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  • Politik
  • Angelika Gramkow, PDS, will aus Mecklenburg-Vorpommern direkt in den Bundestag

Träumen und rechnen

  • Lesedauer: 10 Min.

ND-Foto: Burkhard Lange

Schloß Schwerin ist der »schönste Landtagssitz Deutschlands«. Sagt der Landtag Mecklenburg-Vorpommerns. Die Macht hat Status, aber kein Geld; umgekehrt wäre es besser Der verkaterte Mann, der den Hof fegt, sieht zwischen den Mauern vergleichsweise frisch aus. Die Gemächer der PDS erreicht man durch eine Brandschutztür Gleich am Eingang steht eine Couch - Kompromiß zwischen Raucherecke, Besucherempfang und Cafeteria, vorausgesetzt, man bringt den Cafe selbst mit. Eine plüschige Stehlampe übergießt den randvollen Ascher, den Brandfleck im Polster und die Poster an der Wand mit Zuckerguß, jemand pfeift auf zwei Fingern Arbeit her' Doch dies ist keine Frage des Geldes, sondern eine des Geschmacks; Wahlkampf, egal, wieviel er kostet, ist immer und überall billig. Dann kommt, dann stürzt sie um die Ecke: »Was heißt >mit der Ruhe<?«, schnappt sie, »mit der Ruhe gibt's nicht bei mir!« Mit federndem Schritt und wehendem Rock - ein sehr hübscher Rock übrigens, der den Schwung gut zur Geltung bringt - stürmt sie uns voran in ihr Arbeitszimmer

Als die norddeutsche Gelassenheit ausgeteilt wurde, hat Angelika Gramkow nichts abgekriegt. Die schlanke Blonde hat Temperament. Manchmal, wenn die Termine eng sind, überspringt dieses Temperament die gefährliche Grenze zur Hektik. Dann kommt es vor, daß Gramkow sich in einen Hurrikan verwandelt und einfach umwerfend ist. Weil sie das nicht ändern kann, muß sie irgendwann beschlossen haben, daß es ihr gefällt. Sozusagen ein Stilmittel.

Schon wird sie vom Mittagstermin gedrängt, gerade saß sie noch in einer Anhörung: Der Landesmusikrat, tief besorgt um den Bestand der Musikschulen, war bei der PDS vorstellig. »Kultur macht Heide Lautenschläger, ich gehöre da nicht zu. Aber irgendwie gehöre ich natürlich doch dazu, genaugenommen gehöre ich überall dazu, denn ich bin zuständig fürs Geld. Und davon ist in der Gesellschaft, in der wir leben, ja alles abhängig.«

Angelika Gramkow ist finanzpolitische Sprecherin der PDS-Fraktion und im Aus-

schuß Haushalt und Finanzen. Kein weiches Ressort, kein Frauenressort, das macht sie unverkennbar stolz. Auch, daß sie schon als Teenager nicht ins Schema passen wollte: Statt zur EOS zu gehen, sei sie Baufacharbeiterin mit Abitur geworden. Damals habe sie Interesse an Betriebswirtschaft gefaßt und später an der Karl-Marx-Uni Wirtschaftswissenschaften studiert. »Politische Ökonomie des Kapitalismus. Wenn Sie wollen, war das Glück, '89 brauchte ich nur Begriffe auszuwechseln.«

Sie tut, als sei es ein Kinderspiel, von einem System ins andere zu schlittern. Wahrscheinlich muß man sein Selbstbewußtsein ja morgens mit dem Spachtel auftragen, wenn man die Oppositionsbank drückt, sehr ehrgeizig ist und sehr verletzlich. Gramkow ist beides. Dauernd ringt sie um Kompetenz, die man ihrer Partei dauernd abspricht, dauernd hämmert sie in die Köpfe: Klar, wir können mitreden! Während sie noch durchs Zimmer rennt, spricht sie über ihr Lieblingsthema: Über Arbeit, die da ist, und Geld, das fehlt, um die Arbeit zu bezahlen. »166 000 Arbeitslose, trotz der jährlich drei Milliarden Investitionsförderung, die wir hier haben! Das heißt, daß wir trotz aller Investitionen keine Arbeitsplätze gewinnen.« Sie spricht von »Rationalisierungsinvestitionen, die natürlich notwendig sind, auch wenn sie zu Arbeitsplatzabbau führen«, sie hebt die Stimme, sie skandiert: »Aber man muß auch dafür sorgen, daß Arbeitsplätze geschaffen werden!«

