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Antifaschismus heute– weder Ausgrenzung noch „Eintütung“

Gespräch mit KARL FORSTER, WN-Bund der Antifaschisten, und UWE DOERING, BdA in Berlin

  • Lesedauer: 4 Min.

KARL FORSTER Foto: Grahn

UWE DOERING Foto: Lange

Am Wochenende findet in Braunschweig der Bundeskongreß der VVN-BdA statt. Sie fahren beide hin. Erwartet wird eine Diskussion über „Antifaschismus heute“. Was sind denn die Streitpunkte?

FORSTER: Vor allem die Frage, ob sich Antifaschismus auf Abwehr von Nazigruppen beschränken sollte, oder ob man stärker auch auf Rechtskonservatismus den Blick richten muß. Neonazigruppen mit 50 Mitgliedern spielen zwar eine ganz wichtige Rolle in der Rechtsentwicklung, aber sie sind nicht die eigentliche Gefahr für die Demokratie.

DOERING: Gespannt bin ich darauf, ob ein Weg diskutiert wird, wie die einzelnen antifaschistischen Organisationen zusammenfinden, damit eben der Antifaschismus ein stärkeres Wort erhält.

Sie reden von der WN-BdA und den ostdeutschen Organisationen, dem Interessenverband ehemaliger Widerstandskämpfer und Verfolgter (IWdN) und dem „Bund der Antifaschisten“ (BdA)? Was spricht gegen eine Verschmelzung?

FORSTER: Zunächst die unterschiedlichen Erfahrungen. Damit haben wir in der WN-BdA kein Problem, unsere Mit-

glieder kommen ebenso aus katholischen wie kommunistischen Zusammenhängen, aus der 68er Bewegung oder Friedensinitiativen. Käme DDR-Erfahrung hinzu, wäre das positiv Die Interessenverbände WN und IWdN haben eine gemeinsame Wurzel - sie waren bis 1953 (Auflösung des WN in der DDR) eine Organisation. DOERING: Mir schwebte eine gemeinsame Organisation vor, aber nach vielen Diskussionen weiß ich, daß das sehr schwierig wird. Gegenwärtig geht es um Zusammenwachsen durch Zusammenarbeit.

Und um Bündnisse mit Autonomen, mit Antifa-Gruppen?

FORSTER: Ich denke an alle Gruppen, die sich der Demokratieentwicklung, dem Antirassismus und Antimilitarismus verpflichtet fühlen, an Kirchen, an politische Parteien, Jugendgruppen, Unorganisierte. Verbote und Ausgrenzung lehne ich ab wie eine „Eintütung“ innerhalb der WN-BdA.

DOERING: Die Sozialisation ist unterschiedlich, ein Diskussionspunkt das Verhältnis zum Staat. In dem Maße, wie das Grundgesetz verändert, wie der Sozialabbau vorangetrieben wird, muß sich Antifa-

schismus auch da einbringen. Falsch ist, Autonome generell mit Gewalt zu identifizieren.

Peter Gingold (80) beklagte, daß bald von den Zeitzeugen „niemand mehr da sein“ wird. Stirbt mit alten Antifaschisten der Antifaschismus? FORSTER: Der Kern der heutigen WN-BdA-Struktur ist mit der Öffnung hin zum „Bund der Antifaschisten“ vor über 20 Jahren geschaffen worden - eine, überspitzt gesagt, „zweite Zeitzeugengeneration“ Es reicht nicht, sich aus Schulbüchern etwas anzulesen, um die antifaschistische Arbeit fortzu-

führen. Das Besondere der WN-BdA besteht darin, daß wir seit Jahrzehnten Menschen in der Vereinigung haben, die Widerstandskämpfer und Verfolgte begleitet haben, dabeiwaren, als sie zurückkehrten an die Folterstätten, Kampfgefährten begegneten...

DOERING: Die Hauptfrage ist, wie wir mit Jugendlichen zusammenkommen. Wir müssen uns z.B. Gedanken machen über antifaschistische Bildungsarbeit, über die Eröffnung vqn Gesprächskreisen an den Schulen. Es reicht nicht, Erinnerungsarbeit zu leisten.

Der Verfassungsschutzbericht nennt die WN-BdA „die „mitgliederstärkste linksextremistisch beeinflußte Organisation“. Widerspruch?

DOERING: Auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen und gegen dessen Veränderung - in der Folge einer unbestreitbaren Rechtsentwicklung - Front zu machen, ist für mich kein Widerspruch. Es bleibt bei Verschiebung der Koordinaten nach rechts nicht aus, daß bestimmte Positionen linksextremistisch scheinen.

Jahrelang galt die Losung „Nazis raus“, dann „Nazis

raus aus den Köpfen“. Mit wem soll die Auseinandersetzung geführt werden?

FORSTER: Wir sprechen natürlich mit Leuten, die von faschistischen Ideen beeinflußt sind, setzen uns mit ihnen zusammen, um uns auseinanderzusetzen. Erst kürzlich hat ein „Aussteiger“ aus der Neonaziszene in Nürnberg den Weg zur WN-BdA gefunden. Sich indes mit ideologischen Führern der Szene zu unterhalten, bringt nichts.

DOERING: Was mache ich denn als Betriebsrat mit Jugendlichen, die „Türken raus“ rufen? Ich muß mich doch mit ihnen auseinandersetzen. Wenn Rechtsextreme eine Demonstration organisieren und ich für Gegenöffentlichkeit bin, dann bleibt es nicht aus, daß wir uns gegenüberstehen.

Wer ist ein „Fascho“?

FORSTER: Es ist gefährlich, alle rundum als Faschisten zu bezeichnen, bei denen ich eine Rechtsentwicklung sehe. Dies läuft auf Verharmlosung hinaus! Es bleibt notwendig, sich mit Schriften, Positionspapieren, Programmen, Erklärungen auseinanderzusetzen, sie

abzuklopfen auf Nationalismus, auf Rassismus.

Streitpunkt bleibt das Verhältnis zur Gewalt.

FORSTER: Ich halte individuelle Gewalt nicht für das richtige Mittel. Gelöst wird damit kein Problem. Vor zehn Jahren hatten wir eine Auseiandersetzung in Bielefeld über den Umgang mit Neonazigruppen. Weder wir noch die Autonomen wollten sie bei öffentlichen Veranstaltungen haben - aber wir wollten auch keine Schlägereien mit Neonazis bei unseren Veranstaltungen. Also haben wir Mittel und Wege gefunden, dies im Vorfeld auszuschließen. Es braucht aber keine Distanzierung von Gewalt, wenn Neonazis ein autonomes Jugendzentrum überfallen und die Überfallenen wehren sich.

DOERING: Es gibt keine wirkungsvollere Form der Auseinandersetzung als Gegenöffentlichkeit.

FORSTER: Das Problem ist aber, das hat der Streit über den Neonazi-Aufmarsch in Berlin-Marzahn gezeigt, daß vielerorts noch keine Strukturen da sind, um eine neofaschistische Propagandaveranstaltung zu verhindern.

Fragen: HELFRIED LIEBSCH

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