- Politik
- Skulpturen des Amerikaners Frank Stella in Jena - Debatte um Kunstwerke verweist auf soziale und wirtschaftliche Widersprüche
Kunst oder Schrott?
Stahl, Bronze, Aluminium, tonnenschwer; verknäult, zerknautscht, gepreßt die Teile-als Kunstwerk bei seiner Einweihung mit Feuerwerkund Böllerschüssen gefeiert. Der Schöpfer dieser und vier ähnlicher Skulpturen Frank Stella sieht sie als »Ausdrucksformen, sich am Ende des Jahrtausends mit der Welt auseinanderzusetzen«
Foto: dpa
Von Peter Liebers
Jenoptik-Chef Lothar Späth hat in Jena schon für manche Aufregung gesorgt. Von den einen als Retter in der Not gefeiert, sehen andere in ihm den Zerstörer des Zeiss-Werkes. Diese Debatte wird nun anhand von Plastiken des Amerikaners Frank Stella fortgesetzt, der als einer der bedeutendsten Gegenwartskünstler gilt und im Februar dieses Jahres die Ehrendoktorwürde der Friedrich-Schiller-Universität verliehen bekam. Aus diesem Anlaß fädelten Späth und der Jenaer Kunsthistoriker Prof. Franz-Joachim Verspohl eine Ausstellung ein, mit der der Künstler in Jena sein bisher größtes Skulpturenprojekt in Europa realisiert. Auf dem Ernst-Abbe-Platz, der durch den Abriß von Produktionsstätten des Zeiss-Hauptwerkes im Stadtzentrum entstand, stellt Stella unter dem Titel »Hudson River Valley« eine Serie von fünf Skulpturen auf, die im vorigen Jahr entstanden. Eine davon schenkte er der Universität, drei werden als Leihgabe für fünf Jahre in der Saalestadt verbleiben und eine kaufte Späth für die Jenoptik AG. Daß er den Kaufpreis hartnäckig verschweigt, wird in Jena als Indiz gewertet, daß der wohl gepfeffert sein muß.
Wäre er bekannt, würde der Streit um die Kunstwerke wohl noch heftiger ausfallen. Viele Jenaer mögen die aus verschraubten und verschweißten Stahlplatten, zwischen die und um die herum verbogene Stahlprofile, Bündel von Bandeisen und zerknautschte Blechtafeln an-
geordnet sind, nicht als Kunst akzeptieren. In einer Regionalzeitung wurde ein Ehepaar zitiert, das bei einem Bummel über den Abbe-Platz meinte, das sei ja alles sehr schön geworden, nur der Schrott müsse weg, der sehe ja aus wie die Trümmerreste von Zeiss.
In der Tat begegnen die Skulpturen selbst dem gutwilligen Betrachter mit
dem Charme eines Stacheldrahtverhaus. Wer die ästhetische Ausstrahlung filigraner Stahlkonstruktionen aus dem Brükken- oder Industriebau und die Beredsamkeit schätzt, die Metalloberflächen und -Strukturen entfalten können, sieht sich von Stellas Arbeiten enttäuscht. Immerhin möchte der, angeregt durch einen Besuch in Jena während des Abbruchs
von Zeiss-Industrieanlagen, mit seinen Skulpturen den Transformationsprozeß von Altem in Neues symbolisieren. Späth qualifizierte das als den »grundlegenden Lebensimpuls«, den die Arbeiten ausstrahlen.
Doch man muß schon lange und genau hinschauen, um in dem Wust verbogenen Eisens offenbar sorgfältig gestaltete Gußplatten zu entdecken, mit Abdrücken von Seilen, Stahlmatten oder Profilen und den an Fächerkorallen erinnernden Gebilden, zu denen flüssiges Metall erstarrt, wenn es ohne Formenzwänge verlaufen kann. Hier blitzt ein wenig von dem auf, was aus der Symbiose von traditioneller Industrieästhetik, Materialeigenschaften und Kunst entstehen kann. In diesen Details wird auch eine Auseinandersetzung
mit dem Anliegen des Künstlers möglich und findet die Phantasie Nahrung. Diese Ansätze aber werden vom Gesamtwerk eher verdeckt und verwischt. Da sind Reaktionen wie die des Ring Christlich Demokratischer Studenten, die Skulpturen erinnerten eher an einen Schrottplatz denn an Kunst, nicht verwunderlich, zumal die geballte Ladung von gleich fünf derartigen Arbeiten auf engem Raum und im Kontrast zu den modernen Glas- und Betonfassaden des zu Bürosilos, Universitätseinrichtungen und Konsumtempeln mutierten Zeiss-Werkes den Eindruck des Chaotischen noch verstärkt. Der Späth habe doch in Jena genug Schrott produziert, da müsse er nicht noch welchen aus Übersee kommen lassen, meinte ein Straßenpassant bissig, der seinen Namen lieber nicht nennen mochte. Daß man in Jena heute mit Schrott aus den USA Doktor werde, sei bezeichnend. Späths Feststellung, die Skulpturen seien hier genau richtig, weil auch Jena eine Stadt sei, in der aus Trümmern Neues entsteht, stößt vielfach auf Widerspruch. Die Trümmer habe der Jenoptik-Chef schließlich selbst geschaffen, wird ihm entgegengehalten. Späth nimmt dergleichen gelassen, und er freute sich »furchtbar« darüber, daß über Stellas Arbeiten schon vor der offiziellen Übergabe am 6. November gestritten und diskutiert wurde. Dazu sei moderne Kunst schließlich da.
Da kann ihm schwer widersprochen werden, zumal es zu Beginn des Jahrhunderts in Thüringen schon einmal einen Streit um einen Ehrendoktor der Jenaer Universität gab, um Auguste Rodin. Als der im benachbarten Weimar seine Skulpturen ausstellte, löste das einen derartigen Skandal aus, daß die Ausstellung geschlossen werden mußte. Ob Stella in der Kunstwelt einmal einen ähnlichen Platz einnimmt wie der Franzose, muß die Zeit zeigen. Wenn die philosophische Auffassung stimmt, daß Neues aus dem Chaos entsteht, dann sind Stellas in Jena gezeigte Arbeiten wohl eher die Vorstufe zu Neuem.
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