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Broder entrüstet, Bubis auch, und Gysi wundert sich

  • PETER BERGER
  • Lesedauer: 6 Min.

Der ist statt dessen wild entschlossen, den Sozialisten Hrdlicka in einen Faschisten“ umzuwidmen und das Volk darüber aufzuklären, daß es* das Recht und die Pflicht hat, sich seinerseits verhetzt zu fühlen. Und da er dabei nicht nur einen bienenemsigen publizistischen Eifer entwickelt, sondern auch kühle Umsicht und beneidenswertes Organisationstalent, hat er damit zumindest in Österreich einigen Erfolg erzielt. Die Feuilletons reißen sich um Broders Enthüllungen, die Behörden fühlen sich verpflichtet, Hrdlickas Eignung zum Hochschulprofessor zu prüfen, und die bessere Gesellschaft Wiens, die sich bisher bei politischen Skandalen der Rechtsextremen zu keiner eindeutigen Haltung durchringen konnte, nutzt die günstige Gelegenheit zu feurigem antifaschistischem Lippenbekenntnis, das nichts kostet und bei dem man nichts riskiert, da es zugleich gegen einen einschlägig bekannten „Kommunisten“ geht. Kaum eine Instanz in Austria, die nicht pflichtschuldigst dem wachsamen Bruder Broder salutiert.

Dabei ist anzunehmen, daß keine dieser Instanzen den Hrdlicka-Brief je gelesen hat, es sei denn, man liest dort das ND Wie leider kaum zu vermuten ist. Was man gegen den Künstler in Sachen Biermann vorzubringen hat, das hat man folglich von Broder. Dessen einziger Beweis für die Behauptung, daß Hrdlicka ein linker Nazi sei, ein des Kontextes beraubter Satz ist,, und sonst gar nichts. Und dessen Beweisnot nicht dadurch geringer wird, daß sich nun auch Ignatz Bubis gedrängt fühlt, Hrdlicka das Etikett eines „faschistoiden linken Herrn“ hinters Ohrwaschel zu drücken. Wobei Bubis mit dem heiklen Titel seiner Strafpredigt in der Allgemeinen jüdischen Wochenzeitung - „Rotlackierte Nazis“ - zu erkennen gibt, daß er im traurigen Vokabular zeitgenössischer Streitkultur durchaus auf dem laufenden ist. Und in der Lage, mitzuhalten.

Kann man von Ignatz Bubis Verständnis erwarten dafür, daß Hrdlickas „Verbaldiarrhoe“ (Bubis) die Überreaktion eines Mannes war, von dem man weiß, daß er sein

Wort wie sein Werk mit Hammer und Meißel modelt, was dem Werk meist besser bekommt als dem Wort? Wohl kaum. Aber wenigstens einen gerechten Spruch aus seinem berufenen Munde zu dem, was besagte Diarrhöe ausgelöst hatte: die unbewiesenen Behauptungen, daß der Jude Stefan Heym ein Feigling und der Jude Gregor Gysi ein Verbrecher sei, von dem Biermann ums Verrecken nicht regiert werden möchte. Eine Gemeinheit, mit der er in Deutschland das Volk pünktlich zu Beginn der Legislaturperiode ein bißchen zu verhetzen suchte und damit zumindest bei jenem Teil desselben auf Erfolg rechnen durfte, der sich bei „Bild“ das Rüstzeug für den Tag holt. Diese allerliebste Biermannsche Niedertracht freilich ist in all den besorgten Kreisen, die nun ein vorwurfsvolles Auge auf den streitlustigen Pygmalion von Wien heften, mit größter Diskretion behandelt worden. Oder, um im launigen Duktus des Zentralratsvorsitzenden tm bleiben: Sie war ihnen scheißegal.

