Lieber Sandmann

Der Verlag »Lied der Zeit« feierte - etwas wehmütig - am Mittwoch seinen 50. Geburtstag im Freizeitforum Marzahn

  • Hanno Harnisch
  • Lesedauer: 3 Min.
April 1954. Die Republik, die deutsche Demokratische ist noch keine fünf Jahre alt. Ernst Busch, der 1946 von der sowjetischen Militäradministration eine Lizenz zur Gründung der Schallplattenfirma »Lied der Zeit« bekam, erhielt noch eine Verlagslizenz dazu. Volkseigener Betrieb Musikverlag »Lied der Zeit«. Kaum ein Schlager der DDR, der nicht in diesem Leitverlag der populären Musik veröffentlicht wurde. Allein die Reihe »Schlager für dich« wurde von 1955 bis zum Ende der DDR 20 Millionen mal verkauft. Zu einem »gemütlichen Beisammensein« waren 150 Freunde und Autoren des Verlages am Mittwoch in die Studiobühne des Freizeitforums Marzahn geladen. Gut 50 waren gekommen, und es wurde eine sehr aufschlussreiche, nicht minder unterhaltsame Veranstaltung. Nur der »Schneidige Willem«, der damals mit seinen »Hitknackern« schon die Branche verulkte, stänkerte ein wenig, weil es wohl noch ein paar offene Rechtefragen zwischen Autor und Verlag gab. Alle anderen feierten sich und ihren ehemaligen Brötchengeber. Am Mikrofon: Siggi Trzoß, dessen Schlagersendungen im Radio nach einer Odyssee durch die öffentlich-rechtlichen Anstalten mittlerweile im Berliner »Offenen Kanal« gelandet sind. Aber er lässt es sich nicht verdrießen, fröhlich und lebenszugewandt, wie ein Schlagerfreund nun einmal ist. Musikbeispiele Schlag auf Schlag. Von Raritäten, wie »Rosa Mandelblüten steckst du dir ins Haar, das steht dir wunderbar, kleine Barbara«, bis zu Hits, Live am Piano gespielt. Das wunderbare Stück »Berührung«, von Thomas Natschinski einst für Gabi Rückert geschrieben als emotionaler Höhepunkt. Auch Frank Schöbel, unlängst 60 geworden, hob mit seiner brachialoptimistischen Art die Laune im Saale - und senkte gleichzeitig deutlich den Altersdurchschnitt der Anwesenden. Darunter Rolf Zimmermann, auch er mit mittlerweile zitternden Fingern am Klavier, mit seinem »Ich lieb den guten alten Tango«, immer noch gut für Zwei-Stunden-Programme und Säle mit 500 Zuschauern. Mit der Zeit geht auch Ralf Petersen, einer der Erfolgreichen DDR-Komponisten. Ihn kann man sogar auf einer Homepage besuchen. Viel ist von der Freude an der Musik an diesem Nachmittag die Rede, wenig von Zensur und Reglementierung. Dafür war ja auch eher ein Horst Fliegel zuständig, der Stellvertretende Vorsitzende des Staatlichen Komitees für Rundfunk beim Ministerrat der DDR und Leiter der Hauptabteilung Musik. Da ist einem doch der Petersen lieber. Und hat nicht grade das ZDF in einer Gala zu 50 Jahre Rock einzig die Puhdys kurz zu Wort und Ton kommen lassen, gepaart mit dem (eingeblendeten) Stuss, in der DDR seien lange Haare verboten gewesen? und hat mir der schnedige Willem nicht laut zugeflüstert, dass Fränki Schöbels »Wie ein Stern« nicht mal in die Evergreenlisre der GEMA aufgenommen wurde. Vielleicht kann der Ex-.Chefproduzent Klaus Hugo da noch was richten? Der geht bei der Anstalt zur Wahrung der Autorenrechte ein und aus. Überhaupt erfährt man an diesem Nachmittag von so manchem DDR-Schlager, der in der BRD oder gar in Amerika ein Hit wurde. Gibt es heute den Verlag noch? Ja und nein. Christian Loitsch ist als ein Geschäftsführer eines einst blühenden Verlages übrig geblieben. 1990 gab es plötzlich nur noch Schulden, eine Million West-Mark! Die Mieter der Räume in der Rosa-Luxemburg-Straße kletterte von 350 DDR-Mark auf 16000 DM! Was also machen mit dem Verlag und seinen 40 Mitarbeitern, mit den Rechte an Titeln wie dem Sandmännchenlied, an Schlagern von Frank Schöbel und Nina Hagen, an Musicals, mit Tonnen von gedruckten Büchern?. Viel Geld brachten die nicht mehr, Wolfgang Tilgners (auch er war am Mittwoch bei der Marzahner Feier) Biografie von Elvis Presley verkaufte sich in der DDR eine halbe Million Mal. 1990 gab es allein von Elvis ein Dutzend zehn weitere Biografien. Der »Retter« hieß Rolf Baierle, Chef der nach ihm benannten ROBA-Musikverlage aus Hamburg, der schon in den vorangegangenen Jahren mit der DDR so manches Musik-Geschäft abwickelte. Heute bleiben die Rechte an über 4000 Titeln. Und die Erinnerung. Und ein kleines Berliner Büro, in dem der unermüdliche Loitsch sitzt, und »in DDR-Schlager macht«. Besser als nix.

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