Rot gegen Orange, aber alle für die EU

Moldauer wählen ein neues Parlament - die Opposition bereitet schon Proteste vor

  • Barbara Oertel, Chisinau
  • Lesedauer: 6 Min.
Ginge es nach dem Willen des USA-Präsidenten, würde am Sonntag ein weiteres »kommunistisches Regime« gestürzt. Moldovas Volk habe die Chance, in die Fußstapfen der »Orangen-Revolution« in der Ukraine zu treten, verkündete George W. Bush jüngst in Bratislava. Aber Moldova ist nicht die Ukraine.
Bierflaschen oder Eistüten in den behandschuhten Händen, trotzen einige hundert junge Leute im Zentrum Chisinaus, der Hauptstadt der Republik Moldova, tapfer der Kälte. Einige von ihnen tragen rote Stirnbänder. »EU - votez!« (EU - Wählt!) steht darauf geschrieben, wobei das »e« durch Hammer und Sichel ersetzt ist. Gleichfarbige Fahnen verkünden: »Moldova, das Herz ist links!« Auf einer Bühne arbeitet sich eine Schönheit in hochhackigen Stiefeln und Minirock an internationalem und heimischem Liedgut ab. In der Pause feuert die Sängerin ihr Publikum in Moldauisch (dem Rumänischen gleich) und Russisch an. Auf Leinwänden zu beiden Seiten der Bühne erscheinen die Lettern »EU«. Es ist dies eine der letzten Aktionen der Partei der Kommunisten Moldovas (PCRM), bevor am kommenden Sonntag ein neues Parlament gewählt wird. Etwas abseits steht ein älterer Herr. Nachdenklich beobachtet er das Treiben unter roter Flagge und hat offensichtlich Schwierigkeiten, EU-ropa und die Erben Lenins zusammenzubringen. Im Jahre 2001 hätte daran auch noch niemand ernsthaft gedacht. Den Blick nach Moskau gerichtet, hatten sich die Kommunisten mit ihrem Vorsitzenden, dem heutigen Staatspräsidenten Wladimir Woronin, dem verarmten Wahlvolk mit dem Versprechen empfohlen, Russisch als zweite Amtssprache einzuführen und der russisch-belorussischen Union beizutreten. Die Aussicht auf Moskauer Gaslieferungen weit unter Weltmarktpreisniveau und ein besseres Leben für alle taten ein Übriges. Mit knapp über 50 Prozent der Stimmen sicherten sich die Kommunisten 71 von 101 Sitzen im Parlament. Durch erbitterte Straßenproteste verhinderte die nationalistische, nach Rumänien orientierte Opposition gleich zu Beginn der PCRM-Regierungszeit jedoch die »neuerliche Unterordnung unter Moskauer Diktat«. Obwohl viele Versprechen also uneingelöst blieben, könnte die PCRM am Sonntag erneut die meisten Stimmen erhalten, manche Umfragen sagen ihr sogar zwischen 51 und 60 Prozent voraus. Einen Grund für den ungebrochenen Zuspruch sehen Experten in der Wirtschaftsentwicklung. Statistiken weisen etwa für das Jahr 2002 ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 6 Prozent aus. Die Rentner durften sich in den vergangenen drei Jahren über eine schrittweise Erhöhung ihrer Bezüge von umgerechnet 14 auf 21 Euro freuen. »Die Entwicklung der letzten Jahre ist positiv«, sagt Anatol Gudim, Wirtschaftswissenschaftler am Zentrum für strategische Studien und Reformen. Doch sei es ein offenes Geheimnis, dass vor allem die Zahlungen moldauischer »Gastarbeiter« die heimische Wirtschaft bislang vor dem Zusammenbruch bewahrt haben. Schätzungsweise 600000 Moldauer ackern derzeit im Ausland, um ihre Familien zu Hause zu unterstützen - allein im vergangenen Jahr mit rund einer Milliarde US-Dollar, was 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht. »Dieses Geld ist wie ein Tsunami«, warnt Gudim allerdings. Wachsende Nachfrage müsse durch Importe gedeckt werden. Die Inflation wachse, genauso wie die Währungsreserven, die die Nationalbank aufkaufe und der Regierung für ihr Sozialprogramm leihe. »Und dadurch werden strukturelle Reformen verhindert.« Die Kommunisten mögen das wissen, geben sich jedoch unbeeindruckt und streben jetzt ihrerseits gen Westen. Alexander Petkow, Leiter des Analytischen Zentrums der PCRM, antwortet auf die Frage nach dem Wandel seiner Partei: »Die Zeiten ändern sich eben.« Und gleich stellt er klar, dass »die Kommunisten in Moldova nichts mehr mit Erich Honecker und Nicolae Ceaucescu gemein haben«. Die Westintegration sei mittlerweile Konsens aller Parteien und des gesamten Volkes. Eine »orangene Revolution« werde es nicht geben. Warum? »In Georgien und der Ukraine haben die Menschen gegen die Vertreter der alten Elite gekämpft. Bei uns hat dieser Wechsel schon vor vier Jahren stattgefunden.