- Politik
- »Independence day« in Falkensee oder
Rache ist Blutwurst
Das Kino muß sein. Es herrscht mehr Andrang als im »Lindengarten« nebenan, jedenfalls heute. Ein Knüller läuft, der »Film des Jahres«, der »absolute Überflieger«, und Bier gibt es hier auch. Ein kleiner, dünner Mann mit Bart und zerschäbter Lederjacke will »erst mal eins«. Er wird sicher mehr brauchen, denn der Film hat Überlange und ist »so spannend«, daß er sich »einfach zwischendurch mal einen Schluck genehmigen muß«. Zur Beruhigung. Klar, er kennt den Film schon, Spitze! Deshalb will er ihn ja ein zweites Mal sehen und hat Freunde hergelotst, »das ist ein Film, den sie kennen müssen!« Auch der Piefke mit Zahnspange hat seine Kumpel mitgebracht. »Die sehen echt eklig aus, die Aliens«, spielt er Vorkenntnisse aus, lustvolles Grausen in der Stimme. Daß er höchstens zwölf ist, fällt nicht auf, er taucht unter in der Menge. Das mit der Menge ist erprobt, zu neunzig Prozent zuverlässig. Auf dem Spielplan in Falkensee: Emmerichs »Independence day«.
Es ist Wegners Tag. Heute darf er im »Ala« zum ersten Mal einen Film allein vorführen. Seinen Lieblingsfilm! Sieben Mal hat Klaus Wegner »Independence day« schon gesehen, und sieben Mal war er begeistert. Jetzt klettert er die Holztreppe hoch, die neben der Theke zum Vorführraum führt, und postiert sich neben dem Teller Eine Aluminiumscheibe, Wegner zieht mit ein paar Handgriffen das Startband auf den Innenring.
Unten im Saal erlischt das Licht, der große Vorhang öffnet sich. Karstige Mondlandschaft, stars and stripes. Neben der Flagge eine Tafel, auf der die Astronauten Kunde von ihrer friedlichen Absicht geben. Dann zieht ein düsterer Schatten auf: Aliens. Damit ist klar, wer die Guten und wer die Bösen sind, und Wegner kann sich zurücklehnen. Im Saal unten knistert Kekspapier. »Der Anfang ist bißchen langweilig, aber dann wird es super«, verspricht er. Zwei Tage, bevor die Amerikaner ihren Unabhängigkeitstag feiern, erreicht das fremde Raumschiff die Erde. »So was ist meine Wellenlänge, toll gemacht, der ganze Aufwand, kommt so'n Ding angeflogen, dann knallt es « t
Wegner schwitzt. Er ist aufgeregt. Obwohl man heute keine Filmrollen mehr wechseln muß. Einmal eingelegt, läuft das Band durch, über 7000 Meter. Trotzdem, sagt Wegner, wenn irgendwas schiefgeht. Er ist Hausmeister im Stadtbad Nauen. Falkensee hat auch ein Bad, doch das ist seit einer Weile geschlossen. Dafür gibt es hier noch das Kino, während das in Nauen dicht ist. Im »Theater der Freundschaft« hat Wegner zwei Jahre lang Filme vorgeführt. Am Filmvorführen, er weiß nicht warum, hat er einen Narren gefressen. Wenn er mal dickes Geld gewinnt, wird er sich ein Kino kaufen, »und dann icke als Vorführer«.
Unten im Saal wird gelacht. Der Schwule hat gerade gesagt, daß er seine Mama anrufen will. An dieser Stelle lachen die Leute immer. Daß der Mr. President, ein öliger Kennedy-Clinton-Verschnitt, sein Töchterchen herzig »Krümelchen» nennt, löst aber keine Heiterkeit aus; das ist einfach schön. »Wird noch besser«, flüstert Wegner. Er sieht auch gern mal »'ne richtige Schnulze, wo man Rotz und Wasser heult«, doch Science fiction hat er noch lieber. »Wenn an der Story alles stimmt.« Und hier stimmt alles, bis ins Detail: Die Aliens gehen mit ihren Schiffen über den Weltstädten in Stellung. Dann werden die Freiheitsstatue und das Weiße Haus zerstört, ganze Landstriche von der Erde radiert. Der Präsident zögert immer noch, einen Atomwaffenschlag zu führen, weil das nicht gut für die Erde wäre, aber dann kann er nicht anders. Leider bleibt der Schlag wirkungslos. Erst als David, der jüdische Ex-Mann der Präsidentenberaterin, einen Plan hat, ist am Ende des Tunnels Licht. Ein Kampfflieger, ein Schwarzer, Will Smith aus der Serie »Der Prinz von Bei Air«, startet mit ihm im Rosswell-Ufo zum Mutterschiff der
Fotos: Joachim Fieguth
Aliens, um die Systeme zu infizieren und die Schutzschilde auszuschalten. Schließlich wird die Menschheit gerettet. Will Smith heiratet seine Stripperin, und David kriegt seine Beraterin wieder .
