Shell will zurück ins Ogoniland
Nigeria Zwei Jahre nach dem Mord an Ken Saro-Wiwa Von Thomas Ruttig
Der nigerianische Schriftsteller und Umweltaktivist Ken Saro-Wiwa wurde am 10. November vor zwei Jahren unter falscher Anschuldigung hingerichtet. Seit gestern läuft weltweit eine Gedenkwoche.
Lazarus Tamana
istVertreterdervon Ken Saro-Wiwa gegründeten Bewegung für das Überleben des Ogom-Volkes (Movementforthe Survival of the Ogoni People / MOSOP) in London. Zuvor leitete er die in Johannesburg (Südafrika) ansässige Stiftung für das Ogoni-Volk. Mit ihm sprach Thomas Ruttig.
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»Erinnert Euch an Ken Saro-Wiwa« - Proteste beim jüngsten Commonwealth-Gipfel Ende Oktober im schottischen Edinburgh. Die beteiligten Staats- und Regierungschefs suspendierten Nigerias Militärmachthaber zwar für weitere zwei Jahre, konnten sich aber nicht zu Sanktionen durchringen. Der 1941 geborene nigerianische Schriftsteller und Bürgerrechtler Ken Saro-Wiwa war am 10. November 1995 in Port Harcourt hingerichtet worden. 1994 hatte er den Alternativen Nobelpreis erhalten. Für 1996 war er für den Friedensnobelpreis nominiert.
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ND-Karte: Wolfgang Wegener
Es war einmal ein blühendes Volk von einer halben Million in Südost-Nigeria « So beginnt ein Text des nigerianischen Literatur-Nobelpreisträgers und führenden Oppositionellen Wole Soyinka. Aber danach folgt kein Märchen, sondern eine Tragödie. Dieses Volk, die Ogoni mit ihren vier kleinen Königreichen von zusammen gerade 1000 Quadratkilometern, leben in Einern Teil des Nigerdeltas, der einst die Kornkammer dieser Region war Aber diese Zeiten sind vorbei, seitdem im Nigerdelta einige der bedeutendsten Erdölvorkommen Afrikas entdeckt und seit 1958 ausgebeutet wurden. Sie machten Nigeria zur weltweiten Nummer 13 in der Förderung des »schwarzen Goldes«. Der Gesamtgewinn betrug bis 1995 60 Milliarden Dollar.
Das Öl kam den Ogonis nicht zugute. Sie wurden von ihren Feldern vertrieben und leben heute größtenteils in Slums, in denen sich Öllachen mit den Sümpfen des Niger-Deltas verbanden und zahllose Stationen zur Abfackelung des »überflüssigen« Erdgases die Luft verpesten. Während im Landesdurchschnitt jeder zweite Nigerianer Analphabet ist, liegt diese Rate in Ogoniland bei 80 Prozent. Auf 70 000 Menschen kommt ein einziger Arzt. Ken Saro-Wiwa sprach in diesem Zusammenhang von einem »ökologischen Krieg« gegen sein Volk und einem »Genozid«. Er organisierte den Widerstand.
Saro-Wiwa gründete die Bewegung für das Überleben des Ogoni-Volkes (MO-SOP), die sich mit ausschließlich friedlichen Mitteln gegen die Umweltzerstörung durch die Ölförderung in ihrem Land, besonders durch Shell, zur Wehr setzt. Er brachte das Problem vor den UN-Minderheitenausschuß und verlangte, daß die Ogonis als »bedrohtes Volk« eingestuft werden. Von Shell verlangte er für sein Volk sechs Milliarden Dollar Pacht und weitere vier Milliarden als Entschädigung für die Umweltschäden. 1993 mußte sich der Multi aus der Ogoni-Region zurückziehen.
Das Militärregime unter Sani Abacha schlug zurück. Ogoniland wurde unter Sondermilitärverwaltung gestellt, 10 000 Soldaten dort stationiert und die Mitgliedschaft bei MOSOP zum »separatisti-
schen Akt« erklärt. Nachdem am 21. Mai 1994 vier MOSOP-Führer, die sich für eine Wiederannäherung an das Regime ausgesprochen hatten, von aufgebrachten Ogonis ermordet worden waren, bezichtigte man Saro-Wiwa, durch seine Reden die »Maschinerie« des Mordes in Gang gesetzt zu haben. Bestechliche Zeugen waren schnell gefunden. Einer von ihnen zog seine Falschaussage später zurück, aber es half nichts. Saro-Wiwa und mit ihm verhaftete acht weitere MOSOP-Führer wurden am 10. November 1995 trotz weltweiter Proteste hingerichtet. Zuvor hatte der Chef von Shell Nigeria, Brian Anderson, Saro-Wiwa eine Begnadigung angeboten, wenn er unterschriebe, daß er seine Anti-Shell-Kampagne einstelle. Dies berichtete sein Bruder Owen Wiwa. Ken Saro-Wiwa lehnte ab. Später nahm Shell für sich in Anspruch, gegen die Hinrichtung protestiert zu haben.
