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Kein Spiel mehr
Seit beachtlichen zehn Jahren steht Lars Eidinger als Richard der Dritte auf der Bühne. Aber darf er das eigentlich?
Zehn Jahre sind eine lange Zeit im Theater. Und fast auf den Tag genau zehn Jahre ist es her, da feierte am Lehniner Platz, an Berlins pseudoelegantem Ku’damm, »Richard III.« seine Premiere. Feiern – das ist hier das rechte Wort; eine Feier der Intrigen hat auf der Bühne stattgefunden. Dass sich eine Inszenierung so lange im Repertoire eines deutschen Theaters hält (und immer weit im Voraus ausverkauft ist), hat Seltenheitswert. An der Schaubühne wird dieser »Richard III.« noch von einem anderen Stück des Genossen Shakespeare übertrumpft: »Hamlet« steht bereits seit 2008 auf dem Spielplan.
Regie hat in dem einen wie dem anderen Fall der künstlerische Leiter des Hauses, Thomas Ostermeier, geführt; die Titelfigur war zweifach mit dem mindestens so sehr verehrten wie von anderen regelrecht verabscheuten Lars Eidinger besetzt. Während der fast dreistündige »Hamlet« aber weniger über den Dänenprinzen und viel mehr über den Hauptdarsteller offenbart, stellt sich Eidinger in »Richard III.«, anderslautenden Behauptungen zum Trotz, durchaus in den Dienst des Werkes.
Wie es euch gefällt: Alle zwei Wochen schreibt Erik Zielke über große Tragödien, politisches Schmierentheater und die Narren aus Vergangenheit und Gegenwart. Inspiration findet er bei seinem Genossen aus Stratford-upon-Avon.
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Man kann einiges gegen die Inszenierung ins Feld führen. Zunächst zum Regisseur: Allzu oft heißt Ostermeier auch einfach Biedermeier. Und die Shakespeare’sche Sprache hat hier einer verslosen Überschreibung Platz gemacht, was man ebenfalls bedauern kann. Das dramaturgische Gefüge des Stücks wurde ungemein zugespitzt auf Titelheld und Hauptdarsteller, was eine streitbare Entscheidung ist, lässt sie doch einiges im Dunkeln. Dennoch sehen wir hier einen Richard, der als gepeinigter Peiniger auftritt, einen Gedemütigten mit dem unbedingten Willen zur Macht, kurz gesagt: ein großes Drama.
Kam man aber in den letzten Jahren auf diesen Schaubühnen-»Richard« zu sprechen, konnte man sich sicher sein, dass irgendjemand mit Interesse am »Diskurs« und weitaus weniger Interesse an der Bühnenkunst das entscheidende Argument gegen diese Inszenierung zu Gehör brachte: »Cripping up« heißt das Stichwort, das aus dem um vorgebliche politische Korrektheit bemühten und mit gänzlich anderer Theatergeschichte gesegneten anglophonen Raum kommt. Damit wird eine problematisierte Bühnenpraxis beschrieben, bei der ein nicht behinderter Darsteller einen Menschen mit Behinderung mimt.
Eidingers Hand ist verbunden, um seinen Kopf liegt ein Riemen. Eine schwarze Kappe bedeckt sein Haupt. Ein Halskorsett macht ihn zum Buckligen. Ein weiteres ungleichmäßig geschnürtes Korsett lässt ihn gebeugt gehen. Sein Fuß ist mehrfach umklebt. Halb nackt und dergestalt entstellt steht er zweieinhalb Stunden auf der Bühne. Eidinger verwandelt sich – und zeigt uns die Mittel der Verwandlung. Wir sehen einen Shakespeare in nach-Brecht’schen Zeiten.
Der Vorwurf ist letztlich eine Banalität. Aber er rührt an den Grundfesten des Theaters: Hier spielt einer etwas, das er nicht ist. Muss der Ödipus-Darsteller sich tatsächlich selbst das Augenlicht nehmen? Muss Woyzeck zunächst auf Erbsendiät gesetzt werden, ehe er die Bühne betreten darf? Wie viel königliches Blut braucht der Schauspieler, der den Don Karlos gibt? Und kann, wer den Dienst an der Waffe verweigert hat, ein Prinz von Homburg sein?
Die Besetzung der Rolle des Richard III. mit einem Spieler mit Behinderung (nicht aber zwingend mit einer Abstammung aus dem Hause York) soll für ein diskriminierungsfreies Zuschauererlebnis sorgen. Wie merkwürdig es aber ist, dass einzelne Merkmale der literarischen Figuren ganz und gar authentisch auch den Darstellern eigen sein sollen und dass wiederum Schauspieler, etwa solche mit Behinderung, auf bestimmte Rollen ganz und gar unkünstlerisch festgelegt werden sollen, geht den Chefanklägern eines aufs Spiel versessenen Theaters nicht in den Sinn.
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Ein Kritiker kam gar zu dem Schluss, Eidinger stelle »die Karikatur eines Menschen mit Körperbehinderung« dar. Die besonders ausgeprägte Sensibilität für diskriminierende Darstellung wird hier zum Popanz. Denn Schauspielerei ist nicht zwingend Karikatur. Wer allein die Besetzung zum Maßstab für den karikierenden Charakter macht, sitzt einem Missverständnis auf.
Robert Beyer gibt, ungeachtet seines eigenen Geschlechts, in derselben Inszenierung gekonnt die Königin Margaret; karikaturhaft wirkt auch das nicht. Was sich hier offenbart, ist keine diskriminierende Inszenierungspraxis, sondern der diskriminierende Blick des vorgeblich kritischen Betrachters, der die Regeln des Spiels bei bestimmten Personengruppen außer Kraft gesetzt sehen will, der argwöhnisch Karikaturen ahnt und der sich selbst paternalistisch zum Beschützer einzelner Rollen machen will.
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