Wie, das will sie später erklären, denn nun kommt Jürgen Reysa ins Zimmer Sie bittet den Fraktionsmitarbeiter, sich um ihren Mittagstermin zu kümmern. Nun kann sie sich doch noch hinsetzen. Sie arrangiert Intimität, indem sie die Beine unterschlägt, aber wahrscheinlich muß sie das tun, damit sie nicht gleich wieder aufspringt. Wo hat Scherling sie unterbrochen? Ja doch, bei den Arbeitsplätzen: Die drei Milliarden Fördermittel, übrigens alles Steuergelder, die zum Gemeinwohl beitragen sollten, lägen in Fördertöpfen fest. Bei diversen Ministerien, die sie im Antragsverfahren vergeben. Sie würde die Töpfe auflösen, das Geld den Kommunen überlassen, die könnten es am besten verwenden. Beispielsweise, indem sie selbst ein paar Leute beschäftigen. So gehöre an jede Schule unbedingt ein Sozialarbeiter »Im Landtag hat man

mir unterstellt, ich wolle die Pionierleiter wiederhaben. >Na und<, habe ich geantwortet, >wenn sie Angebote machen, ist mir ganz egal, wie die heißen!<«

Daß sie sich in »der Butt« nicht ziert, eine Lippe riskiert, nicht nur bellt, sondern beißt, trug ihr beim Rhetorikwettstreit der Zeitschrift »Rede und Karriere« immerhin Erwähnung ein - obwohl ihre Fraktion nicht mitstimmte. Und intern den Namen »Krakelika«. Die Ironie steckt sie tapfer weg, sie kommt schließlich »vom politischen Gegner«. Anfangs habe es weh getan, »wenn man mich populistisch nannte, doch ich kam gar nicht dazu, irgendetwas durchzurechnen«. Inzwischen verwende sie aber »viel Zeit auf Angebote, die es dem politischen Gegner schwerer machen, uns Populismus vorzuwerfen«. Arbeit her! sei gut und richtig, doch »ich zwinge uns, darüber nachzudenken, was jede einzelne Forderung kostet und wie wir das Geld beschaffen können«. Damit gewinne sie nicht nur Freunde, nicht mal in der eigenen Partei, weil einige ihrer Genossen Opposition ganz anders verstünden ... Angelika Gramkow darf Luft holen, ihr Telefon klingelt hartnäckig.

Irgendwann ist der Affenbrotbaum ertrunken. Die Wiesenblumen beschweren sich nicht, sie wissen Fürsorge zu schätzen. Der Anruf kam aus der Pressestelle: Die Kollegin hat informiert, daß der Bürgermeister von Hagenow in der Schweriner Volkszeitung einen offenen Brief ankündigt, den er an einige Landtagsmitglieder schicken will - betreffs der kommunalen Finanznot. In Gramkows Post war der Brief heute nicht. Sie will die Sache »später prüfen und vielleicht gleich eine Presseerklärung absetzen.«

Hagenow gehört zu ihrem Wahlkreis. Landkreis Hagenow/Stadt Schwerin. Wenn sie keine »Stallwache« hat, fahre sie oft in die Gemeinden, einmal im Jahr »in jedes Amt und in jede größere Stadt, da hole ich mir Basisdaten«. Das Schmuddelkind-Image, das ihrer Partei anfangs anhaftete, sei weg. Trotzdem verliert sie plötzlich die Fassung. »Aufhängen wollten die mich!«, schnaubt sie, immer noch ungläubig, entsetzt. »Ich hatte Angst, ich verstand den Haß, doch ich fand ihn auch ungerecht.« Gramkow spricht von '92. Die aufgebrachten Werftarbeiter hatten damals für den Erhalt ih-

rer großen Standorte Rostock, Stralsund und Wismar demonstriert. »Wir haben nachdrückllich vor dem Verkauf an die Vulkan-Werft gewarnt, doch w i r sollten an allem schuld sein: An 40 Jahren Mißwirtschaft, ich war gerade 32! Und die Genossen der CDU, die früher an den Schaltstellen saßen, drückten längst die Regierungsbank.«

