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Bilanz der Wirtschaftspolitik: Drei minus
Die Koalition hantierte mit großen Summen, doch letztlich verpufften die Effekte
Christian Lindner erhielt kürzlich in einem Interview von seinem früheren Parteifreund Volker Wissing wirtschaftspolitisch die Leviten gelesen: »Das Bundesverkehrsministerium hat die Aufgabe, Infrastrukturkonzepte zu erarbeiten und zu priorisieren. Das Finanzministerium hat die Aufgabe, die notwenigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen.« Dies habe Finanzminister Lindner nicht getan, weil er die Schuldenbremse zu eng ausgelegt habe. Wissing, dessen Verkehrsministerium in zweijähriger Vorlaufzeit die Grundsanierung der maroden Deutschen Bahn auf den Weg gebracht hat, beklagt die fehlende nachhaltige Finanzierung der Restaurierung von Bahn, Brücken und »Engstellen« im Straßennetz. Wissing plante nach schweizerischem Vorbild einen Infrastrukturfonds, der weit über alle Legislaturperioden hinweg eine verlässliche Finanzierung sicherstellt.
Auch der linke Ökonom Rudolf Hickel hält Schuldenbremse und Infrastrukturfonds für den Dreh und Angelpunkt der Wirtschaftspolitik der Ampel. »Dieser für einen Ex-FDP-Minister überraschende Vorschlag ist jedoch nicht originell«, sagte er gegenüber »nd«. So hätten Michael Hüther vom unternehmensnahen Institut der deutschen Wirtschaft und Sebastian Dullien vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung im Mai ein 600-Milliarden-Programm über zehn Jahre vorgeschlagen. Wissing verzichte dagegen auf genaue Zahlen, kritisiert Hickel. »Und der gut begründete Einsatz von öffentlichen Krediten, die auch künftigen Generationen nützen, wird nicht genannt.« Dagegen setze der Verkehrsminister auf das Einwerben privaten Kapitals.
Der ungelöste Grundsatzkonflikt über die Rolle des Staates in der Wirtschaft überlagerte die Regierungszeit von Olaf Scholz (SPD). Die hohe Nach-Corona-Inflation, Ukraine-Krieg und rasant steigende Energiepreise, Strukturkrise der Industrie und eine lahmende Weltwirtschaft, die das Exportmodell Deutschland auch mittelfristig herausfordern wird, hätten allerdings auch harmonisch regierende Koalitionen vor schier unlösbare Probleme gestellt. Selbst eine stärker nachfrageorientierte, auf Pump investierende Regierung, wie sie linke Ökonomen fordern, hätte die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt hätte wohl nicht auf einen Wachstumspfad zurückgeführt. Darauf basierte nämlich in der Vergangenheit das deutsche Modell: Das jährliche Plus an Wirtschaftsleistung konnte an Kapital und Arbeit verteilt werden.
Zur Scholz-Bilanz gehört auch, dass so viel Geld investiert wurde wie von keiner Bundesregierung zuvor. Die im Haushalt verbuchten »investiven Ausgaben« von 55 Milliarden Euro bedeuteten schon 2023 Rekordhoch, in diesem jahr stiegen sie sogar auf 70,8 Milliarden Euro. Nicht alle Mittel konnten freilich fließen, weil in Bund, Ländern und Kommunen Planungen teils noch andauern, durch Rechtsstreitigkeiten Baubeginne um Jahre verzögert werden und Fachkräfte in Firmen fehlen.
Der Bundeshaushalt hat mit mehr als 450 Milliarden Euro eine Größe erreicht, die um 100 Milliarden Euro höher liegt als vor Corona. Doch auch die Herausforderungen waren gewachsen, nicht zuletzt, weil Rüstung, Migration und strapazierte Renten-, Pflege- und Krankenkassen höhere staatliche Zuschüsse verlangten. Solche »konsumtiven Ausgaben« förderten Kaufkraft und die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen, doch diese Effekte verpufften volkswirtschaftlich, weil verunsicherte Deutsche zum Sparweltmeister wurden. Berücksichtigt man dies, mögen die Koalitionäre aus der Binnensicht einen ordentlichen Job gemacht haben. »Objektiv waren die Herausforderungen dieses Regierungsbündnisses viel zu groß«, sagt auch Hickel.
Ein Bonbon aus Sicht von Gewerkschaftern und linken Ökonomen war die Entwicklung des Mindestlohns. Doch bei diesem und anderen Großprojekten wie dem Gebäudeenergiegesetz oder Scholz’ »Doppel-Wumms« – des 200-Milliarden-Hilfspakets während der Energiekrise – zeigte sich ein Hang zur kleinteiligen Regulierung, der viele Bürger vergrätzte. Zum Stimmungstief im Wahlvolk trug ebenfalls ein Hang zur Gleichmacherei bei: Vom Deutschlandticket profitierten selbst Bahnfahrer, die zur Hochzeitsparty Lindners auf Sylt fuhren, und über die 9000-Euro-»Innovationsprämie« freuten sich fast ausschließlich gut begüterte SUV-Käufer.
Viele erfolgreiche Projekte in der Wirtschaftspolitik – Akw-Aus, Lieferkettengesetz oder Energiewende – hatten bereits die Merkel-CDU-Regierungen oder Brüssel aufs Gleis gesetzt oder beschleunigt. Der Einfluss der EU ist zwar groß, aber einflussreiche Mitgliedstaaten, allen voran die Bundesregierung, arbeiten aktiv an der Entstehung der EU-Vorgaben mit. Unterm Strich verdienten sich Scholz und Habeck auch hier gerade noch eine Drei minus, meint Hickel: »Olaf Scholz wird mit seiner Ampel als Kanzler in die Geschichte eingehen, der die ›Zeitenwende‹ sozial, ökologisch, ökonomisch und militärpolitisch wollte, aber nur aufgeregten Stillstand produziert hat«, lautet Hickels Fazit. Viel früher hätte der Kanzler das »Blockadebündnis mit der Querulanten-FDP« auflösen müssen.
Dabei überschätzte nicht allein die Scholz-Regierung ihren Einfluss auf den real existierenden Kapitalismus. Alle großen EU-Staaten haben den Wachstumspfad längst verlassen. Schon vor der Coronakrise stieg das deutsche Bruttoinlandsprodukt preisbereinigt kaum noch an, während bis Anfang der 1990er Jahre Raten um die drei Prozent üblich waren. 2023 schrumpfte die Wirtschaft sogar und dürfte dieses Jahr ebenfalls mit einem Minus abschließen – Insolvenzen, Kurzarbeit und die Arbeitslosigkeit nehmen zum Ende der Ampel-Koalition wieder zu.
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