Unverbesserlich meisterlich

Premierenjubel um »Tristan und Isolde« im Opernhaus Chemnitz

  • Werner Wolf
  • Lesedauer: 3 Min.
Es gibt noch Opernregisseure, die ein Werk ohne Veränderung der Handlung höchst spannungsreich zu gestalten vermögen. Zu ihnen gehört im östlichen Deutschland neben dem Dessauer Intendanten Johannes Felsenstein der Chemnitzer Operndirektor Michael Heinicke. Im Bunde mit dem Chefdirigenten Niksa Bareza, dem Bühnenbildner Reinhart Zimmermann und dem Kostümgestalter Joachim Herzog zeichnet er für die am Wochenende im Opernhaus Chemnitz mit einhellig starkem, zehnminütigen Beifall aufgenommene Inszenierung von Richard Wagners »Tristan und Isolde« verantwortlich - seiner neunten Wagner-Premiere seit Wiedereröffnung des restaurierten Hauses im Dezember 1992. Heinecke und seine Mitarbeiter wissen: Meisterwerke bedürfen keiner »Verbesserungen«, sondern fordern immer wieder die ganze Kraft der Inszenatoren und des Dirigenten heraus, um deren Gedanken- und Empfindungsreichtum für die Theaterbesucher zu erschließen. Dazu nutzen sie nicht zuletzt die bei der Restaurierung des Hauses entschieden verbesserte Bühnentechnik. Mittels Drehbühne, Hubpodien, Versenkungen und Beleuchtung rücken sie die Vorgänge höchst prägnant ins Blickfeld. Wenn während des Vorspiels und der Einleitung zum zweiten Aufzug die Fassade des Wahnfried genannten Hauses sichtbar wird, überrascht das zunächst, doch befördert die Musik die Einsicht, dass Wagners Wähnen auch in diesen Mauern keinen Frieden fand. Dann nimmt diese ergreifendste Geschichte tragischer, unerfüllter Liebe mit zwingender Logik ihren unerbittlichen Verlauf. Die Bühne öffnet sich für Isoldes Schiffsgemach. Tristans Reaktion und Kurwenals beleidigende Antwort auf Isoldes Verlangen spielt sich dank der Bühnendrehung nicht im Hintergrund, sondern vor aller Zuschauer Augen ab und wirkt so intensiver als sonst. In dieser Weise gliedert der Regisseur das gesamte Geschehen. Damit erhält im zweiten Aufzug die wohl schönste (und auch längste) Liebesszene der gesamten Opernliteratur ohne äußerliche Ablenkung auf allmählich veränderten Spielflächen und der Stimmung entsprechender Ausleuchtung ihre organische Gliederung. Ebenso wird König Marke ins rechte Licht gerückt. Auch im dritten Aufzug dient die Bildfindung ganz dem gedanklichen und musikalischen Geschehen. Der todkranke Tristan liegt in einem kleinen Raum, der an Wagners Arbeitszimmer in Wahnfried erinnert. Bei der Ankündigung Isoldes klettert er auf das Dach dieses Raumes, der allmählich aus dem Bild verschwindet. Der beim Auftreten erschlagene Verräter Melot, der aus Notwehr getötete Kurwenal und der zur Versöhnung zu spät gekommene König Marke verschwinden beim Schlussgesang aus dem Bild. Der Bühnenausschnitt mit dem toten Tristan und der weltentrückten Isolde wird erhoben. Die von Liebesqual Gezeichneten verlassen die ihnen feindliche Tagwelt, schweben »in des Welt-Atems wehendem All«. Die vom ersten bis zum letzten Takt erreichte Spannung der ungekürzten Aufführung ist genau durchdachter Personenführung, der intensiven darstellerischen und gesanglichen wie orchestralen Gestaltung zu danken. Nicht allzu oft sind die lyrischen Schönheiten dieser Musik so beeindruckend zu erleben. Überragendes leisten die für diese Inszenierung gastweise gewonnenen Sänger John Charles Pierce als Tristan, Evelyn Herlitzius als Isolde und Jürgen Freier als Kurwenal. Aber auch die Chemnitzer Ensemblemitglieder Donna Morein (Brangäne), Yue Liu (König Marke), Dietrich Greve (Melot) Jürgen Mutze (Steuermann) und André Riemer (Junger Seemann, Hirt) können sich hören und sehen lassen. Niksa Bareza formt dem Orchesterpart im Sinne der von Wagner vorgenommenen dynamischen Retuschen denkbar differenziert und eindringlich aus. Nächste Aufführung am 27. Juni

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