. Seitdem zog er vier Mal um: von einem Zimmer, das ein Pärchen während seines Sommerurlaubs untervermietet hatte, in ein Appartement, dessen Besitzer für einige Zeit verreist war, und in den Keller der Villa, dann wieder in eine andere Wohnung aus zweiter Hand. Seit Mai lebt er endlich in einer eigenen. Für 100000 Euro hat er sich einen Hausanteil und somit ein Dauerwohnrecht ersteigert. Mit dem »Bostadsrätt« muss Möller nur die Nebenkosten für sein 60 Quadratmeter großes Appartement zahlen. Über die Hälfte der Unterkünfte in der Innenstadt wird so vergeben. Der Journalist würde lieber eine Wohnung »ganz normal« aus erster Hand mieten. Das ist günstiger und legal, aber fast unmöglich. Seit einem Jahr ist er bei der Vermittlung der Stadt, Bostadsförmedling, registriert. Für 35 Euro jährlich kann er sich die wöchentlich wechselnde Angebotsliste angucken, die Wohnungen selbst aber nicht. Für bis zu drei Objekte gleichzeitig kann er sein Interesse signalisieren. Zur Besichtigung werden nur diejenigen mit der längsten Wartezeit eingeladen. Je nach Beliebtheit des Appartements können das bis zu 15 Jahre sein. 90000 Menschen haben sich bei Bostadsförmedling registrieren lassen. Nach Angaben des Mitarbeiters Martin Ottosson sucht jeder Dritte davon aktiv nach einer Wohnung. Staatliche Immobiliengesellschaften sollen zwei Drittel, private die Hälfte ihrer Projekte über die Agentur vermitteln lassen. 21000 der insgesamt 175000 Appartements in der Innenstadt gehören der Gemeinde, 60000 Privatbesitzern. Der übrige Teil sind Bostadtsrätts. Die Stadt möchte einen guten Service und einen fairen Zugang für alle bieten. Verweigere sich ein Hausbesitzer dieser Quote, werde die Kommune sein nächstes Bauvorhaben nicht so leicht genehmigen, sagt Ottosson. Die staatliche Vermittlung hat auch für sie Vorteile. Bostadsförmedling ist die erste Adresse für Menschen, die legal und aus erster Hand mieten wollen. Fast 4000 Wohnungen wurden vergangenes Jahr darüber vermittelt. Das sind lange nicht genug. Mancher ist so verzweifelt, dass sie sich den Mietvertrag zu Wucherpreisen beim Eigentümer ersteigern. Die Organisation überlegt deshalb ihr Angebot auf den Second-Hand-Markt auszudehnen. Laut Fastighetsägarna Stockholm, dem Verband privater Immobilienbesitzer, wird mindestens jede fünfte der Privatwohnungen in der Innenstadt untervermietet, davon fast jede illegal - ohne Vertrag und Erlaubnis der Hauseigentümers - und zu Höchstpreisen. Anders Möller schätzt, dass er teilweise doppelt soviel Miete zahlt wie normalerweise üblich. Die Geschäftspartner bleiben weitgehend unbekannt. Mieten und Kaufen auf dem Schwarzmarkt sind nicht strafbar, Vermieten und Verkaufen dagegen schon. Zu Prozessen kommt es kaum. Die Stadt dulde den Handel, da sie keine bessere Lösung für die problematische Lage habe, sagt Ottosson. Manche Leute hätten sich nur bei Bostadsförmedling registrieren lassen, um die zugesprochene Wohnung dann für viel Geld weiterzuvermieten. Große Gewinne verspricht auch der fiktive Wohnungstausch: eine Unterkunft in attraktiver Lage gegen eine andere, die nur auf dem Papier existiert. Der neue Mieter zahlt zum Beispiel für den Vertrag einer 60 Quadratmeter großen Zweizimmerwohnung 39000 Euro an den angeblich umziehenden Tauschpartner. Nach Schätzungen von Fastighetsägarna Stockholm gibt es mindestens 3000 solcher Aktionen pro Jahr. Manchmal steht noch ein Zwischenhändler dazwischen. Auf den freien Markt gelangen Wohnungen bei einem Umzug kaum wieder. Mittlerweile gibt es mehr Appartements zu kaufen als zu mieten. Die Besitzer verdienen dabei besser. Als Teil der Sozialpolitik darf die Miete eine bestimmte Grenze nicht überschreiten. Offiziell wird sie nicht von marktwirtschaftlichen Regeln bestimmt, inoffiziell dagegen schon. Die Stadt will in den nächsten vier Jahren 20000 neue Wohnungen bauen. Das erfordert Zeit und Geld. Viele Menschen jedenfalls warten darauf.

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