Wessi im OSTEN Ossi im WESTEN
Frank Wahl spielte für den SC Empor Rostock
Frank Wahl arbeitet für die Bausparkasse Hameln
Es war die letzte Gelegenheit, hinter dem Nummernschild »HM-FW 248« zu fahren. Am Tag darauf sollte »FW 248«, also der am 24. August geborene Frank Wahl, sein neues Auto bekommen, einen Ford Mondeo. Das Schild könne er leider nicht mitnehmen, es würde nun »HM-FM 248« heißen, nicht so schlimm, denn schließlich sei sein voller Vorname Frank-Michael Wahl ist angekommen im Westen, mehr noch: Hameln, wo er seit 1990 lebt, ist dabei, zu seiner zweiten Heimat zu werden.
Frank Wahls erste Heimat war Rostock. Hier wurde er vor 40 Jahren geboren, hier wuchs er auf, wurde Maschinen-und Anlagenmonteur im Dieselmotorenwerk. Vor-allem aber wurde er Handspielspieler, der 1973 mit 17 erstmals für die B-Jugend auf dem Parkett stand und zwei Jahre später schon in der Oberliga spielte. Hier wohnten seine Eltern, hier heiratete er, zog seinen Sohn auf. 34 Jahre in Rostock, und nie hatte er mit dem Gedanken gespielt, die Stadt zu verlassen.
Dabei gab es Angebote, denn Wahl wurde bald Auswahlspieler, stand 313mal in der DDR-Nationalmannschaft, nahm an Europacupspielen, Weltmeisterschaften, Olympischen Spielen teil. Ein »Leistungsträger« par excellence. »Natürlich gab es Abwerbungsversuche, aber für mich war das keine Frage. Republikflucht war für mich das letzte. Was wäre aus meiner Familie, den Eltern und Geschwistern geworden?« Einmal kam sogar ein Angebot aus Barcelona, ganz offiziell an den Handballverband. Man bot für ihn und Torhüter Wieland Schmidt zweieinhalb Millionen. Aber das erfuhr er erst nach der Wende.
Gereizt hätte es den mehrfachen »Handballer des Jahres«, den Serien-Torschützenkönig der Oberliga schon, sein Kön-.nen,.mü\dein er in.d£r_DDR..neben.-weni-.~ gen anderen einsame Spitze war, auch anderswo zu erproben. Und daher mußte er nicht lange überlegen, als nach der Wende die Anfragen aus den renommierten West-Clubs kamen. Der VfL Hameln war am hartnäckigsten, sein Manager Dieter Teraske scheute weder Zeil; noch Geld, Wahl nach Niedersachsen zu holen. Vor mehr als 700 Jahren soll einmal ein Rattenfänger mit einschmeichelnder Musik 130 Kinder aus der Stadt entführt haben. Von ihm hat man offenbar gelernt und nutzt sein know how nun zum eigenen Vorteil.
Teraske bot nicht nur eine aufstrebende Mannschaft und eine moderne Halle. Er zeigte auch ein gemütliches altes Städtchen mit seinen Sonnenseiten und ließ den eigenen Charme spielen. Schließlich konnte er wirtschaftliche Sicherheit bieten, denn hinter dem VfL steht mit der BHW Bausparkasse ein potenter Sponsor Alles aber schien umsonst, als der VfL Hameln den Aufstieg in die 1. Bundesliga nicht schaffte. Ein Wahl würde doch nie beim Zweitligisten spielen.
Da aber lernten die Hamelner eine der
über nichts wissen wollen.« Und was geschah, als ein Magazin eine dürre Stasi-Akte zum Ereignis aufzublasen versuchte? »Der Handballverband bot mir seine Anwälte an.«
Wahl hat Sich nichts vorzuwerfen. Die Parteifunktion war kaum mehr als Verantwortlichkeit für die Zeitungsschau; die Entscheidungen für das Nationalteam trafen andere. In der Stasi-Akte fand er einen Bericht über eine Duisburger Tante, die er nicht angegeben hatte, die dann aber bei einem seiner/Spiele im Westen auftauchte. Und ein Protokoll über die mehrstündige Befragung, nachdem drei Handbäller seiner Mannschaft nicht wieder in die DDR zurückgekehrt waren.
