- Kultur
- Otto Nagel und sein Werk in die Museumsdepots?
Anschlag auf einen Ehrenbürger von Berlin
Eine der noblen Adressen des kulturellen Berlin ist ins Gerede gekommen. Das Otto-Nagel-Haus am Märkischen Ufer in Mitte, ein Relikt der DDR, soll Anfang des Jahres 1995 geschlossen werden. Die kostbare, unter Denkmalsschutz stehende und vom Berliner Magistrat unter hohem finanziellen Aufwand restaurierte Immobilie im Herzen der Stadt soll nach dem Willen des neuen Hausherren, der Stiftung Berlin Preußischer Kulturbesitz, zum Domizil für das Preußische Bildarchiv umfunktioniert werden. Als dieser Fakt im Zusammenhang mit einer Gedenkausstellung zum 100. Geburtstag Otto Nagels, des international anerkannten Künstlers und Ehrenbürgers der Stadt, im September bekannt wurde, hat das in der Öffentlichkeit zu Aufsehen und Protesten geführt. Inzwischen haben über 1 000 Bürger mit ihrer Unterschrift dagegen protestiert, daß dem Andenken und der Pflege des Nageischen Werkes auf so seltsame und eigenwillige Weise Gewalt angetan wird. Die Listen wurden mittlerweile an den Petitionsausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses übergeben.
Im Otto-Nagel-Haus waren seit 1973 auch Arbeiten der Kollwitz, von Vogeler, Querner, Ehmsen oder Lachnit - hervorragende Werke einer sozial geprägten deutschen Kunst zu sehen. Durch die Pläne der Stiftung Preußischer Kulturbesitz besteht die Gefahr, daß ein alternativer, dem Proletariat zugewandter Teil der deutschen Kunst der zwanziger, dreißiger und vierziger Jahre selektiert wird und in Depots
verschwindet. Ob hier politische und weniger künstlerische Überlegungen gegenüber einem linken Maler Und Graphiker und langjährigen Präsidenten der Ostberliner Akademie der Künste eine Rolle gespielt haben, sei dahingestellt.
Der Vorsitzende der Fraktion der FDP im Berliner Abgeordnetenhaus, Axel Kammholz, stellte kürzlich auf einer öffentlichen Sitzung seiner Fraktion fest, über die wirklichen Absichten der Stiftung mit Blick auf das Nagel-Haus liege zur Zeit noch zu vieles im dunkeln. Deshalb werde es am 20. Dezember ein Gespräch geben, um die Dinge zu erhellen. Wie von Sibylle Schallenberg-Nagel, der Tochter Otto Nagels, und ihrem Mann, dem Grafiker und Maler Götz Schallenberg, zu erfahren war, habe die Stiftung Preußischer Kulturbesitz das iHaus für einen horrenden Millionenbetrag von den in den USA lebenden Altbesitzern nur deshalb erworben, weil die Räume des bisherigen Standortes des Preußischen Bildarchivs am Halleschen Tor von der Bahn gekündigt worden sind und man eine neue Bleibe brauche. Daß in dem Zusammenhang ausgerechnet Hand an das Werk und das Gedenken eines Malers gelegt wird, der mit seinen Berliner Bildern ein Stück Kulturgeschichte der Stadt verkörpert, stößt weitgehend auf Unverständnis und wird als selbstherrlicher Akt empfunden. „Es ist ernüchternd: aus Mitteln des Bundes -und der Länder werden erhebliche Beträge zum Abbau von Kultur erbracht, nicht zu derem Erhalt“, so Götz Schallenberg.
Götz Schallenberg und Sibylle Schallenberg-Nagel befürchten, daß mit der Räumung des Hauses am Märkischen Ufer Werke von internationalem Rang und damit ein Teil der Berliner Sozialgeschichte und der Chronik der Stadt ins Abseits verbracht werden. Da sie die Ansicht vertreten, daß seinerzeit durch die SED und die Regierung der DDR Werk und Nachlaß Otto Nagels zwangsweise als „Schenkung“ an die Akademie der Künste gegangen sind, fordern sie die Werke Otto Nagels und anderer bedeutender Künstler, einschließlich des dokumentarischen Nachlasses aus dem Familienbesitz, zurück. Sie sollten künftig als Stiftung, unter einer neuen Trägerschaft, für den Fortbestand des Nagel-Hauses zur Verfügung stehen. Wie aus Kreisen der Akademie zu erfahren war, sei der Nachlaß Otto Nagels rechtens im Besitz der Akademie.
So wird das Tauziehen um das Werk des „Klassikers des Berliner Wedding“ noch weitergehen. Einige Kunsthistoriker haben ihn als „links“ und damit, dem Trend entsprechend, als Persona non grata eingestuft. Den Schaden dieser Posse haben die Berliner Kulturlandschaft und die realistische deutsche Kunst zu tragen. Der Vorgang läßt sich einordnen in die in Ostberlin bereits vollzogene Abwicklung der Häuser und Gedenkstätten des antifaschistischen Sängers und Schauspielers Ernst Busch, des Dichters Johannes R. Becher und des jüdischen Romanciers Arnold Zweig sowie einiger kleinerer Museen.
HORST KNIETZSCH
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.