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  • Wirtschaft und Umwelt
  • ND-Gespräch mit WOLFGANG KARTTE, scheidender Präsident des Bundeskartellamtes, über zwei Jahre DM im Osten

„Unternehmer sind keine Wohlfahrts-Präsidenten“

  • Lesedauer: 3 Min.

Herr Kartte, sie hatten die Falken auf den Zinnen deutscher Wirtschaftsburgen bereits gezählt, bevor die Wirtschafts- und Währungsunion in Kraft trat. Wie beurteilen Sie nach zwei Jahre die Beute im Osten? Welche Beute? Der Zustand der Betriebe war zu einem großen Teil nicht sehr erfreulich. Das Bild von den Falken, die sich von den Zinnen stürzen, habe ich damals gewählt, weil schon zu Modrows Zeiten zum Beispiel die Allianz und die großen Stromkonzerne ihre ersten Abschlüsse tätigten. Gut, es gab einzelne Firmen, die flächendeckend HO-Läden einsackten. Aber „marktbeherrschend“ ist das Kriterium, das unser Einschreiten rechtfertigt. Es gibt Stimmen, die sagen, seit der Wende ging es schlicht um Marktbereinigung. Widerspruch?

Natürlich haben die Unternehmer im Westen zuerst an ihre Aktionäre, an ihre Kunden, ihre Arbeitsplätze gedacht. Wir haben diese Frage mit den ostdeutschen Kalibetrieben auf dem Tisch. Wer soll die in Schuß bringen? Oder die Braunkohlegruben? Da gibt es Interessenkonflikte, wenn der Sanierer gleichzeitig der Konkurrent ist. Er wird zuerst daran denken, daß sein eigener Laden im Westen keinen Schaden nimmt. Unternehmer sind keine Wohlfahrts-Präsidenten.

Keine Chance, um gegenzusteuern?

Der Staat kann mit industriepolitischen Anreizen gegensteuern, und er tut es. Ein Investor läßt sich im Osten mindestens ein Drittel seiner Investition von der öffentlichen Hand bezahlen. Viel Geld, das wir so 'rübergeben.

Es durfte ja keine Arbeitslosen geben. Die Belegschaften müssen jetzt geviertelt, gesechstelt oder geachtelt werden. Das ist natürlich hart. Wenn ich aus meiner Wohnung ausziehen müßte, wäre das auch schlimm.

Warum tut sich die Bundesregierung Ihrer Meinung nach so schwer damit, Investitionen statt Rückgaben Vorfahrt zu gewähren?

Mit dem Vermögensgesetz sind wir für unsere Verhältnisse schon bis an die Grenze des Möglichen gegangen. Wir können die einstigen westlichen Eigentümer nicht einfach wegdrücken oder brüskieren. Aber in einem haben Sie Recht. Es stockt. Es fehlt an Mittelstand, der Hefe in der Marktwirtschaft.

Hat diese Erkenntnis zu Ihrer geharnischten Kritik an der Mittelstandspolitik der Treuhand geführt?

Wir haben deshalb fast Krieg geführt mit der Treuhand. Die Niederlassungsleiter der Treuhand haben mir persönlich erklärt, daß beim Firmenverkauf fast immer die mittelständischen Bieter, erst recht solche aus dem Osten, das Nachsehen hätten, weil Großkonzerne höhere Kaufpreise böten. Im Mittelstand häuften sich die Klagen. Doch Finanzministerium und Bundesrechnungshof erwarten hqhe Erlöse.

Insofern war der Vorwurf gar nicht direkt an die Treuhand gerichtet?

Der Brief ging damals an das Wirtschaftsministerium. Unsere 7-Punkte-Checkliste forderte, die Unternehmen noch weiter zu entflechten, mehr Mittelständler als Käufer zu interessieren und ihnen erleichterte Finanzierungsmöglichkeiten zu gewähren. Jetzt will die uns einst heftig widersprechende Treuhand 2 000 Kleinbetriebe mit weniger als 50 Mitarbeitern zu Festpreisen möglichst an Mittelständler aus dem Osten verkaufen. Die Verträge enthalten Standards mit Mindestgeboten für Arbeitsplätze und Investitionen.

Kommen Ostdeutsche, die einen Laden wollen, auch 'ran?

Nicht immer. Aber nehmen Sie zum Beispiel das Minol-Netz. Die Tankstellen fallen weitgehend an die Elf (französischer Staatskonzern - d.R.), die eine neue Raffinerie in Leuna baut. Mit der haben wir ausgehandelt, daß ein beträchtlicher Teil der Tankstellen an Mittelständler, und zwar an ostdeutsche, geht.

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