Im Jahr 1968 konnte Musik nicht politisch genug sein. Beim Songfestival auf Burg Waldeck musste sich der Kabarettist Hanns-Dieter Hüsch einem regelrechten »Verhör« unterziehen, warum er immer so unterhaltend sei und sein poetisches Vermögen nicht mehr in den Dienst von Fortschritt und Aufklärung stelle. In den 90er Jahren war das Gegenteil angesagt. Mit der »Betroffenheitslyrik der singenden Sozialarbeiter« wollte man nichts mehr zu tun haben. Es hieß, » der Protest hat sich in Songs erschöpft, selbst Joschka Fischer trägt Schlips und staatstragende Gesinnung.« Politisches Engagement galt als »uncool«. Mit dem Anwachsen politischer Protestbewegungen in den letzten Jahren wurde jedoch auch politische Musik wieder ein Thema, und es war nun sogar von einer »Renaissance des Protestsongs« die Rede.
Das Festival Musik und Politik 2004, veranstaltet vom Verein Lied und soziale Bewegungen in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung, wird eine Bestandsaufnahme der aktuellen Situation vornehmen und ein breites Spektrum politischer Musik präsentieren. Da gibt es Liedermacher wie Konstantin Wecker und Hans-Eckardt Wenzel, Kabarett von Arnulf Rating und Dieter Beckert, HipHop aus Senegal und Marx als elektronisches Musiktheater. Die Goldenen Zitronen präsentieren eine Mischung aus Punk, Agitprop und HipHop, und der israelische Jazzklarinettist und -Saxophonist Gilat Atzmon vereint in einem furiosen Stilmix jüdische und orientalische Klänge. In Konzerten und Gesprächen wird es um die nachwachsenden Liedermachergeneration, um die jungen Protestsänger gehen.
Konstantin Wecker möchte Pate der jungen Liedermacher sein, ihnen Schützenhilfe geben. Beim Festival werden sich verschiedene Musikergenerationen begegnen und ihre Erfahrungen austauschen. Junge Künstler wie Mellow Mark sind dabei, der Straßenmusik, HipHop und Reggae verschmelzen möchte, oder die Akustikfolkpunkcombo »Der Singende Tresen«, die Lieder über das Hin- und Wegschauen singt und in Berlin das Erich-Mühsam-Fest organisiert. Klaus-André Eickhoff arbeitet an einem Projekt »Courage - Lieder gegen das Schweigen«, und Jörg Isermeyer möchte Wut und Melancholie abseits der Pfade des Musikbusiness auf die Bühne bringen.
Es gibt junge Liedermacher, aber sie haben es schwer, bekannt zu werden. In den öffentlich-rechtlichen Medien dominiert immer mehr der musikalische Mainstream. Im Kulturradio des RBB hat man Chanson und Liedermacher trotz Protesten von Künstlern und Hörern schon 1999 abgeschafft, und unlängst wurde nach zwanzigjährigem Bestehen die Liederbestenliste des Südwestrundfunks eingestellt, ein »Sendeplatz für deutschsprachige Musik, die weder zum Musikantenstadl noch nach den Top Charts schielt« (so der SWR-Hörfunkdirektor früher).
Beim Festival wird man darüber diskutieren, wie Liederpreis, Liederfest und Förderpreis für Nachwuchskünstler weitergeführt werden können. Es wird beim Festival um aktuelle Fragen gehen und auch um historische. So gibt es eine Ausstellung zum Thema »Burg Waldeck und die Folgen - Songfestivals in Deutschland«. 2004 ist es vierzig Jahre her, dass auf Burg Waldeck im Hunsrück das erste Festival »Chanson Folklore International« stattfand. Bis 1969 waren es sechs Songfestivals, die einer neuen engagierten Liedkultur und einer neuen Generation von Liedermachern und Sängern zum Durchbruch verhalfen (Franz Josef Degenhardt, Reinhard Mey, Hannes Wader u.a.). Zahlreiche spätere Festivals beriefen sich auf das Erbe der Waldeck, nur wenige jedoch haben an ihrem politischen Anspruch festgehalten. Das Mainzer Open Ohr Festival ist eine rühmliche Ausnahme in dieser Hinsicht, und das Berliner Festival Musik und Politik knüpft an die Tradition des Festivals des politischen Liedes an. Politische Songfestivals können gerade heute wieder Raum für künstlerische und politische Diskussionen schaffen und einen Gegenpol bilden zum »Easy Listening«, zur affirmativen Eventkultur.
Unser Autor, 57, ist Kulturwissenschaftler und Vorsitzender des Vereins Lied und Soziale Bewegung.
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