„Moffenhaat“ in den Niederlanden?
Auch 50 Jahre nach Kriegsende haben die Deutschen beim Nachbarn keinen guten Ruf
Aus Amsterdam berichtet REGINE STANDKE
Das niederländische Königshaus hat sich ins Gerede gebracht. Ausgerechnet vor deutschen Journalisten hielt Kronprinz Willem Alexander die Zeit für die Abschaffung des 5. Mai als Tag der Befreiung für gekommen. Keiner denke dabei mehr an das Ende des zweiten Weltkrieges, glaubt der 27jährige Thronfolger.
Zuvor schon hatte Prinz Bernhard für Aufregung gesorgt, als er in einem Interview mitteilte, keine Bedenken zu haben, den 50. Jahrestag des Kriegsendes mit deutscher Beteiligung zu begehen. Schnell aber fühlte er sich falsch zitiert und meinte, das wäre „das letzte, was ich jemals sagen oder denken würde“ Offenbar eine Reaktion auf Unverständnis und Empörung holländischer Widerstandsverbände.
Auch die Monarchin selbst mischte sich mit ihrer jüngsten Ansprache vielbeachtet in die Debatte ein. „Auf Unterdrükkung folgt Befreiung, aber auf Befreiung folgt Versöhnung“, so eine ihrer Thesen. Sie hielt ihren Landsleuten den Spiegel der Geschichte vors Gesicht und erinnerte daran, daß die Mehrzahl es während der faschistischen Okkupation vorgezogen habe, so normal wie möglich weiterzuleben. „Der Widerstand war nicht allgemein“, sagte sie.
Die offenbar versöhnlich gestimmte Haltung der ersten Familie des Landes wird allerdings nur von wenigen geteilt. Die Meinung der meisten Niederländer über die Nachbarn ist eher schlecht. Noch sehr gegenwärtig ist die Demütigung des niederländischen Volkes, das 1940 vom faschistischen Deutschland okkupiert wurde, unvergessen sind die in Konzentrationslagern und Polizeikellern Umgekommenen. Vor kurzem erst verhinderte ein Protestkomitee die Übergabe der israelischen Ehrenmedaille „Gerechter unter den Völkern“ an einen ehemaligen deutschen SS-Mann, der als Wachmann Juden entkommen lassen hatte.
Mit Erstaunen über die Rigorosität der Ablehnung aber wurde eine Umfrage des renommierten Clingendael-Instituts für internationale Beziehungen in Den Haag aufgenommen, das Jugendliche nach ihrer Meinung über die
Deutschen befragte. 71 Prozent finden die Deutschen zu dominant im Auftreten, auf 60 Prozent wirken sie arrogant, und 46 Prozent der jungen Leute halten die Deutschen für kriegslüstern. Quelle dieser wenig schmeichelhaften Urteile über die „Moffen“ - wie die Deutschen seit eh und je abschätzig genannt werden sind neben der übernommenen Einstellung von Eltern und Großeltern auch eigene Erfahrungen, z. B. mit deutschen Touristen, und nicht zuletzt ein
- wie hier eingestanden wird
- recht einseitig vermitteltes Bild vom Nachbarn in den Schulen. Einige Zeitungen wollten einen regelrechten „Moffenhaat“, Deutschenhaß, ausgemacht haben.
„Unser Problem ist, daß wir ein Problem mit unserer eigenen Vergangenheit haben“, deutet Rob Aspeslagh vom Clingendael-Institut die antideutsche Stimmung. Die Besetzung der Niederlande habe nach 1945 geradezu eine identitätsstiftende Funktion für die Holländer gehabt, meint der Historiker Hermann von de Dunk. Seit einigen Jahren nun setzt man sich zunehmend kritisch mit der eigenen Vergangenheit auseinander Vor al-
lem von den Jüngeren wird das Wunschbild vom allgemeinen Widerstand in Frage gestellt. Holländischen Angaben zufolge sollen 400 000 Menschen, das waren etwa fünf Prozent der Bevölkerung, in irgendeiner Form mit dem Feind kollaboriert haben.
So verständlich die Urteile und eben oft bestätigten Vorurteile vieler Niederländer gegenüber dem großen Nachbarn auch sein mögen, die Haager Regierung will sich mit der Schere zwischen den als überwiegend harmonisch eingeschätzten offiziellen Beziehungen und der Meinung der Leute nicht abfinden. Eine Stiftung zur Förderung der Deutschlandstudien soll der Forschung an den Universitäten Impulse verleihen, neues Lehrmaterial wird an den Schulen aktuelle Informationen über das Leben in Deutschland vermitteln. Ob die letzten atmosphärischen Störungen nach der Bonner Ablehnung des niederländischen Kandidaten für den EU-Kommissionspräsidenten im Vorjahr nun endgültig abgeklun* gen sind oder nicht, wird Kanzler Kohl diese Woche bei seinem Besuch im Nachbarland gewiß zu spüren bekommen.
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