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  • Politik
  • Rolf Ludwig, der Erzkomödiant und Charakterspieler, wird heute 70

Nach schwerer Krankheit wieder voller Pläne

  • GERHARDEBERT
  • Lesedauer: 4 Min.

Im November 1993 erlitt der Schauspieler Rolf Ludwig einen Herzinfarkt. Im Frühjahr 1994 mußte er am Herzen operiert werden. Danach lag er in kritischem Zustand auf der Intensivstation. Doch der ehemals notorische Trinker und Raucher („Ich rühre keinen Alkohol und keine Zigarette mehr an.“) rappelte sich wieder hoch. In seiner Fischerhütte auf der Insel Usedom erholte er sich. In der vergangenen Spielzeit stand er wieder auf der Bühne des Deutschen Theaters, als Gerichtsdiener in Hauptmanns „Biberpelz“ und als Diener Anton in Hofmannsthals „Der Turm“. Heute feiert er seinen 70. Geburtstag. Und alle Verehrerinnen und Verehrer gratulieren sehr herzlich.

Ob Haupt- oder Nebenrollen, ob Herren oder Diener, Rolf Ludwig gibt sie stets plastisch, greifbar, ganz präsent. Alle Figuren, die er kreiert, sind von ansteckender, originaler Ursprünglichkeit. Doch er ist nicht, was man ein Original nennt. Er ist zwar originell, aber nie ein Selbstdarsteller. Jede seiner Rollen prägt er mit seiner unverwechselbaren Persönlichkeit, und das ist stets

ein Prozeß des sich Einbringens in die Gestalt der Literatur. Ihr gibt er sich hin. Der Erzkomödiant disziplinierte sich zum Charakterspieler. Und der Charakterspieler sensibilisierte den Erzkomödianten. In dieser Widersprüchlichkeit lebt er noch heute Eindrücke aus, die ihm die Jugendzeit einbrannte.

Als er acht Jahre alt gewesen, 1933, war Dresden-Leuben, seine Heimat, ein Fahnenmeer. Hakenkreuze. Als er achtzehn war, lag er hinterm MG, an der Westfront. Dauerfeuer von zwei Tagen. Hunderte Tote neben ihm. Schreckliche Bilder. Apokalypse. Er überlebte. Der sensible junge Mann, der Pausenclown auf der Penne, hatte im Innersten seiner Seele erfahren, was Tragödie heißt. Er war geprägt für sein Leben. 1946, als Kriegsgefangener, hörte er im Radio Borcherts „Draußen vor der Tür“. Es war der Aufschrei seiner Generation. Jahrzehnte später wird sein Wolfgang-Borchert-Abend zum persönlichen Credo.

Vielfalt des Lebens: Zur Bühne kam Rolf Ludwig über die Operette. 1947 war er aus der

Kriegsgefangenschaft helmgekehrt. Der gelernte Kartolithograph bewarb sich an der damaligen Hochschule für Musik und Theater in Dresden, wurde angenommen und nach acht Wochen wegen Talentlosigkeit entlassen, An der Dresdener Volksbühne kam er als Anfänger unter. 1950 engagierte ihn aas Berliner Metropol-Theater als Buffo. Der Komiker fiel auf. 1952 holte ihn Fritz Wisten ans Theater am Schiffbauerdamm.

1955 dann an Wistens Volksbühne der große Durchbruch: In Otto Tausigs Inszenierung des „Diener zweier Herren von Goldoni eroberte Rolf Ludwig als Truffaldino die Herzen der Berliner. Ein wahrer Ausbund von unbekümmerter Lebensfreude, hinreißendem Übermut und unerschöpflicher Pfiffigkeit, kobolzte er über die Bühne. Und immer war da auch der arme Hund, der geplagte Plebejer.

Der leidenschaftliche Komödiant wollte sich aber nicht aufs Komische festlegen lassen. 1964 wechselte er zu Wolfgang Heinz ans Deutsche Theater. Und hier feierte Ludwig in Benno Bessons Inszenierung der Märchenkomödie „Der Drache“ von Jewgeni

Schwarz als Titelgestalt Triumphe. Dreifache Verwandlung als Drache - Jeweils ein personifiziertes Scheusal. Der Charakterspieler faszinierte in fast 500 Vorstellungen.

1969 folgte Rolf Ludwig Benno Besson zur Volksbühne, Zwei Erzkomödianten hatten sich gefunden. In Brechts „Gutem Menschen von Sezuan“ gab er zunächst den stellungslosen Flieger Yang, dann den Wasserverkäufer Wang. Er spielte den Tragöden Gennadi in Ostrowskis „Der Wald“, Shakespeares „Othello“ und den alten Ekdal in Ibsens „Die Wildente“. 1977 wechselte er wieder zum Deutschen Theater, spielte dort umwerfend komisch den Säufer Prunkhorst in „Der blaue Boll“ von Barlach.

Auch in anderen Medien hat Ludwig prägnante Gestalten geschaffen. Erinnert sei an die Filme „Der Dritte“, „Lotte in Weimar“, „Requiem für Hans Grundig“ und „Kleiner Mann was nun?“. In seinen Memoiren, die unter dem Titel „Nüchtern betrachtet“ erscheinen, hält er die Stationen seines reichen Künstlerlebens fest. Und Rolf Ludwig steckt voller neuer Pläne.

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