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  • Kultur
  • Nachschlag zum Thema „Berliner Appell“

Widerspruch zu Sarah Kirsch

  • Peter Berge
  • Lesedauer: 4 Min.

Über den „Berliner Appell“, der Ende September mit der Schreckensmeldung von einer „Hexenjagd gegen Konservative und demokratische Rechte“ in Deutschland für kurze, aber heftige Erheiterung in der Öffentlichkeit sorgte, brauchte man kaum noch ein Wort zu verlieren, wenn er nun nicht einigen Unterzeichnern wochenlang ungeheuer peinlich war. Erst widerrief Sarah Kirsch, dann ihr Schriftstellerkollege Kurt Drawert in der „Frankfurter Allgemeinen“ (FAZ), und beide versicherten, den Text weder gekannt noch unterzeichnet zu haben. Dann nahm die Regisseurin Freya Klier in der „tageszeitung“ (taz) ihr Jawort zurück. Und irgendwann ließ uns auch der Baßbuffo Reiner Süß wissen, er fühle sich überrumpelt.

Worauf nun der Schriftsteller und Mitinitiator des Appells, Ulrich Schacht, nicht umhin kann, sich öffentlich zu wundern. In einem FAZ-Interyiew vom Montag gibt er erstens seiner Überzeugung Ausdruck, daß man selten was Schriftliches sah, das so dringlich ist wie der „Berliner Appell“, und zweitens seiner Verblüffung über den unverhofften Sinneswandel von Kirsch und Drawert.

Denn beider Behauptung, der Text habe ihnen nicht vorgelegen, widerspricht er entschieden. Er selbst habe Frau Kirsch per Telefon vom Wortlaut in Kenntnis gesetzt und um Zustimmung gebeten, die sie auch gegeben habe. Und gleich spontan noch einmal, als er ihr die bis dahin bekannten Namen vorlas. „Was Kurt Drawert betrifft, so wurden ihm der Text und die komplette Unterschriftenliste am 23. September, fünf Tage vor dem Erscheinen, in Neubrandenburg übergeben.“ Niemand, so der „eher konservative Demokrat“ Schacht, stehe unter dem Text, der ihn nicht wirklich unterzeichnen wollte.

Allerdings, so bemerkt er, hätten Kirsch und Drawert später angerufen und ihm erregt bedeutet, sie stünden „unter Druck“ wegen einiger CDU-Politiker in der Unterzeichnerliste. Unter dem Druck der öffentlichen Meinung, ist zu vermuten. Offenbar aber findet Schacht die Erregung etwas übertrieben, weil er weiß, daß „Sarah Kirsch erst im vergangenen Jahr einen Kulturpreis der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung“ entgegennahm. Eine Würdigung, die offensichtlich mancher Demokrat nicht als Auszeichnung betrachtet,

wenn wir Schachts Einlassung richtig deuten. Im übrigen, so sagt er weiter, sei auch Helga Schubert bei einem Interview bedeutet worden, daß sie sich mit ihrer Unterschrift in einen „angeblich rechtsradikalen Zirkel begeben habe“, was diese unerschrockene Frau allerdings wenig angefochten haben muß: Sie steht weiter zu ihrer Unterschrift, weiß Ulrich Schacht.

Wie denn auch nicht? Wer den Text des Appells aufmerksam las, hätte wissen müssen, von wem er da zu Tisch gebeten wird und in welcher Gesellschaft er dort zu Stuhle kommt. Frau Kirsch und Herr Drawert aber wollen's, wie gesagt, nicht gewußt haben können.

Das ist nun der strittige Punkt, und Aussage steht gegen Aussage. Doch selbst wenn die Initiatoren im Eifer allzu voreilig handelten und die Bestätigung der bestellten Unterschriften nicht abwarten mochten, darf ihnen Arglosigkeit unterstellt werden: Sie kannten, wen sie riefen und zweifelten nicht am Einverständnis der Herrschaften. Die schienen ihnen, wenn es um die Bewahrung konservativer Werte, gegen politischen Konsens und für die Ausgrenzung der Linken geht, verläßliche und bewährte Partner

Als die sich die Künstler tatsächlich auch jetzt noch erweisen, da es ans Dementieren geht. So nehmen sie übereinstimmend von dem Eingangssatz Abstand, daß „der Sozialismus in Deutschland eine Wiederkehr“ erlebt, was nun freilich auch so kindisch ist, daß es weißgott nicht schwer fällt, sich davon zu distanzieren. Wohingegen sie unisono die Schlußsentenz unbeanstandet lassen, die es nun wahrlich in sich hat: Da wendet sich der Appell vehement gegen vorgebliche Bestrebungen, „die freiheitlich-demokratische Grundordnung durch eine .antifaschistischdemokratische' Ordnung zu ersetzen“ Als seien nach Auschwitz wahre Freiheit und Demokratie überhaupt noch ohne Antifaschismus zu haben. Dem Wortlaut des Appells zufolge schließt das eine das andre aber sogar aus, besonders wohl in den Zeiten der Wahl.

Wer sich von dem Appell distanziert, ohne sich solche Ungeheurlichkeit ausdrücklich zu verbitten, der ist, da dürfen die Verfasser beruhigt sein, noch lange nicht verloren. Sondern marschiert im Geist verstohlen mit.

PETER BERGER

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