Aber der Mord nahm dem Protest nicht die Spitze. Beim Delta-Volk der Ughelli bildete sich ebenfalls eine Protestbewegung, Rumuobiokani demonstrierten vor
dem Shell-Hauptquartier in Nigeria und wurden von der Armee zusammengeschossen. Zuletzt besetzten im Mai Jugendliche der Nembe Shell-Anlagen, verhinderten zeitweilig die Ölproduktion. Shell bereitet trotzdem seine Rückkehr ins Ogoniland vor Unter Ausschluß von MOSOP verhandelt es mit Stammeschefs, um die Ogonis zu spalten und finanziert Schulen und andere Projekte.
MOSOP wird inzwischen von Ledum Mitee geführt, der im Saro-Wiwa-Prozeß als einziger freigesprochen wurde und bei der Urteilsverkündung in Tränen ausgebrochen war Saro-Wiwa hatte ihn getröstet. »Mach dir nichts daraus, Letum, du kannst die Sache voranbringen, während wir hinter Gittern sitzen.« Daß sie hingerichtet werden würden, ahnten die Gefangenen bis zuletzt nicht.
? Was hat sich seit dem Mord an Ken Saro-Wiwa an der Situation der Ogonis verändert?
Es hat keine Verbesserung der Lebensbedingungen der Ogoni gegeben. Shell hat nichts dafür getan, und auch die nigerianische Regierung schweigt. Die Situation hat sich sogar verschlimmert.
? 20 MOSOP-Führer sind wegen derselben Beschuldigung wie Ken Saro-Wiwa inhaftiert. Wie ist ihre Situation?
Immer noch wird ihren Familien und ihren Verteidigern die Besuchserlaubnis verweigert. Sie erhalten keine medizinische Behandlung. MOSOP muß sie unterhalten, muß sich sogar um ihre Mahlzeiten kümmern. Ihr Prozeß hat in diesem Jahr begonnen, aber die Regierung versucht, auf Zeit zu spielen, sie hofft darauf, daß die internationalen Proteste abklingen. Dann will sie sie vor ein Militärtribunal stellen, in ein paar Tagen aburteilen und sie ebenfalls hängen.
? Befürchten Sie, daß die internationale Unterstützung für MOSOP nachlassen könnte?
Keineswegs. Die internationale Kampagne dehnt sich sogar aus, immer mehr Gruppen nehmen daran teil. Heute sind sich weltweit viel mehr Menschen über die Situation der Ogonis, über die Umweltzerstörung durch Shell und die Menschenrechtsverletzungen der nigerianischen Regierung bewußt als vor zwei Jahren.
? Können Sie mit den Inhaftierten Kontakt halten?
Ja, aber in sehr geringem Maße. Wir zahlen eine ganze Menge dafür, nur damit die Nahrungsmittel sie erreichen. Wir müssen die Wächter und die Militärs dort im Gefängnis bestechen.
? Kann MOSOP in Nigeria offen politisch agieren?
Nein. Wenn man nur Interesse an MO-SOP zeigt oder mit ihr sympathisiert, wird man sofort als Aktivist gebrandmarkt und auch so behandelt. Das bedeutet, daß die Regierung versucht, jede Spur von MO-SOP zu tilgen.
? Wie gut ist die Zusammenarbeit zwi-
sehen MOSOP und den anderen Oppositionskräften Nigerias?
Wir haben Beziehungen zu den anderen Pro-Demokratie-Gruppen, unternehmen gemeinsame Aktivitäten, diskutieren und arbeiten eine gemeinsame Strategie aus. Wir sind also Teil der allgemeinen Pro-Demokratie-Bewegung, die für ein demokratisches Nigeria eintritt.
? Wie bewerten Sie die jüngsten Beschlüsse des Commonwealth-Gipfels in Edinburgh in Bezug auf Ihr Land?
Wir sind sehr unzufrieden, um es vorsichtig zu sagen. Die Regierungschefs der Commonwealth-Staaten spielen mit den Leben der Ogonis und der Nigerianer. Sie waren nicht bereit zu handeln, aus ökonomischen Interessen heraus.
? Betrifft dieser Vorwurf nur die Briten?
Nein, er trifft alle, die mit Nigeria Handel treiben. Viele afrikanische Länder erhalten ja Ölsubventionen von Nigeria. Sie wollen natürlich nicht, daß das aufhört.
? Auch Südafrikas Präsident Mandela meint, es sei besser, mit dem Militärregime einen diplomatischen Dialog zu führen, als es zu boykottieren...
Naja, diesen Blickwinkel muß ich in Frage stellen. Er hat beim letzten Commonwealth-Gipfel vor zwei Jahren in Auckland ja noch eine sehr harte Erklärung in dieser Frage abgegeben. Warum ist er davon abgegangen? Er weiß doch, daß die Situation sich verschlechtert hat. Ich weiß nicht, was Südafrika motiviert, diese Position einzunehmen.
? Shell wollte 1996 nach Nigeria zurückkehren und hat angeboten, das ölverseuchte Land zu säubern. Welche Haltung haben Sie dazu?
Ja, Shell hat darüber mit der Regierung verhandelt und MOSOP davon ausgeschlossen. Hinter den Kulissen hat es einige Manöver mit einigen Ogoni-Stammesführern gegeben. Aber ich kann Sie versichern, daß das für sie extrem schwierig wird. Die Ogoni sind entschlossen, dafür zu sorgen, daß Shell nicht zurückkommt - solange es keine vollumfänglichen Verhandlungen mit MOSOP gibt, die das Mandat des Ogoni-Volkes dafür hat.
Fragen: Thomas Ruttig
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