- Politik
- Prof. Dr. sc. med. PETER ALTHAUS, 54 Jahre, Chefarzt der Urologischen Abteilung des Evangelischen Krankenhauses Königin Elisabeth Berlin-Herzberge
„Ich bin richtig glücklich“
- auch für die Überschrift - war schlimmer: Der nun auch im Osten herrschende Westberliner CDU/SPD-Senat hatte schon im Herbst “90 an der in aller Welt berühmten Spitzenklinik der DDR „Großreinemachen“ befohlen. Ob primär aus finanziellen Gründen, weil drei große Uni-Kliniken für Berlin unbezahlbar sind, oder um für ehrgeizige Wessis Platz zu machen, ist letzlich egal. Jedenfalls ging man politisch vor, machte Jagd auf „rote Socken“. Althaus, der 1961 als Student in Leningrad Mitglied der SED geworden war, gehörte dazu. Obwohl er nie Parteifunktionär war, sich als Arzt um die Menschen kümmert, sensibel da-
Dennoch traf auch ihn die „Stasi-Keule“. Und es dauerte viele Monate, bis er nachweisen konnte, daß er - entgegen der Aktenlage - nie IM war, schon gar nicht Kollegen oder Patienten bespitzelte. Denn die Akten hatten die anderen. Er mußte sich die Einsicht erst vor Gericht erstreiten. Da stellte dann auch ein Schriftsachverständiger fest, daß die Unterschrift „P Althaus“ am Ende einer „Verpflichtungserklärung“ gefälscht worden war Von einem MfS-Mann namens ..Hartloff'?
So hatte der sich 1971 Althaus, damals wissenschaftlicher Assistent an der Uni in Halle/Saale, vorgestellt. Der Mediziner bekam „Besuch“, weil er eine in der DDR - als „Parteitagsobjekt“ - konstruierte künstliche Niere öffentlich so charakterisiert hatte: „Da ist alles dran, nur nicht der Griff zum Wegwerfen.“ Der MfS-Mann, der eigentlich Kirmse heißt, gab sich verständnisvoll, interessierte sich für Althaus' Engagement, auch in Halle ein Transplantationszentrum aufzubauen. Die Männer freundeten sich an, trafen sich später ab und zu auch in Familie. Alles, was Althaus da erzählte und Kirmse als interessant für „die Firma“ ansah, schrieb er auf, als vermeintliche „IM-Berichte“ Ohne daß Althaus davon etwas ahnte.
Was er über diesen „Stasi Kontakt“ wußte, erzählte Alt
haus jedem freimütig. Doch die für seinen „Fall“ maßgeblichen Leute interessierte das nicht. Statt dessen inszenierten sie Rufmord. „Mein Lieber, geh zu Herrn Gauck“, tönte Mau in der Charite an der Seite des Aktenverwesers bei einer Podiumsdebatte im September '91, „lies, was dort gegen Dich vorliegt. Denn wenn Du sagst, Du hättest nie eine Verpflichtungserklärung unterschrieben, dann werde ich öffentlich sagen: Dieser Herr lügt.“
„Mit der Charite bin ich fertig, mit Mau noch nicht“, sagt Althaus heute. Lassen wir's so stehen. Mau hat weggeschaut, als sie sich mal zufällig begegneten. Die Charite meidet Althaus demonstrativ Obwohl sein Amtsnachfolger, ein Deutsch-Amerikaner, sehr am Kontakt, auch persönlich, interessiert ist. „Der meint das sicher ganz ehrlich“, bekennt Althaus. „Aber ich kann die Charite nicht wieder betreten.“ Einmal hat er's seit dem Juli 1991 doch gemacht. Für einen Krankenbesuch. Sein Oberarzt, früher auch Charite, war auf der Straße brutal zusammengeschlagen worden, als er spät in der Nacht jemandem zu Hilfe kam, und ausgerechnet in die Charite gebracht worden. „Da hatte ich keine Wahl“, sagt Althaus. Und erzählt amüsiert, wie da manche geguckt und getuschelt haben: Der Althaus
