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Die „Never-come-back“-Airlines

Keine Überlebenden vor Puerto Plata: Doch nicht nur „Exoten“ sind gefährlich

  • Lesedauer: 4 Min.

Am Mittwoch abend mitteleuropäischer Zeit hat die US-Coast Guard die Suche nach Überlebenden von Flug ALW 736 eingestellt. Völlig unklar sind die Ursachen der Katastrophe. Erste Erklärungsversuche, die von Blitzschlag ausgingen, wurden nicht nur von Boeing- Experten aus Seattle verworfen. Noch eine Weile wird die Betroffenheit über den Tod von 176 Passagieren und 13 Besatzungsmitgliedern anhalten. Dann ist wieder Alltag im weltweiten Fluggeschäft. Das ist - wie RENE HEILIG erfuhr - knallhart.

Wer 1995 Urlaub in der Dominikanischen Republik machte - das waren rund 350 000 Deutsche -, der konnte erheblich sparen. Bei den Flugkosten bis zu 450 Mark. Was damit zusammenhängt, daß die Route auch von ausländischen Carriern - abschätzig „Exoten-Airlines“ genannt - beflogen wird. Die verunglückte Boeing 757 gehörte der türkischen Birgen-Air Geflogen ist sie im Auftrag der Alas Nacionales. Die war vom türkischen Reiseveranstalter Öger-Tours, der sich in

Deutschland auf Platz sieben behauptet, gechartert.

Nach der Unglücksmeldung gab es offenkundig Irritationen im Bonner Verkehrsministerium. Hätte die Boeing in Deutschland landen dürfen oder nicht? Alles Unfug, sagt Batman-Mann Netek. „Bei uns kann jeder landen, der will. Einzig die Franzosen und Italiener sind korrekt.“ Bei der Genehmigung ist die Herkunft des Antragstellers entscheidend. Ja und? Eine Maschine aus der Dominikanischen Re-

publik, Air Amba, eine Tochter der mexikanischen Aerocancun, die nur über einen einzigen Airbus, jedoch ein Büro auf der Insel verfügt, hätte das Landerecht gehabt. Bei einem Flieger aus einem Drittland ist das nicht so klar Aber es gibt Lücken, die Ratioflug - so behauptet die Pilotenvereinigung Cockpit - bestens kennt. Im vergangenen Jahr ließ Ratioflug die Birgen-Air Urlauber in die Karibik fliegen. Angeblich hatte man die eigene Lizenz „verborgt“

Geschäftsführer Netek verwahrt sich gegen den Verdacht. Klar habe man eigene Passagiere mit Birgen-Maschinen transportiert. Doch letztlich nicht nur mit dem Segen, sondern sogar dem Zuspruch des Verkehrsministeriums. Dort hatte man nämlich „spitzbekommen“, daß die angeschlagene Metallgesellschaft sich von ihrer Tochter Ratioflug trennen wollte. Die Birgen-Air suchte damals einen Partner in Deutschland. Der entsprechende Tip aus dem Wissmann-Ministerium führte im Juli 1995 zu einem Vertrag und entsprechenden ministeriellen Genehmigungen. Auch in der Schweiz akzeptiert man Birgen-Air, die spanische Iberia läßt den Türken einige Krumen im Urlauber-Stoßgeschäft zu den Kanarischen Inseln. Die Verlobung zwischen Ratioflug

und Birgen-Air jedoch löste sich Ende Oktober 1995 wieder.

Gewarnt wird aber nicht nur vor „Charter-Exoten und -Chaoten“ Auch „die Linien“, so Cockpit-Sprecherin Barbara Paul, würden nicht selten „fliegende Schrotthaufen“ in die Luft und auch nach Deutschland bringen. Kollege Oliver Will weist auf Airlines der Türkei, Griechenlands, Zentralafrikas, aus der Karibik, China und den GUS-Staaten hin.

Im Braunschweiger Luftfahrt-Bundesamt kennt man die Vorwürfe. Die „Kern-Aeroflot“ gebe sich ja Mühe, alle technischen und personellen Anforderungen, zu denen sie sich mit ihrer Mitgliedschaft in der ICAO bekannt hat, zu erfüllen. Ob aber die aus der Aeroflot ausgegliederten Gesellschaften auf demselben Wege sind, bezweifeln Experten. „Man hört Horrorgeschichten.“ Es handelt sich immerhin um „300 bis 400 Klein- und Kleinstunternehmen“, von denen einige auch in unserem Luftraum zu treffen sind.

Deutsche Behörden haben kein Recht, Maschinen anderer Nationen zu kontrollieren. Das gilt auch für Pilotenlizenzen und Arbeitszeiten. Im deutschen Luftfahrtamt verweist man auf international ver-

bindliche Vorschriften, die national erfüllt werden müssen. Parallelen zum Fährschiffbetrieb sind nicht weit hergeholt.

„Es gibt einige Gegenden, da wird das etwas locker gesehen.“ Trotzdem dürfe es - anders als in den USA - nach deutschem Recht keine Vorverurteilung in Form von Landeverboten geben. Werden Mängel bekannt, kann man Bußgelder erheben und im schweren Fall die Verkehrsgenehmigung entziehen. Vor ein paar Jahren traf es eine dominikanische Gesellschaft. Da die Sache jedoch leicht „politische Anstriche“ bekommt, schiebt man sie immer auf den Tisch des Verkehrsministers.

Unmittelbare Luftaufsicht ist Ländersache. Da liegt die Kompetenz, einen gefährlichen Start zu untersagen. Vorausgesetzt, ein Gutachter, der zumeist vom Luftfahrt-Bundes 1 amt in Braunschweig angefordert wird, rät zum Verbot. „Daß wir gerufen werden, passiert nur alle paar Jahre“, weiß ein Beamter. Von einem Kollegen stammt der Tip: „Fragen Sie doch mal, wer noch mit der Birgen-Air fliegt. Ganz Etablierte sind darunter “ Ende 1995 hat die - ach so solide -Lufthansa-Tochter Condor zehn Prozent an Öger-Tours erworben.

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