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  • Kultur
  • „Heinrichs Fieber“, eine Oper von Gerald Humel, am Kleist Theater Frankfurt/Oder uraufgeführt

Permanentes Wechselbad

  • Lesedauer: 3 Min.

„Warum entleibte sich der Dichter denn nun wirklich?“ Der Frage ist man in letzter Zeit in Heinrich von Kleists Geburtsstadt schon öfter nachgegangen, mit mehr („Kleistiana“, Tanzschauspiel von Dietmar Seyffert und Andreas Aigmüller) oder weniger großem künstlerischem Erfolg („Tragödien“ von Claude Prin). Die diesjährigen 4. Kleist-Festtage bescherten den Frankfurtern „Heinrichs Fieber“, eine neue Oper von Thomas Höft und Gerald Humel. Der junge niedersächsische Dichter Höft versucht der Frage über Kleists verdrängte Homosexualität, die zur Autoaggression führt, auf den Grund zu gehen. Bezugsfiguren sind dabei die Schwester Ulrike, der vermeintliche Geliebte Ernst von Pfuel, der Konkurrent und Übervater Goethe sowie die Todesgefährtin Henriette Vogel.

Sie alle debattieren mit dem Dichter und er mit ihnen. Davon versteht man akustisch, wie übrigens in jeder Oper, nur ein Drittel und besonders gut das Banale. Bei dem Berliner Komponisten Gerald Humel spürt man, daß er dem Pamphletismus der literarischen Vorlage auszuweichen

sucht. Seine Kammermusik-Partitur ist von starkem Personalstil geprägt, melodramatisch trifft sie jedoch nur punktuell ins Schwarze. Da schon Dichter und Komponist von „Heinrichs Fieber“ nicht recht zusammenkamen, hätte der Regisseur ein wahrer Krösus sein müssen, um den Erfolg des Werkes besiegeln zu können. Der junge Frankfurter Opernregisseur Alexander Herrmann war keiner Das homoerotisch Ambitionierte des Stücks liegt ihm zu fern. Auch er versucht, auszuweichen in einen symbolistischen Inszenierungsstil, der den Betrachter in ein permanentes Wechselbad von Bewältigtem und Unbewältigtem taucht.

Heinrich von Kleist, kreiert durch den ausdrucksstarken Krefelder Tenor Walter Cuttino, ist unter seinen Händen noch zum Charakter gediehen. Alle übrigen bleiben schöne Figuranten, deren Handlung und Haltung (z. B. ein Goethe ä la Tischbein) sich im Klischee erschöpft. Der Erkenntnisgewinn aus dieser Opernuraufführung wäre etwa folgender- Kleist konnte mit seiner Schwester nicht leben, weil sie kein Mann, und mit seinem Freund nicht,

weil der keine Frau war. Goethe hat ihn nicht anerkannt. Mit der krebskranken Henriette konnte er wenigstens gemeinsam sterben.

Das ist einfach zu wenig. Hinzu kommt, daß dies aufwendige Projekt vom Frankfurter Theateralltag über-

schattet wird. Manfred Weber, der designierte Intendant des Kleist-Theaters, hat aufgrund massiver Sparzwänge Anfang Oktober den 22köpfigen Opernchor entlassen. Nun ist also heraus, was er mit der „Pflege von Kammeropern“ meinte, die er schon im Som-

mer als sein spezielles künstlerisches Konzept verkünden ließ. Doch mit chorlosen Inszenierungen wird er wohl weiteres Publikum einbüßen. Das kostet. Und Chorgäste zu verpflichten, das kostet auch. Mit dem Sparen beim Musiktheater ist es nämlich so wie

Foto:Annette Höfer

mit „ein bißchen schwanger“. Es geht nicht. Vorerst geht vielleicht eines: Das Prestige der Frankfurter Kulturverantwortlichen bleibt gewahrt. Es wäre dahin, hätten sie Chor, Soli und Orchester auf einmal abgeschafft.

VERONIKA PREISS

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