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Kate Niederkirchner

Eine deutsche Gewissensfrage Von EBERHARD PANITZ

  • Lesedauer: 7 Min.

Eines dürfte jedoch zweifelsfrei sein, daß sie keinen Berliner Parlamentarismus des Jahres 1993 wollte, der in Bravorufe ausbrach, als ihre Verhaftung und Drangsalierung durch die Nazis geschildert wurde. Bei der Nennung der Organisationen, in denen sie in den Jahren des Kampfes gegen die drohende faschistische Diktatur gewirkt hatte, gebärdeten sich CDU- und FDP-Abgeordnete derart tumultuarisch, als müßten sie nochmals den Kommunismus zur Strecke bringen. „Pfui“-Gebrüll ist im amtlichen Protokoll registriert, als Katjas Mitgliedschaft im Kommunistischen Jugendverband und in der Kommunistischen Partei Deutschlands zur Sprache kam, Unruhe und Beifall bei der Erwähnung von ihrer Verhaftung nach einem Streik und der Flucht vor den Nazis in die Sowjetunion.

Obwohl sich die Mehrheit der Abgeordneten (106 gegen 96 und 4 Enthaltungen) bei der Abstimmung für den Erhalt des Namens Niederkirchner und dieser würdigen Adresse für das Berliner Parlament aussprachen, verfügte die CDU und FDP dennoch als ihre Fraktionsanschrift: „Preußischer Landtag“. Die Präsidentin, Frau Dr. Laurien hingegen, annoncierte ihren Amtssitz trotzig ohne jeden Straßennamen nur mit der Postleitzahl, während für die Fraktionen der SPD, PDS und Bündnis 90/Grüne gemäß der Mehrheitsentscheidung ihre Adresse die Niederkirchnerstraße ist. Somit hat also gegenwärtig das Berliner Abgeordnetenhaus kurioserweise, je nach

Gesinnung und Geschichtssinn, drei verschiedene Adressen. Also doch eine Posse? Oder böses Gewissen?

Nein, das wütende Treiben geht weiter, die Hatz auf Kommunisten und Antifaschisten, so sie im Osten von Straßenschildern noch nicht verschwunden sind - und überhaupt. Nicht einmal die lauter werdenden Mahnungen zu etwas mehr Toleranz und ein Mindestmaß historischen Denkens, Proteste der Anwohner, Einwände und Gegenbeschlüsse der betreffenden Stadtbezirke gebieten dem Einhalt. Es wurde extra eine „Unabhängige Kommission zur Umbenennung von Straßen“ durch den Senat berufen, sämtlich Westler, vier Professoren, zwei Damen mit Doktortitel, ein Herr vom Bischöflichen Ordinariat, die nun gleich die Namen von elf Straßen und Plätzen auf die Austilgungsliste setzten: Bersarinplatz, Clara-Zetkin-

Straße, Marx-Engels-Platz, Wilhelm-Pieck-Straße, Dimitroffstraße, Hans-Beimler-Straße, Kapelleufer, Karl-Liebknecht-Straße, Karl-Marx-Allee, Mollstraße und - abermals prompt gegen das unwiderrufene Mehrheitsvotum des Abgeordnetenhauses - die Nied erkir chn erstraß e.

Ungeheuer „unabhängig“ hört sich gerade dafür die Begründung der Kommissionäre an: Man verweise auf die „Überrepräsentanz des kommunistischen Widerstands in den Straßennamen aus DDR-Zeiten“, deshalb die Umbenennung gemäß der präsidialen Laurien-Vorgabe: „Am Preußischen Landtag.“ Denn: „Dieser Name erinnert an Preußen und an die Tradition des Parlamentarismus in diesem einstigen deutschen Staat.“ Und: „Was die Zeit vor 1918 angeht, erinnert der Na-

me ,Am Preußischen Landtag' an jene Epoche, in der Preußen zwar ein undemokratischer Staat, aber gleichzeitig ein Rechtsstaat war.“

An solchen „Rechts“-Ansprüchen prallt alles ab, auch der Einspruch der Naziopfer und der Angehörigen der Toten. So wandte sich der Bund der Antifaschisten Köpenicks in einem Brief an Frau Laurien: „Unsere Mitglieder haben zumeist die Schrecken des Nazi-Regimes selbst erlebt und erlitten und wollen ihre Kraft für ein antifaschistisches Berlin einsetzen. Bitte, Frau Präsidentin, respektieren Sie den Willen des Volkes! Wahren Sie dieses öffentliche Bekenntnis für Menschenwürde und für die Vorkämpfer dieses hohen Gutes!“ Die Präsidentin erwiderte darauf, sie könne dieser Argumentation „nicht zustimmen“, und statt „neuerlicher Ausführungen über Käte Niederkirchner“ sandte sie einen Abdruck ihrer sattsam bekannten „Bollwerk“-Rede. Und nicht einmal die Nichte der Ermordeten, die Kinderärztin und einstige Vizepräsidentin der letzten DDR-Volkskammer, Dr Käte Niederkirchner, fand mit ihrem eindringlichen Appell Gehör. „Bitte, wägen Sie ab“, schrieb sie, „im internationalen Ansehen von Berlin als Stadt, von der zwei Weltkriege ausgingen und die nur noch Frieden mit allen Völkern sowie mit ihren eigenen Bürgern schließen sollte, ob sie einer toten Widerstandskämpferin, die für ein friedliches und demokratisches Deutschland ihr Leben lassen mußte, die Würdigung entziehen.“

DDR-Selbstbewußtsein gegen die lähmende Krise ringenden Palast-des-Volkes-Parlaments. Dann aus dem Parlamentssitz und vom Bildschirm gejagt -Asbestgift, Beitritt, Abwicklung.

