Wo ORWO draufsteht, ist ORWO nicht mehr drin
1996 fünf Millionen Filme aus Wolfen / Unter altem Warenzeichen Material einstiger Konkurrenten verpackt
Von HANS-DIETER VATER
Die jüngst den Journalisten in Wolfen übergebene Information trifft den Nagel auf den Kopf: „Mit dem Erwerb des Betriebes .Konfektionierung' von der in Liquidation gegangenen Filmfabrik Wolfen GmbH am 1. Oktober 1995 ging nicht irgendein Produktionsstandort in die Manderman-Gruppe über. In die Gruppe wechselte ein Kernbereich einer der ältesten und traditionsreichsten Filmfabriken der Welt mit einem international bekannten Warenzeichen: ORWO.“
Nur ein halbes Jahr dauerte es, bis in diesen Tagen die Anlage zur Aufbereitung und Verpackung von Color- und Schwarz-Weiß-Filmen den Probebetrieb für den neuen Eigentümer Manderman aufnahm. 1985 war sie in der volkseigenen Filmfabrik aufgebaut und nach der Wende leicht modernisiert worden. Verpackt werden hochentwikkelte Aufnahmematerialien für alle fotografischen Einsatzzwecke. Die Frage aber, wer denn nun das Filmmaterial für die mit modernem Design und dem ebenfalls erworbenen 0R-WO-Warenzeichen versehenen Packungen liefere, beantwortete der 74jährige Chef des Familienunternehmens, Heinrich Manderman, nicht. Es gäbe eine Vereinbarung, darüber nicht zu sprechen.
Die Tragik besteht darin, daß jener, aus Konkurrenzgründen bei der Treuhand für die Einstellung der Filmproduktion in Wolfen wirksam gewordene internationale Filmkonzern nun sein Filmmaterial bei Manderman auch noch unter dem seit 1964 existierenden Firmenzeichen der einstigen ORWO-Konkurrenz verpacken und verkaufen läßt. Die Versicherung der neuen ORWO GmbH, es mit den neuen Filmen aus Wolfen zu keinem „Preisverriß“ kommen zu lassen, soll Rohstoff- wie Fertigproduzenten die nötige Effizienzgewißheit geben.
Was für die einen das Geschäft, ist aber wenigstens für 100 von einst mehr als tausend allein in der Wolfener Filmproduktion Beschäftigten ein
Arbeitsplatz. Bei einer Arbeitslosenquote, die hier noch über der Sachsen-Anhalts mit 19,5 Prozent liegt, ist ein Strohhalm schon Rettungsring. Mit dem angekündigten Aufbau eines Großlabors für Fotofinishing-Leistungen, um bis zu 80 Millionen Bilder im Jahr zu entwickeln, sowie der Ausrüstung für das neue Advanced Photo System (APS) sollen weitere 100 Arbeitsplätze geschaffen werden. Das läßt Hoffnung in dieser gebeutelten Region keimen.
74 Millionen DM beträgt das geplante Investitionsvolumen der Manderman Gruppe bei ORWO. Umbauten und technische Veränderungen haben begonnen. Manderman beklagte, daß die Abwicklung der Filmfabrik die öffentliche Hand zwischen einer halben und dreiviertel Milliarde Mark gekostet hat. Er war aber nicht bereit, die Höhe staatlicher Zuschüsse zu seinem Geschäft in Wolfen zu nennen. Die sei nur bescheiden gewesen. Mit 50 Jahren einschlägiger Geschäftserfahrung hat sich Heinrich Manderman als er-
fahrener Firmenaufkäufer erwiesen. 1982 übernahm er aus dem Konkurs heraus die Firma Schneider Optische Werke Kreuznach, 1990 den in Konkurs gegangenen Dresdner Kamerahersteller Pentacon (Praktika). 1992 vollzog er nach dem Konkurs der Rollei Werke in Braunschweig die Neugründung dieses Unternehmens und verkaufte es wieder an den koreanischen Großkonzern Samsung.
Als im Chaos der Treuhandpraxis in Wolfen ein Investor nach dem anderen den Rückzug antrat, besann er sich auf seine jahrzehntelangen Beziehungen zur einst volkseigenen Filmfabrik. Die ihm gehörende Firma Beroflex vertrat schon lange vor der Vereinigung ORWO-Erzeugnisse in der alten BRD.
Nichts lag also nach der Liquidation der traditionsreichen Filmproduktionsstätte für ihn näher, als nach einem ihrer Filetstücke zu greifen, der Konfektionierung. „Mein Name war gut genug für die Treuhand, um hier beginnen zu können,“ sagt Manderman. Es
sei die Geschichte des Wolfener Werkes und die hohe Qualifikation seiner Mitarbeiter, die ihn stets fasziniert haben. Das mag wohl auch der Grund dafür gewesen sein, daß er im Management seiner Wolfener ORWO GmbH auf ostdeutsche Erfahrungen nicht verzichtete.
Am 1. April soll der offizielle Produktionsstart erfolgen. Für 1996 ist die Verpackung und der Verkauf von etwa fünf Millionen Kleinbildfilmen geplant. In der Folgezeit sollen es jährlich acht Millionen sein. Angestrebt wird ein Marktanteil in Deutschland von zwei bis drei Prozent. Die auf dieses Ziel gerichtete Fernsehwerbung, wieder ORWO-Filme zu kaufen, wird deshalb schon ab Mai über den Bildschirm flimmern.
Der Jahresumsatz des Manderman-Familienunternehmens wird heute mit 90 Millionen DM beziffert. Zehn Millionen soll die ORWO GmbH nun jährlich beisteuern. Noch in diesem Jahrtausend sollen schwarze Zahlen geschrieben werden.
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