Gramkow hat sich wieder im Griff, sie ist wieder unangreifbar Sie sei mit 20 in die Partei, »weil ich das beste aus mir machen, mich einbringen wollte, auch als Mädchen«. Sehe man die Frauen heute, könne nicht alles so schlecht gewesen sein. Daß Opposition fehlte, war Mist. Doch wenn sie ihr Kind, ihr erstes, das während des Studiums geboren wurde, abends aus der Krippe holte, sei es »nicht existentiell für mich gewesen, ob wir eine Opposition hatten oder nicht.«

Sie hat ihr Leben durchgecheckt, wie man es mit der Frühlingsgarderobe macht, wenn man sie im März aus dem Schrank holt: Man kontrolliert, ob sie einem noch paßt, leert Taschen, prüft den Halt der Nähte und hofft, sie ist nicht von Motten zerfressen. Wie jeder im Osten befand Gramkow, sie könne sich noch blicken lassen. »Man muß alles differenziert sehen«, sagt sie, »differenziert und nicht Schwarz-Weiß« - das versuche sie auch den Genossen an der Basis zu vermitteln. Manche hielten die bürgerliche Demokratie für eine Farce, dieser Meinung sei sie nicht. »Ich sage dann immer ...«

Schon wieder Jürgen Reysa. Diesmal hat er eine Nachricht. Gramkow reagiert aber nicht, erst bringt sie ihren Gedanken zu Ende. Es ist ein sehr langer Gedanke, und Jürgen Reysa muß lange stehen.

»Ich sage dann immer«, sprudelt sie, »in der DDR hätte es eine PDS nicht gegeben. Hier ist die Opposition geschützt, ich kann Mechanismen öffentlich machen und Ursachen zeigen, wenn ich denn kann, die haben wir früher doch gedekkelt. Natürlich will ich auch in der Wirtschaft demokratische Strukturen, da brauchen wir öffentliche Kontrolle. Ob ein Betrieb schließt, entscheidet ja heute nicht die Landesregierung, sondern die Bank. Denken Sie an Boizenburg!«

Während der Werftbesetzung war Gramkow mit Helmut Holter fast täglich vor Ort. Von Aufhängen sei keine Rede gewesen: Die Schiffbauer hätten andere Sorgen, weil die neuen Probleme haus-

gemacht sind. »Hätte sich die Elbewerft auf die Politik verlassen, wäre sie jetzt mit Sicherheit dicht. Doch sie hatte einen Betriebsrat, der die Geschäftsleitung dazu zwang, die Bilanzen aufzudecken ...« Inzwischen hat Lutz Scherling die Nachricht einfach auf einen Zettel geschrieben: Er hat sie beim Mittagstermin entschuldigt. Sie liest, redet weiter, Lutz Scherling sagt »Danke«. Das hatte Angelika Gramkow vergessen.

In der Kantine gibt es Schnitzel mit Blumenkohl, für fünf Mark. Der Juso-Vorsitzende nickt ihr zu, dann grüßt noch der »Persönliche« der Finanzministerin, Gramkow erklärt uns: »SPD.« Sie selbst stünde, auch mit Wählervotum, nicht für dieses Amt zur Verfügung. Nicht unter diesen Konditionen, wo sie nur Mangel verwalten müßte! Träumen kann nur die Opposition (die SPD weiß das seit Bad Godesberg) - von Glasnost in Wirtschaft und Politik, von effektiven Parlamenten und einem »Steuerrecht, das den Unterschied von oben nach unten nicht forciert«. Sie stochert im Blumenkohl herum: Gott, sie ertrage es manchmal schwer, politisch so wenig zu bewegen! Deshalb muß sie jetzt zum Wahlkampf nach Dümmer

Diesmal geht es für Gramkow um gro-ße Beträge: Bei der kommenden Bundestagswahl soll sie für die PDS ein Direktmandat erringen. Sie läßt keinen Zweifel, daß sie das auch will. Die Bonn-Gruppe ihrer Partei habe »in der Bundespolitik eine sehr interessante Aufgabe«. Man müsse »Alternativen anbieten, auch wenn sie heute nicht einsetzbar sind«. Auch könne sie sich vorstellen, »daß man dort künftig intensiver um Inhalte streiten und gemeinsame Positionen erarbeiten wird«.

