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»Der Lehrer, der uns das Meer versprach«: Fackel im Sturm
Der Film »Der Lehrer, der uns das Meer versprach« setzt dem katalanischen Sozialisten und Reformpädagogen Antoni Benaiges ein kleines Denkmal
Der in Spanien bis heute populäre katalanische Sozialist und Reformpädagoge Antoni Benaiges, der 1936 Opfer des faschistischen Staatsstreiches in Spanien und mutmaßlich von falangistischen Milizionären ermordet wurde, hat in dem kleinen Dorf in der Provinz Burgos, in dem er von 1934 bis 1936 als Grundschullehrer unterrichtete, bis heute Spuren hinterlassen. Nun begibt sich die Regisseurin Patricia Font in ihrem neuen Spielfilm »Der Lehrer, der uns das Meer versprach«, der an diesem Donnerstag auch in den deutschsprachigen Kinos anläuft, gemeinsam mit ihrer Protagonistin Ariadna (Laia Costa) auf die Spuren von Benaiges.
Ariadna möchte mehr über die Familie ihres dementen Großvaters Carlos erfahren, der nie über seine Kindheit vor und während des spanischen Bürgerkrieges ab 1936 gesprochen hat, insbesondere über dessen Vater, also ihren Urgroßvater. Sie fährt in das kleine Dorf, in dem Carlos aufgewachsen ist, und beginnt über ihn zu recherchieren. Dabei stößt sie auch auf die Geschichte von Antoni Benaiges, der nicht nur Carlos’ Lehrer war, sondern ihn auch nach der Verhaftung seines Vaters bei sich wohnen ließ.
»Was in der Vergangenheit geschieht, wirkt sich immer in Form einer generationenübergreifenden Wunde oder Narbe auf unsere Gegenwart aus.«
Patricia Font Regisseurin
Benaiges (Enric Auquer), der kurz nach seinem Amtsantritt als Lehrer der Grundschule kurzerhand das Kruzifix aus dem Klassenraum entfernt (»Das ist eine Schule und keine Kirche«), sich von den Kindern duzen lässt und sie nach den antiautoritären Grundsätzen der Freinet-Reformpädagogik unterrichtet, bekommt es bald mit den örtlichen Honoratioren zu tun. Weder Priester noch Bürgermeister sind von den Methoden des neuen Lehrers begeistert, ganz im Gegensatz zu seinen Schülern, deren Vertrauen er schnell gewinnt. Schließlich verspricht er den Kindern eine Klassenfahrt ans Meer, das die meisten von ihnen noch nie gesehen haben. Doch bevor er sein Versprechen einlösen kann, wird er im Juli 1936, nach dem rechtsradikalen Putsch in Spanien, von faschistischen Truppen verschleppt.
Font erzählt die Geschichten ihrer beiden Protagonist*innen auf den verschiedenen Zeitebenen in den 1930er Jahren und im Jahr 2010, als späte Rekonstruktion von Ereignissen. »In der Interaktion dieser beiden Geschichten«, sagt Font, »liegt eine Botschaft: Was in der Vergangenheit geschieht, wirkt sich immer in Form einer generationenübergreifenden Wunde oder Narbe auf unsere Gegenwart aus. Interessant finde ich dabei die These, dass wir in der Lage sind, diese Traumata unserer Vorfahren zu erben.«
»Der Lehrer, der uns das Meer versprach« ist dabei weitgehend konventionell inszeniertes Erzählkino, das sich wenig um Brüche und Ambivalenzen schert. Benaiges wird als durch und durch guter Charakter gezeigt, während etwa an dem sinistren Dorfpriester kein gutes Haar gelassen wird – so sind die Figuren oft nah am Klischee.
Es geht Font aber auch weniger um innovatives oder besonders ausgefeiltes Storytelling. Was der Film vielmehr verdeutlichen will, ist, dass progressive gesellschaftliche Veränderungen zwar auch unter repressiven, reaktionären Bedingungen möglich, aber immer auch bedroht und riskant sind. Außerdem ist der Film ein Plädoyer für freiheitliche Erziehungsmethoden, Benaiges empowert seine Schüler*innen, indem er sie ernst nimmt und sie anhand ihrer Stärken zum Lernen und Experimentieren ermutigt.
Das ist alles kurzweilig und anrührend erzählt, »Der Lehrer, der uns das Meer versprach« ist nie langweilig und der Botschaft des Films kann man nur zustimmen, allerdings ist letztere doch sehr trivial. Und wenn Benaiges der Putzfrau seine Motivation erklärt, bleibt es bei pädagogischen Kalendersprüchen: »Wir durften keine Kinder sein. Sie wollten uns zu Männern machen, damit wir ihnen nicht zur Last fallen. Deshalb besteht meine Aufgabe darin, genau das zu verhindern. Denn Kinder müssen so sein, wie sie wollen, aber vor allem müssen sie Kinder sein.« Nun ja.
Auch Fonts Vorhaben, die beiden Geschichten interagieren zu lassen, gelingt nur insofern, dass die Vergangenheit aus der Gegenwart aufgerollt wird. Ariadne setzt nur die Puzzleteile zusammen, die ihre Recherche ergeben, einen irgendwie erkennbaren Erkenntnisgewinn zieht weder sie aus Benaiges’ Geschichte, noch wird recht klar, inwiefern das kindliche Erleben von Freiheit und das durch den Lehrer forcierte Empowerment der Kinder auf deren weiteren Lebensweg irgendwelche Auswirkungen gehabt hätte oder sie daraus besondere Lehren gezogen hätten. So kommen die beiden Erzählstränge nie richtig miteinander in Kontakt, die Geschichte mit der depressiven Enkeltochter wirkt aufgesetzt und ist im Grunde überflüssig.
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Trotzdem ist »Der Lehrer, der uns das Meer versprach« ein sehenswerter Film, schon deshalb, weil er einem Mann ein kleines Denkmal setzt, der seiner Zeit voraus war und schon menschenfreundliche und solidarische Ideen vertrat, sie lehrte und für sie existenzielle Risiken einging, als es noch üblich war, Kinder in der Schule und im Elternhaus zu verprügeln, und die Meinung vorherrschte, dass »die Faulen nur durch Schläge lernen«, wie es eine Schülerin im Film sagt.
Benaiges und andere Sozialisten wurden zu Tausenden von den spanischen Faschisten ermordet, auch darauf kann man nicht oft genug hinweisen. »In den Massengräbern von La Pedraja«, heißt es im Abspann von »Der Lehrer, der uns das Meer versprach«, »wurden Überreste von 135 Leichen gefunden. Keine von ihnen war die Leiche von Antonio Benaiges, der weiterhin verschollen ist.«
»Der Lehrer, der uns das Meer versprach«: Spanien 2023. Regie: Patricia Font. Mit: Enric Auquer, Laia Costa, Luisa Gavasa, Ramón Agirre. 105 Minuten, Start: 6. Februar
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