Wie Wegner das runterhaspelt, klingt es ziemlich hirnlos, »aber man muß das sehen!« Leider wird er abgelenkt, denn hinter ihm ist plötzlich Bewegung. Eine Frau hastet noch zum Tresen, huch, hat wohl schon angefangen, sie hat Karten vorbestellt. Das Mädchen Monique, die Aushilfe, reicht dienstfertig die Karten rüber und meint, sie habe nichts versäumt, sie solle ruhig reingehen. Nachdem die Frau weg ist, verzieht sie den Mund: Was die alle an dem Film finden! Albern, solche Geschichten, affig, sie würde sich so was nie ansehen!
Monique kann eine Menge Verächtlichkeit in den dichtumwimperten Blick legen. Sie glaubt nicht an Außerirdische, und mit 18 ist man nicht großzügig. Nicht mal gegenüber einem Film, den man gar nicht kennt. Monique wird Krippenerzieherin. Hier, im Kino, will sie sich Geld für die Fahrschule verdienen, sie hält sich etwas darauf zugute, daß sie mit beiden Beinen im Leben oder, anders gesagt, auf der Erde steht. Dort gibt es wichtigere Dinge. Einen Partner beispielsweise, »treu und verständnisvoll« soll der sein.
Das klingt nun für Wegner nach Science fiction, doch er sieht das nicht so eng. Enge hat er genug, man muß abheben können. Er mag alles, »was ein bißchen gesponnen ist, wo man träumen kann«. Wo er ins Phantasieren kommt, »ob es so was wirklich gibt«. Das Weltall, erklärt er, ist wie dieser Raum. »Irgendwo flie-
gen wir da nun, wie ein kleines Staubkörnchen, und irgendwo wird es Aliens geben.« Er würde gern welchen begegnen. »Suchen tun wir ja«, hat er gehört, die Sache ist natürlich ein Glücksspiel: »Man kann alles verlieren und alles gewinnen. Vielleicht sind die Jungs ja aggressiv, doch vielleicht sind sie auch friedlich.« Im Reich des Unwahrscheinlichen kommt er als knallharter Bursche vor: »Was kommt, das kommt. So ist das eben.«
Wegner muß sich konzentrieren. Unten im Saal lachen sie schon wieder. Eigentlich ist es ein ernster Film, aber eben hat Will Smith, der aus der Serie »Der Prinz von Bei Air«, einem Alien eins in die Fresse gehauen. Gleich wird die schwarze Stripperin auf die verletzte First Lady treffen, und dann taucht Will Smith auf, um beide zu retten.
Der Piefke mit Zahnspange muß zur Toilette. Er hat Pech, daß Steinborn da ist, denn Steinborn stutzt und greift ihn sich. Der Piefke sagt, nö, er ist nicht zu jung, er hat'bloß seinen Ausweis vergessen. »Ist total cool«, schwärmt er, »cool und stark! Die Raumschiffe und die Explosionen!« Steinborn fürchtet, zu viele Tote. »Nö«, sagt der Piefke, »das ist nun mal so, wenn man einen guten Film dreht. Wird zwar eine Menge gestorben, doch es fließt kein Tropfen Blut, nö, das ist überhaupt nicht schlimm, im Gegenteil, die Special effects...«
Steinborn gefällt der Film auch. Nicht so wie »Die Brücken am Fluß«, der ihm »ans Herz gegangen ist«, aber trotzdem.
Naja, vielleicht spielen die Amis ein bißchen zu sehr Wir-sind-die-Größten. Andererseits wurde der Film ja von der Werbung angepriesen, mit einem riesigen Etat. »Werbung ist alles«, hat er gelernt. Damit will er nicht sagen, »I.D« sei schlecht. Er sucht die Filme aus, er ist der Chef. »Ein Verrückter wie alle beim Kino, die nur neun Mark die Stunde verdienen.«
Wie ein Verrückter sieht Klaus Steinborn nicht aus, dafür wie ein Mann über 50, der es bei der Fuchs-Filmtheater-Betriebsgesellschaft ganz gut getroffen hat. Er gehört zur Firmenleitung und ist für die Kinos in Hennigsdorf und Falkensee verantwortlich. Gerade hier, in Falkensee, wo es nur eine Leinwand gibt, läßt ein Flop sich schwer verkraften: »Man braucht Fingerspitzengefühl.« Freilich kennt er das Territorium und weiß, was das Publikum sehen will. »Nicht nur Action, nein, auch >Fred Feuerstein< oder Disneys >König der Löwen<. Alles, was in der DDR jahrelang nicht gezeigt wurde.«
Er kann das beurteilen, denn er war schon damals dabei. Die Ausbildung zum Filmvorführer erhielt er bei der NVA, in einer Propagandaeinheit. Später hat er selbst ausgebildet, noch später hat er seinen Meister für Wiedergabetechnik gemacht. Ganz hat er die Zeit nicht vergessen, wo die Karriere eines Films mit der »Aussage« stand und fiel. Manches ist »künstlerisch wertvoll« gewesen, deshalb spielt er mit der Idee, eine Matinee einzuführen, da »könnte man >Die Kraniche ziehen< und den >Stillen Don< wieder ausgraben«. Dafür, glaubt er, gibt es hier Interesse. Aber eben nicht nur für so was.