Während sie schnell noch ihre Erklärung zu Hagenow an die Presse »absetzt«, treffen wir auf der Fraktionscouch Lutz Scherling. Ja, streiten könne man mit Geli. Er wirkt seltsam schaumgebremst, wir müssen nicht allzu lange drängen: Nein, Vermitteln sei nicht ihr Ding, es falle ihr schwer, eine andere Meinung als die eigene zu akzeptieren. Scherling hat bei der letzten Landtagswahl knapp ein Direktmandat verfehlt. In genau dem selben Wahlkreis, in dem Gramkow jetzt kandidiert. »Ich hatte 26,2 Prozent, das muß sie erst mal nachmachen«, sagt er.

Im Auto kaut Gramkow daran herum. Sie braucht mindestens 36 Prozent! Doch nein, sie könne auch einstecken. »Schwer, das gebe ich ja zu, ich streite gern und konsequent, man muß mich schon sehr gut überzeugen.« Sie ist eben doch Mecklenburgerin.

In Dümmer wird sie erwartet. Mario Kutter hat das Info-Mobil der. PDS auf dem Markt geparkt. Ein Kleinod von Markt, in rot und weiß, erst im letzten Jahr fertiggestellt. »Äußerlich ist hier alles tiptop«, lacht die sanfte Heidi Reinhold, Dümmer sei CDU-regiert, doch hinter der Fassade gebe es wie überall Probleme. Viele ältere Leute wie sie fänden keine Arbeit mehr, viele jüngere müßten bis nach Hamburg.

Mario Kutter baut den Stand auf. Landtagsnachrichten und Broschüren: Jetzt reicht's! Gysi und sein Team. Die Frauen bekakeln sich noch im Garten von »Hannes Ossenkopp, Hotel & Restaurant, Bowlingbahn, freie Bowlingtermine«. Jürgen Schassow, der neueste Pächter, bringt Bauernfrühstück und Topfbraten: »Ist bald Schluß hier, kommt ja niemand.« Heidi Reinhold denkt, das liege vielleicht am benachbarten Restaurant, das ein Wessi von der Gemeinde gekauft hat. »Samt See und Campingplatz, tdie sehen jetzt aus wie eine Müllhalde.« Gramkow fragt, ob der Vertrag keine Auflagen enthalte, über die man an den Mann 'rankommt. Heidi Reinhold glaubt, der ist glatt wie ein Aal, und Gramkow notiert sich: »Stammtisch bei Schassow. Naturschutzbeauftragten einladen und den Fachmann für Touristik.«

Hanne Kryzak, ihre Wahlkreismitarbeiterin, macht sich auf den Weg durchs Dorf, um die Briefkästen zu bestücken, Mario Kutter rollt am Stand eine PDS-Fahne aus. Vor der Quelle-Filiale, dem Rewe-Markt, der Bäckerei, dem Blumenladen ein paar Leute, doch keiner tritt näher Nur Schassow naht mit hochrotem Kopf: Herr Käsebier von der CDU hat telefonisch angefragt, ob der Stand genehmigt ist. Gramkow läßt ihm ausrichten, sie habe eine Genehmigung der hiesigen Grundstücksverwaltung. Fünf Minuten später zieht die Verwaltung ihr Wort zurück. Ein Rock weht über Dümmers Marktplatz, Käsebier läßt sich nicht blikken, er sei die nächsten Stunden beschäftigt. Kutter und Gramkow packen ein. »Wir haben hier heute sowieso nicht mit einem Massenandrang gerechnet. In solchen CDU-Hochburgen zeigen wir nur, daß es uns gibt.«

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