- Kultur
- THEODOR DANNECKER - FUNKTIONÄR DER »ENDLOSUNG«
Ein kaltblütiger Judenjäger
Intern wurden sie »Judenberater« genannt und hätten doch treffend nur Judenjäger heißen müssen. Sie residierten in Paris, den Haag, Brüssel und in den Hauptstädten von Verbündeten des deutschen Faschismus. Da gehörten sie zum Kommando der Sicherheitspolizei, dort besaßen sie diplomatischen Status. Überall erfüllten sie nur eine einzige Aufgabe: Sie erfaßten und konzentrierten die Juden und sorgten, daß sie auf ein Signal hin, das aus der Berliner Kurfürstenstaße kam, in Züge verladen und »nach dem Osten« auf den Weg zu ihren Mördern geschickt wurden. Theodor Dannecker war einer von diesem knappen Dutzend Männer, die im Apparat der »Endlösung« eine treibende Rolle spielten.
Auf die Spur des 1913 in Tübingen geborenen Kaufmannssohns, der sich 1945 in einem Gefängnis in Bad Tölz dem Strang dadurch entzog, daß er sich selbst erhängte, begab sich Claudia Steur Sie war mühsam genug aufzunehmen, denn Dannekkers nichtamtliche Hinterlassenschaft ist dürftig. Es gibt
Claudia Steur- Theodor Dannecker Ein Funktionär der Endlösung. Klartext Verlag, Essen 1997 251 S., geb., 48 DM.
Schulzeugnisse, die auf eine gediegene Ausbildung auf einer Handelsschule hinweisen, dann einen Bericht von seiner etwa 1930 in Tübingen begangenen ersten Gewalttat gegen das Geschäft eines jüdischen Konkurrenten, unternommen in Gemeinschaft mit zwei Kumpanen, die schon Mitglieder der SA waren. Dann existiert die seit 1932 fortgeschriebene Personalakte des SS-Mitglieds. Zwei Jahre später gab er sein ziviles Dasein auf, mit ihm die Aussicht auf ein Leben hinterm Ladentisch und über Rechnungen eines Textilgeschäfts, und trat in den aktiven Dienst in Himmlers Truppe. Er wird Wachmann im Berliner Columbiahaus und im KZ Oranienburg. Nach einer Strafversetzung beginnt sein Aufstieg: 1935 Judenreferent beim Sicherheitsdienst in Stuttgart, 1936 Mitarbeiter im Judenreferat des SD-Hauptamtes in Berlin, Untergebener Heydrichs und Kum-
pan Eichmanns. 1939 gehört er zu den Organisatoren der dann abgebrochenen Deportationen von Juden aus dem Protektorat in den Osten des Generalgouvernements.
1940 bezieht er seinen ersten Posten als »Judenberater« in der eroberten Hauptstadt Frankreichs. Als er sie 1942 verläßt - seine weiteren Stationen: Bulgarien, Italien und Ungarn - sind etwa 42 000 Juden aus dem besetzten und auch aus dem unbesetzten Teil »abgeschafft«, die meisten von ihnen bereits im Gas in Auschwitz erstickt.
Danneckers Eifer, der Druck, den er ausübte und die vielfache Unterstützung, die er u.a. bei dem für das Transportwesen verantwortlichen Wehrmachtsgeneral fand, haben dieses grausige Resultat hervorgebracht. Kalt, jähzornig, arrogant, herrisch, bei der Ausarbeitung des jeweils nächsten Schritts der Judenverfolgung auch »ideenreich«, stieg Dannecker bis zu einem, einem Hauptmann vergleichbaren SS-Rang auf. Alkoholische Exzesse und Raufhändel bremsten seine Karriere nur kurzzeitig - so zahlreich ver-
fügte Eichmann über ihm ergebene und eingearbeitete Leute auch nicht. Als letzte ihres Kommandos verließen die beiden Budapest beim Herannahen der Roten Armee, die auch die Judenjäger vor sich her- und vertrieb.
Steurs Arbeit vervollständigt die anwachsende Zahl der Biographien, die jüngst über die Mörderbande aus dem Reichssicherheitshauptamt vorgelegt wurden: Peter Black über Ernst -Kaltenbrunner, Ulrich Herbert über Werner Best, Andreas Seeger über Heinrich (Gestapo-) Müller Das Bild der Täter auf der ersten und zweiten Ebene des Regimes - lange beschränkten sich Untersuchungen auf Himmler, Heydrich und Eichmann - wird schärfer
Zum Schluß sei nur noch angemerkt, daß leider die Perspektive auf einen der Haupttäter Claudia Steur verleitet hat, eine Schilderung der Schicksale von Dannekkers Opfern zu unterlassen. Und wenig überzeugend wirken Passagen, in denen geschrieben steht, es sei der »Judenmord Hitlers wichtigstes Ziel geworden«.
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