- Politik
- »Operation Libelle«
Einsatz in Tirana
Mit dem Befehl, »auf alles zu schießen, was sich auf weniger als 50 Meter nähert« Von Arndt Ginzel, Sarajevo
Wenig Widerstand in der bundesdeutschen Öffentlichkeit wurde nach der »Feuertaufe« der Bundeswehr in Tirana laut. Unser Reporter befragte Beteiligte.
Viel Platz für weitere Einsatzorte - und ein frommer Wunsch
Foto: Reuter
Der Wachsoldat, dem ich den Presseausweis zeige, läßt mich ohne weitere Fragen passieren. Wichtiger für ihn sind zwei französische Panzer, die hinter mir durch das Tor rollen und die er einweisen muß. Ich bin auf dem Gelände des SFOR-Feldlagers Rajlovac, zehn Minuten Autofahrt von Sarajevo entfernt. Vor dem Krieg war hier die jugoslawische Bundesarmee stationiert. 1992 verschanzte sich das serbische »Rajlovac-Bataillon« in den Kasernen. Auch 4000 serbische Flüchtlinge suchten hier vor den Kugeln bosnisch-moslemischer Scharfschützen Schutz. Bis zum Februar 1994 dauerten die Kämpfe um Rajlovac. Nach der Unterzeichnung des Dayton-Abkommens im Dezember 1995 zogen die NATO-Truppen ein.
Aus den mehrstöckigen Wohncontainern dringt Musik, von einem Versorgungstransporter werden Paletten mit Heineken-Bier abgeladen, einige Soldaten joggen im Trainingsanzug die Hauptstraße entlang. »Gehen Sie bitte in das Pressezentrum«, sagt der Offizier, den ich nach Soldaten frage, die beim Einsatz in Tirana dabeiwaren.
Aber statt zum Informationszentrum gerate ich an den Postcontainer; da stapelt einer Pakete. Der schickt zu den »sechs CH-53«. Wie sich bald herausstellt, sind das die Hubschrauber, mit denen die »Operation Libelle« geflogen wurde. Und unweit treffe ich tatsächlich zwei Soldaten, die mir versichern, an dem Einsatz teilgenommen zu haben.
Im »Heli In«, einer Bretterbaracke, lassen wir uns nieder. Das Angebot an der Bar ist lückenlos. Aus Lautsprechern verkündet eine Stimme, daß wir Radio Andernach, das einzige und also beliebteste Soldätenradio, eingeschaltet haben. Uwe, der 23jährige Stabsunteroffizier mit dichtem braunen Haar, gibt in der Uniform ein durchaus überzeugendes Bild ab. Ingo dagegen, zwei Jahre jünger, blond und kurzgeschoren, mit Kinnbärtchen und Brille, paßt äußerlich viel besser in einen Demonstrationszug der Friedensbewegung. Beide versichern, freiwillig nach Bosnien gegangen zu sein. Doch ernsthaft hätten sie nie daran geglaubt, ihr Leben in Gefahr bringen und auf Menschen schießen zu müssen.
Am 13. März begann die Nachtruhe in Rajlovac wie immer um 22 Uhr. Uwe lag schon im Bett und hörte Musik. Plötzlich standen die Wachhabenden in der Tür und ließen antreten. Wie Ingo gehörte Uwe zu den 91 Soldaten, die vorab für die Rettungsaktion ausgewählt worden waren. Aber »keiner wußte zu diesem Zeitpunkt, ob wir wirklich in Tirana landen«. Die Mähner wurden auf die sechs
Hubschrauber verteilt. Ingo hatte seinen Platz im ersten Helikopter, der auf albanischem Boden aufsetzen sollte. Hinter einem Maschinengewehr mußte er an der geöffneten Tür sitzen. »Doorguner, zu deutsch Bordkanonenschütze, nennt man das.« In der Bundeswehrzeitung, die in Rajlovac erscheint, ist ein Foto abgebildet: Ingo, wie er - scheinbar zu allem entschlossen - das Maschinengewehr fest in den Händen-hält und nach Feinden späht. Allerdings, fügt er hinzu, habe er da nur noch einmal für den Fotografen posiert, der Einsatz lag schon eine Weile zurück. Auch Uwe war »Doorguner«. Aber in der Maschine, die während der Operation ständig über Tirana kreiste.
Doch zuvor hatten die Soldaten die ganze Nacht hindurch gearbeitet, um die Hubschrauber mit Schwimmwesten, Verbandsmaterial und der vorgeschriebenen Bewaffnung auszustatten. Am Morgen, gegen 7.30 Uhr, flogen sie zur kroatischen Adriastadt Dubrovnik. Die meisten versuchten zu schlafen, denn die nächtlichen Vorbereitungen waren ermüdend gewesen. Uwe glaubte immer noch nicht, daß es zu dem geplanten Einsatz in Tirana kommen würde. Anders Ingo, der wußte von Anfang an, daß ein »echter Kampfeinsatz« bevorstand, oder er hoffte es zumindest.
In Dubrovnik wurden ein letztes Mal alle Handgriffe geübt. Stunden vergingen. 13.35 Uhr traf der Marschbefehl aus Bonn ein. Noch kurz vor dem Abflug kam eine unerwartete Meldung aus dem Funkgerät: Albanische Rebellen hatten mit einer Rakete einen USA-Hubschrauber beschossen, worauf die Amis die Aktion beendeten. Aber die »Operation Libelle« wurde nicht abgebrochen.
Der Gedanke daran,,daß er an der offenen Tür wie eine lebende Zielscheibe über den albanischen Rebellen kreisen würde, machte Uwe unruhig. Dabei hatte er unbedingt an diesem Einsatz teilneh-
men wollen. Ein Zurück gab es nun nicht mehr. In den Hubschraubern stieg die Spannung. »Als wir dann 900 Meter über Tirana schwebten«, erzählt Ingo, der sich bemüht, noch etwas cooler zu wirken, »da hörten wir, wie ein Geschoß den Hubschrauber traf. Doch wir hatten nicht einmal Zeit, um uns von dem Schreck zu erholen, da ließ der Pilot den Hubschrauber im Sturzflug zu Boden rasen. Dann ging alles sehr schnell. Wir hatten die Order, auf alles zu schießen, was sich uns auf weniger als fünfzig Meter näherte. Hinter mir reihten sich die evakuierten Menschen auf dem Fußboden. Erst als wir wieder über dem Meer waren, hatte ich die Gelegenheit, mir die Menschen anzusehen. Sie sahen alle sehr erschöpft aus. Eine Frau weinte. Andere dankten uns für den Einsatz.«
»Jederzeit wieder dabei« wäre Ingo. Uwe ist sich nicht so sicher: »Ich habe, als wir über Tirana waren, wirklich gehofft, daß wir so schnell wie möglich wieder zurückfliegen. Ich konnte auch nicht mitfeiern, als wir wieder im Stützpunkt waren. Ich bin einfach ins Bett gegangen.«
»Gott sei Dank durften wir niemanden vor der Operation anrufen. So wußten meine Eltern gar nichts davon.« Uwes Stimme klingt fast ein bißchen kindlich. »Natürlich waren sie froh, daß ich wieder heil hier angekommen bin.«
Ingos Vater dagegen ist nun richtig stolz auf seinen Sohn. Er habe, als er die Bilder im Fernsehen sah, genau gewußt, daß Ingo dabei ist - sagte er am Telefon. Für ihn wie für andere war Tirana vielleicht schon Bundeswehralltag, wie sie ihn bisher nur träumen durften.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.