Sonst hat die frühere Arbeitsstätte für ihn eine ganz simple Funktion: „Die Patienten, die eigentlich an die Charite gehören, hab' ich hier“, sagt er. „Das urologische Profil, das eigentlich der Charite entsprechen müßte, hab' ich hier. Und was du heute überall hörst: Inkompetenz, einer schiebt die Entscheidung auf den Schreibtisch des anderen, das hab' ich hier nicht. Ich habe hier eine Krankenhausleitung, mit der ich konstruktiv zusammenarbeiten kann. Da bedeutet Ja Ja und Nein Nein.“
Der Name Thomas Passauer fällt. Der Pastor ist Direktor des mit 900 Betten größten kon-
fessionellen Krankenhauses Berlins. Er hatte Althaus im Spätsommer '91, nach seinem Rauswurf aus der Charite, angesprochen, ob er nicht in Herzberge eine Urologie aufbauen will. Althaus wollte, weil er unsäglich darunter litt, von heute auf morgen nicht mehr Arzt sein zu dürfen. Angebote hatte er genug, aus der Alt-BRD, auch aus den USA. Doch er wollte in Berlin bleiben, bei seinen Patienten. So entschied er sich für das christliche Krankenhaus. Auch wegen Passauer.
„Solch eine Persönlichkeit habe ich als Direktor überhaupt noch nicht gehabt“, sagt er nachdenklich, fast so, als staune er noch immer darüber „Vielleicht mit Ausnahme von Jürgen Großer“, fügt er hinzu. - Da ist sie wieder, die Charite. Großer war ihr Chef bis ein Jahr vor der „Wende“. „Auf ihn konnte ich mich immer hundertprozentig verlassen.“ Nie wäre er auf die Idee gekommen, „seiner“ Klinik ade zu sagen. Und doch tat er es, nachdem er auch juristisch rehabilitiert war Aus Selbstachtung. Der radikale Schnitt ist vernarbt, doch er schmerzt Althaus offenbar noch immer. Obwohl er auf meine Nachfrage wiederholt: „Ich bin wirklich richtig glücklich. Jeden Tag fahre ich früh mit Freude zur Arbeit.“
Und wie kommt ein Atheist in einem evangelischen Krankenhaus zurecht? Althaus überlegt einen Moment. „Hier ist. da ist ein wirklich herrlicher Kontakt mit meinem Direktor, mit der ganzen Krankenhausleitung, auch dem Ärztlichen Direktor.“ In Herzberge wird gemunkelt, daß man Althaus diese Funktion angetragen habe. Obwohl ihr Inhaber laut Statut des Evangelischen Diakoniewerks Mitglied einer christlichen Kirche sein muß.
Gibt's dazu was zu sagen? „Wenn der Althaus in die Kirche eintritt, dann denkt doch jeder: Was soll das?“, sagt er „Ich hab' nie einen Hehl aus
meiner Weltanschauung gemacht, dazu steh' ich. Ich bin doch nicht in die Partei eingetreten, weil ich irgendeine Karriere machen wollte. Sondern aus tiefster Überzeugung. Und dabei bleibe ich.“ Außerdem sei er auf die Funktion überhaupt nicht scharf. „Das liegt mir nicht. Ich bin Kliniker.“
Mit Leib und Seele. Das sagen jedenfalls Kollegen, Schwestern und Pfleger, meinen auch die Patienten, die ihn kennen. Zumal er ein begnadeter Operateur ist. Es gibt wohl nichts, was er nicht wagen würde, wenn er die Chance sieht, Leben zu retten. Dutzenden Kindern hat er an der Charite durch eine Nierentransplantation das Leben gerettet. Briefe von deren Eltern, die er im Sommer '91 erhielt, ihr Unverständnis über seine Entlassung, ihr Protest dagegen, ihr Dank für seinen Einsatz, für die Geduld, das Verständnis, die Zuwendung des Arztes, halfen ihm damals sehr, gaben ihm Kraft.