« Wohl nicht ganz zufällig reiste Präsident Woronin, dessen Sohn Oleg im Bankgeschäft so einige Aktien hat und zu den reichsten Männern Moldovas gehört, Mitte dieser Woche zu einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko nach Kiew. Einen Tag später unterzeichnete er mit dem georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili in Chisinau eine Deklaration über den »Vorrang demokratischer Werte« sowie über »schwarze Löcher« in Europa. Besonders das zweite Dokument dürfte in Moskau auf wenig Gegenliebe stoßen - geht es dabei doch auch um die von Chisinau abtrünnige und international nicht anerkannte Moldauische Dnestr-Republik (Transnistrien), in der russische Soldaten stationiert sind und die sich - wie fast jedes boykottierte Gebilde - zu einem der wichtigsten illegalen Umschlagplätze für illegalen Waffen-und Drogenhandel entwickelt hat. Diesen Sumpf möchte Woronin mit Hilfe Juschtschenkos trockenlegen, indem die Grenze zur Ukraine für transnistrische Waren dicht gemacht wird. Diese Botschaft ist in Moskau angekommen. So berichtete die Tageszeitung »Moldawskije Wedomosti« von möglichen Sanktionen, die Russland gegen Moldova verhängen könnte: Ausweisung moldauischer Arbeitskräfte aus Russland, Drosselung des Weinimports und Erhöhung der Preise für Gasexporte nach Moldova. Prompt verweigerte Chisinau im Gegenzug russischen Wahlbeobachtern eine offizielle Akkreditierung. Begründung: Man habe mit Vertretern der OSZE und des Europarates schon genug kompetente Kräfte im Land. Um die bemüht sich Woronin ganz besonders. Aus gutem Grund: »Am Wahltag selbst werden die Kommunisten alles dafür tun, dass alles völlig korrekt und sauber verläuft, um sich dem Westen zu empfehlen«, sagt der Politologe Igor Botan. Doch in den Monaten vor dem Wahltermin sei die Präsenz der Kommunisten in den staatlichen, aber auch einigen privaten Medien erdrückend gewesen. Über oppositionelle Kandidaten sei allenfalls negativ berichtet worden. Das weiß niemand besser als der zum gemäßigten Nationalisten gewandelte Iurie Rosca, Chef der Christlich-Demokratischen Partei (PPCD). Vor zehn Tagen strahlte das Fernsehen einen zehnminütigen Film unter dem Titel »Stoppt den Extremismus« aus. Darin ist Rosca als Freund Osama bin Ladens zu sehen und an der Seite von Nazi-Truppen, die Berlin unsicher machen. »Ich bin in der letzten Zeit zum Helden des moldauischen Horror-Films avanciert«, grinst Rosca, »das ist doch schon mal was.« In Gebäude Nr. 5 in der Nicolae-Iorga-Strasse, dem Sitz der Partei, die als einzige neben einer EU-Mitgliedschaft auch einen Beitritt zur NATO propagiert, dominiert Orange - die Farbe der ukrainischen Revolution vom vergangenem Herbst. Auf einem riesigen Plakat ist Rosca an der Seite Juschtschenkos zu sehen. Die Partei wirbt mit Losungen wie »PPCD - hör auf dein Herz« und »PPCD - Gott helfe uns«. Doch Gott wird nur wenig ausrichten können. Der Partei werden nur 12 Prozent Unterstützung vorhergesagt. Ungeachtet dessen hat sich Rosca den zentralen Platz Chisinaus schon mal für die Veranstaltung von Massenkundgebungen nach den Wahlen gesichert. Dort könnte er auf Vertreter des Bundes der Moldauischen Demokraten (BMD) treffen, die sich bei einem Wert von 21 Prozent eingependelt haben. Dem Bündnis unter dem Chisinauer Bürgermeister Serafim Urechean werden enge Beziehungen zu Russland nachgesagt. Unweit des Konzertplatzes, sitzt Romeo in einem »Audi« Baujahr 1989 und wartet auf Taxi-Kunden. In den letzten Jahren hat er des öfteren mehrere Monate in Deutschland gearbeitet - mal mehr, mal weniger legal. »Die Politiker sind doch alle gleich, jeder wirtschaftet nur in die eigene Tasche und keiner denkt ans Volk«, glaubt er. Schon bereitet er sich wieder auf eine Reise nach Deutschland vor - natürlich um Geld zu verdienen. »Bei der erstbesten Möglichkeit«, sagt er, »bin ich weg.«
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