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  • Kultur
  • Manfred Krug stellte in Leipzig sein Buch „Abgehauen“ vor

Protokoll einer Vertreibung

  • Lesedauer: 3 Min.

und das (noch!) gemeinsame Nachdenken über einen Konsens zwischen Macht und kritischem Geist mit.

Das Bewegende dieses Dokuments: Es widerspiegelt so ziemlich alles, was es damals an intellektuellen Hoffnungen, Illusionen und enttäuschter Kraft gegeben hat, um dieses Projekt DDR zu retten. Zugleich ist es ein Zeugnis jener vergeblichen staatlichen Gewißheit, mit Ideologie, Beschwichtigung und falschen Bündnisbekundungen die Unbequemen zu brechen, sie einzugemeinden in den Chor der Parteiarbeiter. Dokumentartheater, aufführungsreif.

Manfred Krugs trockener Witz, seine Souveränität und seine eitelkeitsferne Erinnerung machen auf der Pressekonferenz des ECON-Verlages an einem sinnfälligen Beispiel deutlich, daß die DDR stets in einem einzigen Punkt eine sehr „glückliche“ Hand hatte: sich

permanent die falschen Feinde zu machen. Fast zwanzig Jahre hat Manfred Krug das Manuskript in der Schublade gelassen, allen Verlockungen des

Marktes widerstand er; das verleiht der jetzigen Veröffentlichung einen ehrenwerten Grad von Unaufgeregtheit, ja Lauterkeit. Ergänzt wird der Mitschnitt durch ein Tagebuch, das die letzten 32 Tage Krugs und seiner Familie in der DDR

dokumentiert. Eine Zeit des kurzen Aufatmens (Erwartung, das Gespräch mit Lamberz könnte Entspannung bringen), der schnellen Ernüchterung, der wachsenden Schikanen, des gezielten Rufmordes, der Rettung in die Ausreise, der Angst, den einmalig gefaßten Entschluß nicht durchzuhalten. Keine Aufträge mehr, kriminalisierende Verleumdungen, ein Star gleichsam in exklusiver Isolationshaft.

„Auf eine flotte Herzensergießung im NEUEN DEUTSCH-LAND kannst du eine ganze Karriere gründen“ - Krug rekapituliert in seinem Tagebuch, wie seine Karriere langsam zu Ende geht, wie die Fesseln sich festziehen, und er teilt dies alles in einem sehr sachlichen, geradlinigen Ton mit; er nennt Namen, scheut nicht die Direktheit, ohne je (auch auf der Pressekonferenz) ausfallend, hämisch, demütigend gegen andere zu werden. Wie wenig ihm daran gelegen sei,

abzurechnen, macht Manfred Krug an bitteren Anekdoten jener Zeit deutlich, die bewußt nicht ins Buch aufgenommen wurden. So habe ihn DEFA-Chef Hans Rodenberg gefragt, warum er denn „solches Jazz-Zeug“ singe. Als ihm Krug daraufhin Armstrong vorspielt, sagt Kulturpolitiker Rodenberg: „Jaja, so läuft meine Badewanne auch ab.“

Die Pressekonferenz auf der Buchmesse - sie ist ein Auftritt, natürlich. Krug liest, und selbst die Frage, ob er nach wenigen Seiten lieber aufhören soll, gerät zur kleinen Nummer. Mit gutgespielter Miene des Beleidigtseins weist er den Verdacht zurück, sein Freund Jurek Bekker habe ihm bei der Niederschrift wohl kräftig geholfen. Ja, er schreibe möglicherweise weiter, Erzählungen, „sehr altmodisch, mit einem Anfang, einem Ende, und zwischendurch erleben die Figuren was“. Aber er habe Zeit, wolle sich nicht mit Schnellschüssen der Lä-

cherlichkeit preisgeben. Krug macht sich nicht zum Intellektuellen, er bekennt mit gewisser Raffinesse sein „schlichtes Gemüt“. Eine Journalistin bringt kürzlich in einer Zeitschrift publizierte Gedichte Krugs ins Gespräch, der Autor fragt witzig-gierig zurück, wie sie der jungen Frau gefallen hätten, registriert ihr Zögern, bricht den Dialog ab: „Nein, nein, so kann man mit einem Schauspieler nicht umgehen, er braucht Lob, Lob, Lob.“

Zu erfahren ist noch, daß Kpmmissar Stoevers Gesang im jüngsten Krug-„Tatort“ (leider) nicht der Auftakt einer neuerlichen Sangeskarriere des Schauspielers war Aber nach diesem Buch muß man vorsichtig sein: Mit entwaffnender Offenheit und sehr sympathischer Unverkrampftheit geht ein Tele-Star in die Kurve zum Alterswerk. Da kann man von vielem Abschied nehmen. Aber auch von dem Wissen, noch verdammt gut drauf zu sein?

HANS-DIETER SCHUTT

Manfred Krug: Abgehauen, ECON-Verlag, 265 S., geb., 36

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