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Warum wird gemobbt?

Anette Harms-Böttcher

  • Lesedauer: 3 Min.

Die 44jährige Berliner Psychologin beschäftigt sich seit längerer Zeit mit dem Thema Mobbing. Sie berät Betroffene und initiiert Öffentlichkeit für das Problem.

ND-Foto: B. Lange

? Ist es Mobbing, wenn mein Chef stets in dem Augenblick auf die Uhr schaut, in dem ich morgens das Büro betrete?

Kaum. Mobbing geschieht zielgerichtet. Der Begriff beschreibt feindliche Äu-ßerungen und Handlungen von Gruppen oder Personen, die sich systematisch und über einen längeren Zeitraum wiederholen. Ziel ist die Ausgrenzung der betroffenen Person.

? Beschränkt sich dieser Psychoterror auf den Arbeitsplatz?

Im wesentlichen findet er dort statt. Aber Mobbing weitet sich auf die gesamte Gesellschaft aus. In der Schule nennt man es Bullying. Schülerinnen und Schüler bestätigen, daß es auch in ihrem Umfeld gang und gäbe ist, Menschen lächerlich zu machen und auszugrenzen. Wenn in einer Hausgemeinschaft eine Familie immer wieder schikaniert wird, ist das ebenfalls Mobbing.

? Wieviele Menschen sind davon betroffen?

Schätzungen sprechen von 300 000 bis 1 Million, auf repräsentative Untersuchungen kann man nicht zurückgreifen.

? Gibt es unter den Betroffenen geschlechtsspezifische Unterschiede?

Ca. 60 Prozent sind Frauen und 40 Prozent Männer. Ich denke aber, das liegt einmal daran, daß Frauen eher bereit sind, über ihre Probleme zu reden und sich Hilfe zu suchen, und zum zweiten daran, daß Mobbing vorwiegend bei Angestellten oder im öffentlichen Dienst vorkommt. Da arbeiten nun mal mehr Frauen als Männer.

? Welche Charaktere werden denn am meisten gemobbt?

Leute, die anders sind, weil sie einen anderen Dialekt sprechen oder auffällig, weil sie beispielsweise rote Haare haben,

werden eher zum Opfer Oder auch Kolleginnen oder Kollegen, die sich als besonders erfolgreich, engagiert und innovativ erweisen. Da stellt sich manchmal Neid ein. Es trifft nicht immer die Unsicheren, wie man landläufig vermutet.

? Manche Menschen werden krank von diesen Kränkungen

Es beginnt mit Nervosität und innerer Unruhe, Kopfschmerz, Verspannungen. Auch Depressionen und Schlafstörungen können vorkommen. Je länger jemand unter Druck gesetzt wird, desto schwerwiegender werden die Folgen. Häufig verlieren Menschen, die eine längere Zeit diesem Terror ausgesetzt sind, ihre Lebensfreude, die Selbstsicherheit und das Selbstwertgefühl. Manche denken sogar an Selbstmord.

? Kann man sich denn schützen?

Schwierig. Konfliktfähigkeit und Selbstsicherheit sind hilfreich, aber Prävention funktioniert eigentlich nur in Zusammenarbeit mit den Betrieben. So können Dienstvereinbarungen abgeschlossen werden, die Mobbing ächten - die gibt schon es bei VW oder im Bezirksamt Berlin-Weißensee. Diese Vereinbarungen sehen vor, daß Kollegen, die andere terrorisieren, entlassen werden. Aber man muß natürlich auch darauf achten, daß so ein Papier nicht zum Feigenblatt wird.

Terrorisierte Kollegen sollten sich vor allem um Unterstützung durch solidarische Mitarbeiter und Führungskräfte bemühen, weil Freunde und Familienangehörige mit diesen Problemen schnell überfordert werden können.

? Bezahlen die Krankenkassen eine Beratung?

Nein. Letztes Jahr bezahlte die DAK noch Kurse für Mobbing-Opfer, die haben gut geholfen. Das gibt es nicht mehr

? Die PDS arbeitet an einem Gesetzentwurf, könnte so das Problem gelöst werden?

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