Mit Babette Gross in Reichenberg
Zum Essay „Der Verräter, Stalin, bis Du“ von Prof. Dr. Sigrid Bock (ND vom 11./12. Mai):
Es ist üblich geworden und auch verdienstvoll, in den Protokollen und anderen Dokumenten nach der Vergangenheit zu suchen. Obiger Beitrag löste bei mir Erinnerungen an gelebtes Leben aus.
Am 8. Weltkongreß der „Internationalen Arbeiter-Hilfe“ !(IAH), Von dem offensichtlich 'das beigegebene Foto 1 stammt, und der im Herbst 1931 (nicht 1932, wie angegeben) in Berlin stattfand, habe ich als Mitglied der tschechoslowakischen Delegation teilgenommen. Vom Schlesischen Bahnhof fuhr ich - zum ersten Mal in Berlindirekt zur bereits begonnenen Eröffnungsveranstaltung im überfüllten Sportpalast und hörte die Rede von Willi Münzenberg, der - wie bekannt ein mitreißender Redner war Wir saßen irgendwo auf der rechten Seite der überfüllten Halle, oben auf der Treppe, und sahen auf das Meer von Tausenden von Menschen hinab. Der Eindruck war gewaltig und unvergeßlich: das also ist das revolutionäre Berlin, so dachte ich damals.
Auch an Babette Gross erinnere icb mich. Mit meinem damaligen Freund und späteren
Mann Ernst Lange, der in Münzenbergs „Neuem Deutschen Verlag“ arbeitete, und dem Genossen Georg Düninghaus war Babette Gross im Herbst 1931, kurz vor dem Weltkongreß, mit einem Auto voll Werbematerial und Broschüren des Verlages von der tschechoslowakischen Polizei verhaftet und in das Reichenberger Kreisgefängnis eingeliefert worden. Durch das Einschalten des Rechtsanwalts Dr. Rudolf Beckmann und auf Grund 'einer hohen Kaution, die Willi Münzenberg stellte, wurden die drei entlassen, unter Polizeiaufsicht gestellt und im Hotel „Zum Goldenen Löwen“ einquartiert. Dort traf ich Babette Gross mehrere Male. Da die drei unter ständiger Bewachung standen, machte es uns Spaß, weite Spaziergänge zu unternehmen, auf denen uns die beauftragten Beamten ständig zu folgen verpflichtet waren. Wenig später fand die Verhandlung vor dem Kreisgericht statt, und alle drei wurden mangels Beweisen freigesprochen und des Landes verwiesen.
Gelesene Dokumente und gelebtes Leben - jedes für sich bleibt unvollständig. Beides zusammen erst würde ein schärferes Bild von der Vergangenheit geben.
Prof. MARIANNE LANGE-BÜSCHEL, Berlin
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