Der Sonderberichterstatter

Episoden aus einem DDR-Journalistenleben

  • Lesedauer: 3 Min.
Wieder hat ein ehemaliger ND-Mitarbeiter seine Erinnerungen auf gebundenes Papier gebracht: Dr. Klaus Steiniger, zwischen 1967 und 1991 Redakteur, Leiter der Sektion Kapitalistische Länder in der Abteilung Außenpolitik und Auslandskorrespondent dieser Zeitung, an deren jetzigem Inhalt er sich heute hin und wieder reibt und der er seinen »Rotfuchs« entgegenhält. Irgendwann vor vielen Jahren - wahrscheinlich bereiteten die Kollegen der Inlandsressorts gerade wieder ein wichtiges ZK-Plenum vor, so dass für außenpolitische Beiträge auf den damals acht großformatigen ND-Seiten kein Platz war - seufzte Steiniger: »Eigentlich müsste man unser Gehalt Schweigegeld nennen.« Dabei fiel das Schweigen wohl keinem so schwer wie ihm, der seinen beruflichen Werdegang nicht als Journalist, sondern als Jurist begonnen und sich die Eigenart bewahrt hatte, seine Artikel wie Plädoyers laut vorzutragen. Was nicht heißt, dass er nicht auch die leisen Töne beherrscht hätte. Steiniger jedenfalls, in raschen Urteilen geübt und souverän im Umgang mit dem Wort, sah zum Schweigen selten Grund. Zum »Geheimtipp für sensible Berichterstattung«, wie er selbst es nennt, wurde er nicht zuletzt deshalb, weil die leitenden Genossen sicher sein durften, dass sich Steiniger auch in brenzligen Situationen die Butter nicht vom Brot nehmen lassen werde. Der Leser seiner episodisch gefassten Erinnerungen an Reporterreisen auf vier Kontinente wird das unschwer bemerken. Jedenfalls verschaffte ihm dieser Ruf journalistische Erlebnisse, um die ihn mancher wohl auch beneidete: Er war 1972 Sonderberichterstatter vom Prozess gegen die US-amerikanische Kommunistin Angela Davis in Kalifornien, wurde auf heikle »parteidiplomatische« Mission nach Japan entsandt, entlockte auch einem unfreiwilligen Irrflug über Afrika noch lesenswerte Anekdoten und berichtete mit heißem Herzen als erster Portugal-Korrespondent des ND von der »Nelkenrevolution« 1974 - vom Frühstadium über ihre Hoffnung verbreitende Hoch-Zeit bis zum Niedergang. Kurzweilig beschreibt er im Rückblick seine Begegnungen mit einem Urenkel von Karl Marx und den Enkeln von Sitting Bull, mit Henry Winston und Alvaro Cunhal, mit Befreiungskämpfern und CIA-Agenten, mit Freunden und Feinden und solchen, die er für das eine oder andere hielt. Sein Verhältnis zu den Lenkern des DDR-Journalismus und den ND-Chefredakteuren lässt er nicht aus. Mit manchem hatte Steiniger Ärger, manchen hielt er für eine Fehlbesetzung, aber selbst wenn ihm die Veröffentlichung eines Artikels im ND verweigert wurde, erschien der oft unter anderem Namen in der »Weltbühne« oder einem anderen Blatt und besserte auf diese Weise sogar das »Schweigegeld« des Autors auf. Für sein jüngstes Buch hat Steiniger die schillerndsten und erregendsten Geschichten seines Journalistenlebens - aber auch der Zeit davor - aufgearbeitet und aus heutiger Sicht kommentiert. Auch wer die eine oder andere schon kennt (und ehemalige Kollegen kennen sie natürlich), wird sie schmunzelnd oder bedenkend, jedenfalls nicht unberührt, wieder lesen. Detlef D. Pries
Klaus Steiniger: Bei Winston und Cunhal. Reporter auf vier Kontinenten. Edition Ost. 144S., br., 9.80 EUR.
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