Ein Film wie »I.D.« läuft einfach besser. Die Leute kommen aus einem Umkreis von 50 Kilometern ins Kino - aus Nauen, Kremmen, Ketzin, Spandau, Reinickendorf oder Tempelhof. Die meisten natürlich aus Falkensee, und wenn Steinborn nach den Besucherzahlen der letzten vierzehn Tage geht, »dann gehen hier noch alle arbeiten«. Wer arbeiten will, der findet was, weiß er, und erzählt die Story von Hennigsdorf: Wie auf seine Stellenanzeige mehr als 40 Bewerber kamen, wie sie hörten, sie müssen auch abends arbeiten und wie sie die Hände hoben, das geht nicht! Steinborn zeigt rüber zu Monique: »Mit Ausnahme von ein paar Studenten, die sich was dazuverdienen. Nach 14 Tagen soll sie sagen, ob es ihr hier gefällt oder nicht. Wenn ich ihr sagen muß, da liegt Popcorn, hat es mit uns keinen Zweck.«
Oben, bei Wegner, sind mittlerweile etwa 6000 Meter durchgelaufen. Der amerikanische Präsident steht vor einer schweren Entscheidung. Er war Kampfpilot im Golfkrieg, jetzt stöhnt er: »Da wußten wir, was wir zu tun hatten.« Dann mobilisiert er ein paar Männer »für die größte Luftschlacht in der Geschichte der Menschheit«. Natürlich fliegt er selbst mit. Ein alter Suffkopp, Vietnam-Veteran, schreit entzückt »Rache ist Blutwurst«, während er seinen Flugapparat wie einen Sprengsatz ins feindliche Raumschiff jagt. Sein Sohn guckt daraufhin ziemlich bedeppert, bis ein Colonel ihn aufmuntert: »Dein Vater ist sehr mutig gewesen. Junge, du kannst stolz auf ihn sein.«
Auch am Tresen ist nun Action. Vorführer Kühl, der Popcorn röstet, weil Wegner ihn ja am Teller vertritt, verkauft einem Herrn aus Spandau zwei Karten für die Abendvorstellung. Zwar wurde der von seinem Bruder gewarnt, der Film solle »totaler Quatsch« sein, doch eine Kollegin hat gemeint, man könne ihn ruhig ansehen, man müsse bloß wissen, worauf man sich einläßt. Sie lasse sich ganz gern mal ein X für ein Ufo vormachen, und er findet auch: »Wer Bildung will, sollte ins Theater gehen. Kino ist Kino, Unterhaltung, man muß nicht alles bierernst nehmen.« Kühl gibt ihm recht. »Von der Machart her«, sagt er, »ist der Film gar nicht mal schlecht.«
Eine Dame, die Pfeffis will, widerspricht. Ihr gefällt der Film überhaupt nicht. »Ein Schwarzer, ein Jude und der Präsident retten die Welt«, meint sie abschätzig, »das ist doch eine Story vom Reißbrett. Und überhaupt, die Aliens seit wir keinen andern mehr haben, sind die unser Hauptfeind Nummer Eins. Nein, Pardon, das sind ja die Kinderschänder.«
Gut, daß das der kleine, dünne Mann mit der zerschabten Lederjacke nicht gehört hat. Er holt sich schnell noch ein Bier. »Das ist mal ein Film«, japst er, »der macht Sinn, wenn man richtig hinhört. Eine ganz wichtige Aussage: Die Menschheit muß sich endlich einig werden und nicht immer nur anfeinden, 'ne Hure ist genauso viel wert wie die Präsidentengattin, und ein Säufer ist nicht schlechter als der beste Kampfflieger.« Er scheint seit vorhin ein Stück gewachsen zu sein, die Botschaft hat ihn erreicht. Es ist die Botschaft, auf die er gewartet hat. Er glaubt an das Güte, in diesem Moment würde er gern an der Seite der Jungs, die er für die Guten hält, kämpfen. Doch erst muß er den Schluß sehen und die Flasche austrinken. Ihm bleiben nur noch ein paar Meter.
Kurz darauf öffnen sich die Türen. Der Abspann läuft noch, der Saal leert sich. Er riecht nach Anspannung, Ausdauer, Schweiß; Monique soll lüften. Durchs Foyer fliegen Satzfetzen. Wahlkampf. Enttäuscht. Kommt gar nichts rüber. Kultfilm. Klasse. So viel von gehört, daß man dachte, den muß man sehen. Zu patriotisch. Seit langem das beste. Alles schon mal dagewesen. Platt, aber die Actionszenen...
Die Leute sind nicht blöd, sagt Kühl zu Monique. Aber es nützt ihnen nichts. Er verkauft immer noch Karten für die Abendvorstellung. Kurz nach zwanzig Uhr stellt er fest: »Nachher wird's wieder knackevoll. Wir sind schon bei der vierten Reihe.«
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