Da auch Henryk Broder den Tatbestand der Verhetzung of-

fenbar nur dann erfüllt sieht, wenn der Täter ihm unsympathisch ist aus ideologischen Gründen, hörte er bei Biermann generös weg und schaute dafür bei Hrdlicka umso genauer hin. Und scheute bei ihm auch nicht den Vergleich mit Haider und Schönhuber, der freilich weniger alarmierend als albern wirkt: Haider und Schönhuber haben mehr Grund, ihre Zunge zu zähmen, als der Antifaschist Alfred Hrdlicka. Ihre diplomatische Zurückhaltung beim jüdischen Thema ist verräterischer als Hrdlickas Unbedachtsamkeit. Wer dessen undiplomatisch polternden Schmäh mit Gewalt in die Nähe der extremen Rechten bugsiert, fordert solche Schlüsse geradezu heraus. Oder hält das Volk für dümmer, als es ist.

Dem, ob nun weise oder nicht, auf jeden Fall erst auf die Sprünge geholfen werden mußte. Broder nahm diese Mission auf sich, obwohl damit zu rechnen war, daß sein missionarischer Weg mit Fußangeln gepflastert sein würde. Zum Beispiel mit der naheliegenden Frage, wieso Hrdlicka Juden hassen sollte, wenn er

ihnen Opfermale baut wie das des gedemütigten Juden in Wien. Broder ging die Falle listig an, indem er den Wienern empfahl, das fatale Beweisstück einfach „abzuräumen“

Spätestens hier mußte eigentlich auch der Öffentlichkeit in Österreich ein Licht aufgehen: daß es Broder so wenig um die Reinhaltung eines Vermächtnisses geht, wie es Hrdlicka darum ging, dieses Vermächtnis zu beflecken. Keiner von beiden meint eigent-, lieh das, was er sagt. Hrdlicka wünscht dem einstigen Genossen Biermann nicht das Verderben an den Hals, sondern will den „opportunistischen Volltrottel“ vor diesem bewahren, indem er ihm drastisch vor Augen führt, was ihm bei fortgesetzter politischer Blauäugigkeit eines Tages blühen könnte. Und Broder sieht, liest man seine Artikel, weder sich noch die Seinen ernstlich bedroht, nein: Was er sieht, ist eine günstige Gelegenheit, seinen Antikommunismus rauszulassen gegen einen,-der die Pietät verletzte und auf Fairness deshalb keinen Anspruch hat.

Genau die fordert Gregor Gysi ein in einem Interview, das er jüngst der Wiener Zeitschrift „profil“ gab, in der Broder seine Beschuldigungen gegen Hrdlicka erhoben hatte. Sowohl Biermann als auch Hrdlicka führten eine Sprache, die nicht die seine sei, sagte er, die aber den Vorteil hätte,

ziemlich deutlich und verständlich zu sein. Umso mehr wundere es ihn, wie man Hrdlicka so konsequent mißverstehen könne. „Eigentlich will er nichts anderes sagen, als daß sich doch auch Wolf Biermann darüber freuen müßte, daß ein Mann wie Stefan Heym, der den Holocaust überlebt, gegen die Nazis gekämpft hat, als Alterspräsident den Bundestag eröffnet. Die Alternative wäre Alfred Dregger gewesen (...). Alfred Hrdlicka fragt doch, ob es Biermann lieber wäre, wenn da Leute säßen, die die Nürnberger Gesetze beschließen könnten - eine Gefahr, die bei Leuten wie Heym und mir aber nicht besteht.“

Gysi wundert sich, „daß das intellektuelle Vermögen so gering ist, um zu verstehen, daß Hrdlicka genau das Gegenteil von dem meint, was ihm jetzt unterstellt wird“ Trotzdem hält er nicht viel von dem Vorschlag, zur Anhebung.des allgemeinen Niveaus eine Gesprächsrunde in Wien einzuberufen, in der Biermann, Heym und Gysi über Streitkultur diskutieren. „Zumindest einer von den dreien würde es darauf anlegen, daraus Klamauk zu machen“, beschied der PDS-Politiker den „profü“-Reporter, der das Interview daraufhin nachdenklich beendete. Und nun grübelt mit ihm vermutlich ganz Wien darüber, wer wohl mit dem einen gemeint sein könnte.

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