Bund nahm DDR-Vermögen – Ossis zahlen „Schulden
Kommunen werden ungerechtfertigt mit „Altkrediten“ der gesellschaftlichen Einrichtungen belastet
Von HELMUT EGENHARDT
Obwohl die Länder und Gemeinden Ostdeutschlands seit der Einheit bis Ende 1993 ca. 50 Milliarden DM Schulden machen mußten und zusätzlich Sozialleistungen zu finanzieren haben, sollen sie nunmehr auch noch „Altkredite“ für kulturellsoziale und andere gesellschaftliche Einrichtungen tilgen und verzinsen. Ist das gerechtfertigt?
Von den 1,8 Billionen (DDR-)Mark an volkseigenem Vermögen waren 1989 rund 400 Milliarden Vermögen, das sich nicht in der Verwaltung der Treuhand befand - die sozialen, kulturellen und gesamtgesellschaftlichen Einrichtungen der DDR. Die Bundesregierung ist angeblich nicht in der Lage, das von der DDR übernommene Vermögen per 1, Juli 1990 oder 3. Oktober 1990 zu erfassen und richtig zu bewerten. Sie sieht auch
„keinen Sinn darin, eine solche Bilanz nachträglich aufzustellen. Die Verschuldung der DDR ist aus heutiger Sicht offenkundig“ (Antwort des Bundesfinanzministeriums auf Anfrage der PDS im Bundestag). In der DDR wurden aber alle Vermögenswerte im produktiven und unproduktiven Bereich der Volkswirtschaft laufend erfaßt. Man brauchte also nur die Unterlagen heranzuziehen. Aber das paßt nicht ins Konzept, weil die Wahrheit ans Licht käme.
Deshalb hier eine kleine Nachhilfe für jenen Teil des Vermögens im nichtmateriellen Bereich: Es betrug zu niedrigen DDR-Preisen rund 410 Milliarden Mark, davon 160 Mrd. Mark an volkseigenen Wohnungen, 130 Mrd. an kulturell-sozialen Einrichtungen und 100 Mrd. für allgemein gesellschaftliche Zwecke. Zu heutigen BRD-Preisen haben diese Vermögen einen vielfachen Wert, so allein der volkseigene Wohnungsfonds mit ca. 300 bis 400 Mrd. DM bei den jetzt angewendeten Quadratmeter-
Preisen. Ähnliches gilt für Bauten auf anderen Gebieten. Von der DDR wurden beispielsweise in die Einheit eingebracht (Angaben von 1989): 13 400 Einrichtungen der Vorschulerziehung, 35 600 Horte, 5 900 Schulen, 955 Berufsschulen, 237 Fachschulen, 53 Hochschulen, 14 000 Bibliotheken, 1 840 Kultur- und Klubhäuser, 962 Jugendklubs, 111 Musikschulen, 213 Theater, 800 Filmtheater, 740 Museen, 117 Zoologische Gärten, 330 Sportstadien, 1220 Sportplätze,
6 030 Sporthallen, 466 Krankenhäuser, 623 Polikliniken,
7 770 Kinderkrippen, 1 367 Feierabendheime, 167 Kurheime, 3 695 Erholungseinrichtungen der Gewerkschaft und vieles mehr Dazu auf allgemein-gesellschaftlichem Gebiet: Rathäuser, Straßen, Brükken, Wasserstraßen, Auslandsvermögen, Armee-Einrichtungen üsw
In diese Einrichtungen wurden im Laufe der Jahre rd. 140 Mrd. Mark zusätzlich investiert. Nach heutigen Preisen sind diese Investitionen ebenfalls ein Vielfaches wert.
Die gesellschaftlichen Bereiche wurden in der DDR grundsätzlich mit Haushaltsmitteln, also Mitteln der Ostbürger, finanziert. Nur in folgenden Fällen setzte man Kredite ein:
a) Investitionen, bei denen in Höhe des Kredits aus Kontrollgründen gleichzeitig Guthaben bei der Bank hinterlegt wurden. Das waren also keine Kredite.
b) Neubauten im kulturell-sozialen Bereich - wie beim Wohnungsbau -, bei denen die Kredite jährlich vom Haushalt verzinst und getilgt wurden (also letztlich haushaltfinanziert).
c) Kleinkredite für Rationalisierungsmaßnahmen zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen über die materiellen Limite hinaus. Nur diese Kredite mußten aus eigener Kraft verzinst und getilgt werden. Um diese Kredite kann es eigentlich heute nur gehen, wenn Rückzahlung von Kommunen gefordert wird.
Insgesamt waren 1989 Kredite für gesellschaftliche Einrichtungen in Höhe von ca. 10 Mrd. Mark vorhanden. Nach der Umbewertung von Mark In DM stehen noch 5 Mrd. DM zu Buche.
Wer soll nun die Altkredite von 5 Mrd. DM und die (ungerechtfertigt) aufgelaufenen Zinsen, insgesamt 6,5 Mrd. DM, tilgen? Das Bundesministerium für Finanzen (BMF) behauptet, diese Kredite müßten die Ost-Kommunen zurückzahlen, weil die gesellschaftlichen Einrichtungen überwiegend in ihr Eigentum überge-
gangen seien. Damit wird die Praxis der DDR mißachtet, daß die Kommunen dazu volle Zuweisungen aus dem Haushalt erhielten und daß bezüglich Kreditaufnahme die Staatshaushaltsordnung nur für Rationalisierungskredite eine Ausnahme vorsah. Auch ist die Auffassung des BMF absolut nicht gerechtfertigt, daß „die jetzt erreichte Finanzausstattung der Länder und Gemeinden, es den Kommunen ermöglicht, den Kapitaldienst für die Altverbindlichkeiten auf gesellschaftlichen Einrichtungen aus ihrem eigenen Haushalt zu finanzieren.“ Länder und Gemeinden im Osten sind nicht nur bereits sehr hoch verschuldet, diese Schuld wird durch den Bund sogar noch ständig erhöht.
Die Ost-Länder und Gemeinden müssen deshalb den Kampf gegen diese Haushaltspolitik des Bundes führen. Die Altkredite sind durch den Bund zu decken, denn allein durch die Übernahme der allgemeingesellschaftlichen Einrichtungen ohne Gegenwert hat er ca. 100 Mrd, Mark Vermögen „vereinnahmt“ Das gesamte an Bund, neue Bundesländer und Gemeinden übertragene Vermögen für gesellschaftliche Einrichtungen (ohne Wohnungen) kann nach heutigen Werten auf 300 bis 400 Mrd. Mark geschätzt werden.
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