Aus dem nicht endenden Streit der Meinungen um Käte Niederkirchner hält sich aber die leibhaftige Trägerin dieses Namens bis heute nicht heraus. Auch sie war Diskriminierungen ausgesetzt, einstige Freunde und Kollegen schnitten sie. Zu DDR-Zeiten sei sie als Nichte der „Fallschirmagentin“ und „Heldin des antifaschistischen Widerstandskampfes“ hofiert worden, schrieb die „Morgenpost“, doch auf eine „weitere Politkarriere“ habe sie „verzichtet“, deshalb gelte sie nur als „relativ belastet“

Die Tatsache war ja nicht zu leugnen, daß sie seit eh und je als Kinderärztin in einer Poliklinik gearbeitet hatte, die jetzt freilich nicht mehr existierte. Nach wie vor hatte sie keine andere „Karriere“ im Sinn, nun aber in einer selbstgegründeten Praxis im Lichtenberger Neubaukiez mit den üblichen „Belastungen“ der neuen Zeit. „Ich war nicht dafür, das ganze System umzukrempeln“, erklärt sie, nach ihrem politischen Standort befragt. „Ich fühle mich selbst als Kommunistin und Demokratin.“ Von ihrer Tante und Namenspatin weiß sie aus den Erzählungen der Mutter, daß sie sehr nachdenklich, sensibel und musisch begabt war: „Sie

konnte sich' unheimlich gegen Verhältnisse engagieren, die ihrer Meinung nach ungerecht waren. Sie hat aber nie jemand schaden, verletzen oder gar ins Abseits und Aus drängen wollen; weil er anders denkt. Sie hätte Gelegenheit gehabt, sich an Terrorakten zu beteiligen, lehnte dies aber ab. Ihr war die Beendigung des Krieges (wichtig, auch unter Einsatz ihres Lebens, weil er Leid für jeden brachte.“ Nicht alles je-Idoch weiß sie im einzelnen, «Was damals geschah, manches 'wurde totgeschwiegen, auch in der eigenen Familie, so das Schicksal ihres Onkels Paul, Kätes und Mias Bruder, der vermutlich bei 'Stalinschen Säuberungen umgekommen ist. „In den Archiven fand sich bisher nichts über ihn.“

Der umfangreiche Nachlaß der Familie, der dem Parteiarchiv der SED übergeben worden war, befindet sich derzeit beim Zentralen Bundesarchiv und könnte der Wahrheitsfindung dienen. Es findet sich dort u.a. eine Niederschrift Elly Winters, der Tochter Wilhelm Piecks, aus dem Jahre 1978, die manches aus dem Dunkel reißt, was auch die Angehörigen Kätes nicht wußten.

Theodor Winter, Wilhelm Piecks Schwiegersohn, und Käte Niederkirchner sollten bei ihrem illegalen Einsatz in Nazideutschland, zu dem sie gemeinsam gestartet waren, Verbindung zu illegalen Gruppen aufnehmen und ein wirksames Widerstandsnetz knüpfen.

„In Polen, bei der kleinen Stadt Parzow, Kreis Lublin, sprangen die beiden Genossen mit dem Fallschirm ab“, gab Elly Winter-Pieck zu Protokoll. „Sie wurden von polnischen Partisanen erwartet. Aber nur ein Fallschirm ging auf der Wiese nieder, es war Theodor Winter. Der Führer der Partisanengruppe begrüßte ihn, der 19jährige Waclaw Czyzewski heute Divisionsgeneral der polnischen Armee. Erst am Morgen entdeckte man Katja Niederkirchner, die mit ihrem Fallschirm in einem hohen Baum hing und bewußtlos war» Nachdem man sie heruntergeholt und verpflegt hatte, kam sie zu sich. Ein paar Tage verbrachten sie im Lager, dann wurden sie von guten Freunden durch das besetzte Polen bis Warschau geleitet und auf die Reise gebracht. Katja ging auf dem Danziger Bahnhof in die Fänge der Nazis. Sie wurde in das KZ Ravensbrück gebracht und dort ohne Untersuchung am 27.9.1944 erschossen. Theo kam bis Berlin und wurde am Anlaufort von den Nazis verhaftet und in das KZ Sachsenhausen gebracht... Heute ist uns bekannt, daß Theo Winter im September 1944 nach Berlin in die Hölle der Gestapo-Zentrale in der Prinz-Albrecht-Straße eingeliefert wurde. Man muß annehmen, daß beim Nähern der Front - April 1945 - Theodor Winter ermordet wurde.“

Eine Straße zu Ehren des wie Käte Niederkirchner erschossenen Widerstandskämpfers Theodor Winter hat es übrigens in Berlin nie gegeben, sonst wäre sie neuerdings wohl schon aus Gründen der Verwandtschaft mit Wilhelm Pieck verschwunden. Aber auch die Verwandtschaft der Gesinnung oder ihre Nähe genügt schon, Namen und Tatsachen zu kriminalisieren. Wie im Falle Niederkirchner ist das die Lektion, die uns jetzige deutsche „Demokraten“ erteilen, indem sie die Spuren der Nazi-Morde und der Ermordeten vernichten. Aus Gewissenlosigkeit oder aus bösem Gewissen?

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