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  • Kultur
  • VALENTIN FALIN: WIE ES ZUR DEUTSCHEN EINHEIT KAM

Ging man nicht laienhaft an die Dinge?

  • Detlef Nakath
  • Lesedauer: 4 Min.

Auch im »verflixten siebenten Jahr« nach Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands scheint der 1989/90 vollzogene politische Verschmelzungsakt noch immer Verlage ebenso wie profilierte Autoren zu faszinieren. Immer neue Bücher erscheinen von Insidern, die ihre Erinnerungen präsentieren oder sich anhand neuer Dokumente zum Thema äußern. Mancher Autor, der heute mit der Attitüde der Selbstverständlichkeit über diesen Vorgang berichtet, hätte vermutlich noch an der Jahreswende 1988/89 die Möglichkeit einer solchen rasanten Entwicklung in Mitteleuropa weit von sich gewiesen.

Valentin Falin, einer der prominentesten sowjetischen Deutschlandpolitiker, hat sich bereits 1993 in seinen »Politischen Erinnerungen« zum Thema geäußert. Damals wie heute teilt er dem Leser nicht nur neue Erkenntnisse, sondern auch früheren Gedanken mit. Diesmal konzentriert er sich auf die politische Situation in der sowjetischerl Führungsspitze und reflektiert ausgiebig die Diskussionen innerhalb der KPdSU nach dem Machtantritt Gorbatschows. Falin läßt seine Skepsis, aber auch seine distanzierte Unterstützung gegenüber dem neuen ersten Mann im Kreml deutlich werden, wenn er für die Jahre 1985/86 dessen »überspitzte Urteile und seinen verwegenen Umgang mit dem ererbten politischen Kapital« mit

Valentin Falin: Konflikte im Kreml. Zur Vorgeschichte der deutschen Einheit und Auflösung der Sowjetunion. Karl Blessing Verlag, München 1997. 318 S., geb., 42,80 DM.

Philip Zelikow/Condoleezza Rice: Sternstunde der Diplomatie. Die deutsche Einheit und das Ende der Spaltung Europas. Propyläen Verlag, Berlin 1997. 654 S.. geb., 58 DM.

der rhetorischen Frage kommentiert: »Ging man nicht laienhaft an Dinge heran, wo professionelles Wissen unverzichtbar war?«

In der Frage der Beendigung des Wettrüstens mittels eines Arrangements mit den USA war Gorbatschow selbst in seinem Politbüro nicht gewillt, »sich in alle Karten schauen zu lassen«. Seine »hektischen Initiativen in den Abrüstungsverhandlungen« sollten nach Ansicht Falins dem Verhandlungspartner offenbar »weite Spielräume« suggerieren, die es längst nicht mehr gab. Und er kritisiert, daß diese Initiativen in der Regel ohne vorherige Konsultationen mit den Bündnispartnern im Warschauer Pakt erfolgten.

Interessant ist auch, was Falin über die Auffassung Gorbatschows zur Rolle der DDR im sowjetischen Führungskreis äußerte. Danach verfolgte dieser 1988/89 eine Politik der Beendigung der

Konfrontation mit den USA »um jeden Preis« und dachte: »Wenn Erich Honecker nicht mitspielen will, dann ... Soll dann alles zum Teufel gehen? ... Oder soll man nachhelfen, daß Honecker von der Führung abgelöst wird?«

Noch im Februar 1990, unmittelbar vor dem wichtigen Kohl-Besuch in Moskau, hatte Falin ein 11-Punkte-Papier für Gorbatschow ausgearbeitet, das im Wortlaut neben zehn weiteren Dokumenten publiziert ist. Darin ging er vom Selbstbestimmungsrecht der Deutschen in der Frage der staatlichen Vereinigung aus, forderte aber u.a. eine »Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage in der DDR« mit Hilfe der BRD ebenso wie die militärische Neu-

tralität des vereinigten Deutschlands. Beides blieb Illusion.

Während Falins Sicht auf die historischen Vorgänge zwangsläufig stark subjektiv beeinflußt ist, konnten der frühere Berufsdiplomat im Weißen Haus, Philip Zelikow, und die Stanford-Professorin Condoleezza Rice »freier« viele bisher nicht zugängliche Dokumente aus US-amerikanischen Regierungsstellen (des Außenministeriums, des Weißen Hauses) wie auch Geheimdienstpapiere auswerten. Ihre Studie wurde bereits

1995 bei Harvard University Press unter dem Titel »Germany unified and Europe transformed« vorgelegt. Das höchst informative Buch, das sich vor allem auf die äußeren Aspekte des Vereinigungsprozesses konzentriert, hätte allerdings eine bessere Übersetzung verdient.

Beide Autoren kommen zu tieferen Einblicken in das internationale Geschehen der Jahre 1989/90, als es vor wenigen Jahren Timothy Garton Ash möglich war. Aus ihrer Untersuchung wird deutlich, daß die deutsche Vereinigung im wesentlichen als ein machtpolitischer Vorgang angesehen worden ist. Treibende Kräfte seien Bundeskanzler Kohl und Präsident Bush in Kooperation mit dem sowjetischen Generalsekretär Gorbatschow gewesen. Für die Sowjetunion waren nach Ansicht der Autoren 1990 vor allem die militärischen wie die finanziellen Folgen des Vereinigungsprozesses von Bedeutung. Bundeskanzler Kohl ging nach Ansicht der Autoren ein enormes Risiko ein, als er die deutsche Vereinigung auf die internationale Tagesordnung setzte, »obwohl darauf noch kein Platz für sie war«. Die DDR, Frankreich und Großbritannien als übrige Teilnehmer an den 2+4-Verhandlungen spielten kaum mehr als eine Statistenrolle, »zweitrangige Mitspieler« im hektischen Verhandlungspoker, bemerken Zelikow und Rice wohl nicht zu Unrecht.

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