Er leugnet nicht, daß er sich als DDR-Bürger bekannte, aber was heute oft als Privileg des Spitzensportlers verdächtigt wird, die Reisen, die Wohnung, das schneller zu bekommende Auto - das hat er sich hart erarbeiten müssen. Tägliches stundenlanges Training, strenger Tagesablauf ohne Disko und andere Freuden, 160 Tage im Jahr unterwegs. »Ohne Schinderei keine Leistung«, ist seine Erfahrung. Er zündet ein Streichholz an und zeigt auf seine Zigarette. »Nach dem Olympiasieg 1980 gab der Trainer ausnahmsweise das Rauchen frei, und alle wunderten sich: Was, du auch?«
Handball spielte Frank Wahl bis Mai 1994 für Hameln und noch 33mal in der
gesamtdeutschen Nationalmannschaft, wurde gar deren Ehrenspielführer Jetzt ist er Trainer, nicht im Verein, sondern bei der BHW, Verkaufstrainer Berufseinsteigern bringt er bei, wie sie mit den Kunden zu sprechen haben, ihnen Bausparverträge und andere Geldanlagen schmackhaft machen können. Er wollte einmal Lehrer werden, doch das hat weder in Rostock noch in Hameln geklappt. Er tröstet sich: »Ein bißchen ist das wie Erwachsenenbildung.« Er doziert auf zweiwöchigen Lehrgängen, dann tankt er in der Zentrale auf, aktualisiert seine Materialien.
Man ist mit ihm zufrieden und kann es sein. Fragen, wie seriös denn solch
ein Job sei, beantwortet er wortreich und routiniert. Er beherrscht das Verkaufsgespräch. Er hat gelernt, Leistung zu bringen und tut es auch hier Er ist zielstrebig und diszipliniert, hart gegen sich und andere. Er kämpft - wie früher um die optimale Leistung und erwartet sie auch vom Nebenmann. »Mit Beziehungen konnte man im DDR-Sport nichts werden«, sagt er. «Wenn etwas am westlichen Leistungsprinzip orientiert war, dann der Sport.« Das hilft ihm jetzt, macht ihn aber auch ungeduldig gegenüber manchen seiner früheren Landsleute. Wer nach der Wende den »goldenen Regen« erwartete, der habe falsch gelegen. Es müsse Entbehrungen auf sich nehmen, wer etwas erreichen wolle. Erfahrungen seiner DDR-Karriere, für die er oft freilich wenig Beifall findet, wenn er sie bei seinen inzwischen seltenen Besuchen in Rostock verkündet.
Aber ist der Spitzensportler, der allein in der Nationalmannschaft mehr als 1300 Tore geworfen hatte, nicht auch ein wenig Aushängeschild, Werbeträger? Nicht mehr als früher, winkt er ab. Damals vertrat er die DDR. Die Politik nutzte den Sport als Vorzeigemodell. Er wurde gefördert, weil man über ihn die Menschen erreichen konnte. Da spielte er mit, ohne viel darüber nachzudenken. Nach der Wende wurde es sein Beruf. Wieder gab es Nutznießer; er war einer von ihnen vor allem finanziell. Über sein damaliges Gehalt spricht er nicht, aber heute verdiene ein Spitzenspieler 350 000 bis 400 000 Mark im Jahr, der Nachwuchs schon 5000 bis 6000 im Monat. Zuviel, wie er meint, denn Geld als alleinige Motivation reiche nicht. Sich beweisen wollen, für die Mannschaft spielen, für die Fans - auch das gehöre dazu und werde im Westen oft unterschätzt.
Frank Wahl hat die neue Gesellschaft angenommen, weil sie ihn, den Leistungsträger, akzeptiert hat. Schmerzlos war das nicht. Seit 1995 ist er geschieden. 16 Jahre hatte seine Frau mit ihm alle Hochs und Tiefs ertragen, war mit ihm mitgegangen, jetzt wollte sie nicht mehr Es traf ihn tief, erschütterte sein Selbstverständnis. »Ich habe 13 Pfund abgenommen. Ich verstehe es nicht.« Nur langsam fand er wieder Boden unter den Füßen. Er weiß jetzt, daß einstige Sicherheiten nichts mehr gelten. Aber er hätte auch gespürt, daß er vielen nicht gleichgültig ist - obwohl er für Hameln nicht mehr aufs Tor stürmt. y
Auf ewig will er Verkaufstrainer nicht bleiben. Er ist sicher, daß er dem Handball mehr geben kann als der BHW Das müsse nicht als Trainer sein, denn das wäre ein Schleudersitz. Er habe wenig Neigung, nach jedem Durchhänger der Mannschaft wie ein Zigeuner herumzureisen und sich einem neuen Team anzubieten. Gerade weil heute Sicherheiten nicht selbstverständlich sind, will er sie nicht leichthin aufgeben. Er deiikt an andere Dienste für den Verein: Imagepflege, Sponsorensuche, Beratung in allen Lebenslagen. So etwas Ähnliches übt er ja gerade mit wachsendem Erfolg, und einen guten Namen hat er auch.
Irgendwie ist Frank Wahl immer noch (oder wieder) im Training - für das Spiel in einer anderen Welt. Und macht auch da seine Tore. Wie früher, als er als einer galt, an dem man sich ein Vorbild nehmen sollte.
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