„Das war das Schrecklichste, daß man mir meinen Operationssaal weggenommen hat an der Charite.“ Das Gesicht des Mannes, das stets ein Lächeln zu umspielen scheint, verändert sich kaum merklich. Er hebt auch jetzt nicht die Stimme, doch auf der hohen Stirn zeigt sich Zorn. „Mich nicht operieren zu lassen, das ist das Schlimmste, was man mir antun könnte.“
Sicher auch deshalb engagierte sich Althaus in und für Herzberge schon, als sein Kündigungsschutzprozeß noch lief. Und als er ihn gewonnen hatte, doch sich weder der Senator noch der Dekan der Charite bei ihm für das Unrecht entschuldigten, kündigte er der Uni-Klinik. Fristlos. Weil es ihm nicht zuzumuten ist, unter einer solchen Leitung zu arbeiten.
Er ging ins Königin-Elisabeth-Krankenhaus. Fehlt ihm gar nichts in Herzberge? „Ich habe hier eine bestens ausgerüstete Klinik. Das findest du wahrscheinlich kein zweites Mal. Ich habe alles, was ich brauche.“ Vor allem Patienten. Sie kommen von überall her.
Aus Ost- wie Westberlin, der früheren DDR wie der Alt-BRD, sogar aus Brüssel.
„Ich könnte heute 100 Betten belegen“, sagt Althaus. Doch davon will er nichts wissen. Irgendeine Beraterfirma hätte ausgerechnet, daß sich das für das Krankenhaus auszahlt. „Nieten in Nadelstreifen, kennst du das Buch?“, wirft er ein. Dann sagt er bestimmt: „Ist doch alles Quatsch.“ Natürlich kann er nicht alle Patienten, die kommen, behandeln. Viele muß er an Fachkollegen verweisen. Doch in allen urologischen Kliniken Berlins würden Betten abgebaut, warum solle er denen das Leben noch schwerer machen. Ein paar Betten kämen freilich bei ihm nächstes Jahr hinzu, neun zu 31. Damit sich die Investitionen amortisieren.
Und die Nierentransplantationen? Bedauert er nicht, daß er auf diesem Gebiet nicht weitermachen kann? „Ach, weißt du, so aufregend ist das heute auch nicht mehr “ Routine, nur noch Handwerk? „Nein, nicht nur. Die Nephrologen bedrängen mich, Nieren zu transplantieren. Die Leute hab' ich. Aber woher soll ich die Nieren nehmen?“ Althaus klagt, daß seit der „Wende“ die Möglichkeiten, durch Organspenden Leben zu retten, drastisch schlechter geworden sind. Die bundesdeutschen Gesetze und „unsägliche“ Veröffentlichungen der Presse ließen die Bereitschaft zur Organspende immer mehr zurückgehen.
Gern würde Althaus wieder transplantieren, nicht am Fließband, aber in komplizierten Fällen. Und um den Patienten zu helfen, die gerade zu ihm gekommen sind. Das spürt man bei jedem Wort: „Wir haben die schönste Dialyse und nephrologische Abteilung in Berlin, seit zwei Jahren“, sagt er stolz. „Ein Schmuckstück.“ Oberärztin Miller, die Abteilungsleiterin, hat er nach Herzberge geholt - aus der Charite. „Für die hab' ich gekämpft bis zum Umfallen. Die' Wessis standen Schlange. Die Millerin war 44 Jahre alt und hatte keine Perspektive an der Charite. Ossis
haben ja dort keine Perspektive. Der Millerin habe ich die erste Leichen-Nierentransplantation der Charite zu verdanken. Der Mebel wollte das nicht. Sie hat ihn rumgekriegt. Das vergesse ich der Millerin nie.“
Andere Menschen nicht vergessen, an sie denken, das ist offenbar Althaus' Natur. Bevor der zum Gespräch verabredete Journalist dazu kommt, die erste Frage zu stellen, wird er nicht nur passiv Augen- und Ohrenzeuge dafür. Er muß auch selbst Rede und Antwort stehen, wie es ihm, seiner Frau und seiner Zeitung geht. Er wird gefragt, ob er etwas gehört hat, wie es um die oder den, meist gemeinsame Bekannte von der Charito steht.
