- Politik
- Retrospektive auf das Werk von Alfred Hrdlicka in Frankfurt/Main
Geschundene Körper und die Lust am Schinden
Marsyas II -Fleischmarkthallengeschöpf, 1965, Bronze
Von Karen Roske
Mit roten Fahnen und Trillerpfeifen zogen in Frankfurt am Main 20 000 wütende Stahlarbeiter durch die Straßen. Sie demonstrierten gegen den »Kasino-Kapitalismus« der Banken, deren Wolkenkratzer hinter ihnen in den Himmel ragen. Ein paar Schritte weiter in einer Seitenstraße im stillen Karmeliterkloster bäumen sich geschundene und gedemütigte Körper stumm auf. In einer Momentaufnahme von qualvollem Märtyrerkampf hat Alfred Hrdlicka sie in Stein oder auf Papier gebannt. Das Wissen und die Sprache der Körper nennt der klassenbewußte Künstler »proletarische Intelligenz«. Noch bis zum 4. Mai zeigen der Frankfurter Kunstverein und die städtische Galerie im Karmeliterkloster die bisher größte Retrospektive des 69jährigen Wieners Alfred Hrdlicka. 200 Werke aus den letzten fünfzig Jahren sind zu sehen: Skulpturen, Zeichnungen und Grafiken. Sie kreisen immer wieder um die Themen Gewalt, Krieg, Tod und perverse ? Lust. Und sie zeigen vor allem eins: Körper. Hrdlicka ist überzeugt, daß wir in einem extrem »physischen Jahrhundert« leben. Seine Werke provozieren; etwa ein Zyklus von Zeichnungen, die in Selbstversuchen mit LSD entstanden. Und provozieren sollen sie auch. Hrdlicka versteht seine Kunst als politische Aussage.
Über Jahre arbeitet er mit verschiedenen künstlerischen Mitteln an thematischen Serien, etwa über den italienischen Schriftsteller und Filmemacher Pier Paolo Pasolini. Der war ein Außenseiter und Ausgestoßener der Gesellschaft, wurde in 33 Prozessen angeklagt wegen Homosexualität, wegen seiner Bücher und Filme und wegen »verdächtigen Verhaltens«. 1975 erregte die Zeitungsnachricht über Pasolinis Tod Hrdlickas künstlerisches Interesse: Die Leiche habe wie ein Abfallhaufen ausgesehen, nachdem ein Strichjunge den zuvor Erschlagenen mit
dessen Auto überfahren hatte. Hrdlickas Auseinandersetzung mit Pasolinis Biographie gipfelt in der über zwei Meter langen Skulptur »Das schaurige Ende des Pier Paolo Pasolini«. Die Beine, der Penis und daran eine Hand des Opfers sind die erkennbar menschlichen Reste. Oberkörper, Arme und Kopf sind zu einem breiigen Haufen unter dem Abdruck von Reifenprofil deformiert. Die drastische Darstellung in weißem Marmor wirkt komisch wie die überzogene Brutalität in einem Splatterfüm.
Wie manches Werk aus Privatbesitz ist auch »Das schaurige Ende des Pier Paolo Pasolini« sonst nicht zu sehen. Es lagert im Keller des Kölner Ludwig-Museums. Damit sein Werk nicht ganz in den gefürchteten »Grabkammern der Kunst« verschwinden kann, stellt Alfred Hrdlicka gern Skulpturen im öffentlichen Raum auf. Das »Tor der Gewalt« auf dem Wiener Albertinaplatz oder das »Engels-Denkmal« in Wuppertal sorgten für Debatten. Schade, daß diese Werke in der Frankfurter Retrospektive nicht dokumentiert und auch im Katalog nur am Rande erwähnt werden.
Die Form des Steinblocks, aus dem Hrdlicka die Figuren freigeschlagen hat, ist seinen Skulpturen noch anzusehen. Unterschiedliche Bearbeitungszustände von roh behauenen bis zu glattpolierten Oberflächen zeigen den Entstehungsprozeß und heben Details hervor. Die menschlichen Figuren bleiben sowohl in den Skulpturen als auch im grafischen Werk fast immer fragmentarisch. Hrdlikka will sich aufs Wesentliche beschränken und jede für seine Aussage nicht unbedingt nötige Form vermeiden. So kommt es vor, daß der Bildhauer einer mit Gliedmaßen geplanten Figur später Arme, Beine oder Kopf abschlägt und sie zum Torso reduziert. So geschehen beim »Gekreuzigten« (1959) oder beim »Sterbenden« (1955/59).
Hrdlicka sagt, er »schinde« den Stein. Die geschundenen und gequälten Figuren, die so entstehen, sollen das Leid anprangern, das die Menschen sich gegen-
seitig antun. Auch die Zeichnungen und Drucke erzählen die Leidensgeschichten von Unterdrückten und Ausgestoßenen. Der Zyklus »Plötzensee« etwa erinnert an die Erschießung politischer Gefangener und Widerstandskämpfer 1944 durch die Nationalsozialisten. Der Zyklus »Randolectil« beschäftigt sich mit Kranken in der Psychiatrie. Im »Haarmann«-Zyklus beleuchtet Hrdlicka die Obsessionen des Massenmörders Haarmann. Wie sich Bildideen und Assoziationen grafisch erweitern, verschränken und letztlich in der Kalkstein-Plastik »Haarmann-Fries« (1966/67) verdichten, kann man in der Frankfurter Ausstellung beobachten. Unverständlich bleibt, warum manche Zyklen auseinandergenommen wurden und nun teils im Kunstverein, teils im Karmeliterkloster zu sehen sind.
Hrdlicka stellt das Häßliche dar, um es aufzudecken. Er forscht nach den Ursachen von Leid und zeigt obszöne Lust an der Gewalt, Voyeurismus und Exhibitionismus. Aber funktioniert das bloße Zeigen von Gewalt und Leid wirklich als Mahnung und Abschreckung? Oder wiederholt es Gewalt und Leid und provoziert (oder begünstigt) erneut perversen Voyeurismus und schmerzhafte Diskriminierung?
Wo Hrdlicka klar satirisch überzeichnet, distanziert er sich deutlich: Da tragen die Figuren karikaturhafte Züge, erinnern in ihrer knappen und schrillen Schilderung an Comics.
An Comic-Strips erinnert auch der Zyklus »Roll over Mondrian« (1966/67). Die Bildaufteilung in Rechtecke unterschiedlicher Größe hat er von Piet Mondrian übernommen. Die einzelnen Flächen werden aber von Figuren bevölkert, die pornographischen, sadistischen oder sonstwie düsteren Handlungen nachgehen. Hrdlicka wendet sich damit gegen die abstrakte Kunst. Indem sie den Menschen weglasse, verkomme sie zum Kunstgewerbe. Nur gegenständliche Kunst könne sich mit der aktuellen Wirklichkeit auseinandersetzen und den kommerziellen Medien Paroli bieten.
Hrdlicka knüpft seine Suche nach Vorbildern oder Widerständen überall in der Kunst- und Kulturgeschichte an: vom Tänzer Nurejew über Schubart und Nietzsche bis in die Renaissance. Dort finden sich Brutalität und Grausamkeit in ähnlich ambivalenter Schönheit dargestellt wie bei ihm. Die Fresken aus dem 16. Jahrhundert im Karmeliterkloster be-
weisen es: Hinter Hrdlickas »geschundenen« Torsi reflektiert die Bildergeschichte »Geburt und Passion Christi« das L^id eines Mannes und den Eifer seiner Verfolger ebenso deutlich.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.