Für den Arzt Althaus hört das Interesse an seinen Patienten auch nicht auf, wenn er sie nach erfolgreicher Operation und Nachsorge entläßt. Ein Kollege von mir erfuhr im Gespräch mit Kurt Böwe vom Deutschen Theater:
Mitte Mai des Jahres 1995 findet die erste Vorstellung von „Herrn Paul“ nach langer Krankheit des Schauspielers statt. Am Ende einer bangen Durchlaufprobe atmen alle auf: Die körperliche Strapaze kann dem Noch-Kranken zugemutet werden Das Schlimme ist ja, daß sich die Furcht und die Ungewißheit einen gefährlichen Ausweg suchen - in der Aggressivität. Ja, du wirst tatsächlich böse auf der Bühne . Du stehst da oben, bist böse, aber trotzdem begierig nach einem Wort der Liebe. Aber du kriegst natürlich keine Liebe. Doch nicht von diesem Publikum! Die Welt schweigt dich an aus diesem verruchten Dunkel da unten. Wo ich doch so lange weg war Den Kopf haben sie mir neu aufgesetzt, und ihr sitzt da, als wäre nichts geschehen. Aber es ist doch etwas geschehen! flehen meine Blicke: ICH! Ich bin geschehen! Merkt Ihr denn nichts, ihr fühllosen Gestalten? Bis plötzlich doch einer:., „lacht. Eiu^^einziger Mensch lacht. Und wer ist es? Ich blinzle hinunter ? MeinMofessor Althaus, mein Arzt! Als hätte nur er unter den Hunderten gehört, daß da oben eine Seele SOS schreit.
Man versteht, daß sich solch ein Mensch, obwohl (oder weil?) er sich als Operateur Gefühle nicht leisten, auch als Forscher nur rational vorgehen kann, ein Atheist dazu, gerade in einem christlichen Haus wie dem in Herzberge so wohl fühlt. Wie über Pastor Passauer schwärmt er auch von seinen „exzellenten Schwestern, bei der Diakonie ausgebildet. Wie die mit sterbenden Patienten umgehen .“ Der Urologe ist heilfroh, daß er einen Sozialdienst an der Seite hat, der sich nicht nur um die Nachbehandlung, sondern auch um die seelischen Nöte seiner Patienten kümmert - 80 Prozent haben Krebs. Manchmal bitte er auch selbst einen der in Herzberge tätigen Seelsorger an ein Krankenbett. „Die agitieren nicht, die helfen.“
Also gar keinen Kummer ! Doch. Täglich erhalte er fünf bis sechs Bewerbungen zur Facharztausbildung. Es gibt zu wenige Stellen. Er kann fast nie helfen. Denn auch ein Krankenhaus der Diakonie muß rechnen. 90 Prozent der Kosten sind Personalkosten. Es tut ihm weh, daß die Musikschule, an der seine Frau in der 3. und 4. Deutsch und Mathe lehrte, zum Gymnasium wurde und sie deshalb gehen mußte. Ihn ärgert vieles in diesem neuen Deutschland, auch der Standesdünkel nicht weniger Ärzte.
Und die Forschung, sein wissenschaftlicher Name? „Ich forsche, über Krebs. Ein Vielschreiber war ich ja nie.“ Er freut sich, daß er dieses Jahr erstmals wieder Zeit hat, in die USA zu fahren, zu Kollegen nach Minneapolis und in die Mayo-Klinik. Er freut sich, daß er regelmäßig Urologen aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion als Hospitanten empfangen kann und daß er demnächst in Petersburg, seinem Studienort, Vorlesungen halten wird. Und er freut sich auf die Oper - nicht nur wenn ihn Götz Friedrich einlädt.
Wie sagte doch Althaus am Telefon: Ich bin richtig glücklich.
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